Lernlandschaft

Eine Lernlandschaft ist eine große, zusammenhängende Fläche, die verschiedene, ineinander übergehende Raumbereiche miteinander kombiniert. Die gesamte Fläche ist offen zugänglich und kann flexibel genutzt werden. Die Lernlandschaft bietet Zonen für verschiedene Geräuschpegel, die einzelnen Raumbereiche unterscheiden sich zudem in ihrer Ausstattung sowie im Platzangebot für Gruppen und Aktivitätsformen.

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Lernlandschaften an der Univ. Kiel (Foto: Jürgen Haacks / Uni Kiel) und an der TH OWL (Foto: Christian Kohls)

Kontext

Der Lernalltag ist vielfältig. Für verschieden große Lerngruppen – von Einzelpersonen über kleine Teams mit 4-6 Personen oder größere Gruppen – bedarf es unterschiedlich gestalteter Bereiche. Dies gilt sowohl für selbstorganisiertes Lernen als auch orchestrierte Lehrveranstaltungen, bei denen Studierende zwischen verschiedenen Sozialformen (Großgruppe, kleine Arbeitsgruppen, Einzelarbeit), Methoden und Werkzeugen wechseln. Oft gibt es für bestimmte Lernformen verschiedene Lern- und Arbeitsräume auf dem Campus. Diese sind aber selten miteinander verzahnt. 

Problem

Didaktische Vielfalt wird oftmals verhindert, da unterschiedliche Räume nicht miteinander vernetzt sind und die jeweilige Arbeitsumgebung in einem engen Rahmen vorgibt, wie gelernt werden kann. Lernende haben Schwierigkeiten einen passenden Raum zu finden, insbesondere wenn die Aktivitätsformen mehrfach wechseln – etwa zwischen stiller Recherche, Diskussion in der Kleingruppe und Präsentation vor mehreren Personen.

Rahmenbedingungen

  • Verschiedene Phasen: Didaktische Szenarien setzen sich aus verschiedenen Methoden und Arbeitsphasen zusammen, die ineinandergreifen. Der Wechsel zwischen Methoden, Sozialformen, Medien und Werkzeugen soll nahtlos geschehen.
  • Verschachtelung: Einerseits benötigen Studierende Privatsphäre beim Lernen allein sowie innerhalb einer Lerngruppe und nutzen dafür gerne geschützte Rückzugsorte. Andererseits möchten sie aber auch Teil einer größeren Lerngemeinschaft sein und niedrigschwellig in einen Austausch mit anderen Studierenden und Dozierenden treten.
  • Auffindbarkeit: Wenn Studierende für unterschiedliche Lernaktivitäten die Räumlichkeiten wechseln müssen, dann verteilen sie sich weitläufig über den Campus. Dies macht es sowohl für andere Studierende also auch Dozierende schwierig, eine Lerngruppe zu finden.
  • Kurze Wege: Das Hinzustoßen zu einer Lerngruppe, aber auch der Kontakt zwischen Studierenden und Dozierenden sollte möglichst niedrigschwellig möglich sein. Für Dozierende sollte es möglich sein, schnell dazuzukommen, um Feedback zu geben. Und auch Studierende können sich leichter Feedback geben, wenn sie in räumlicher Nähe zueinander lernen.
  • Alles im Blick: Bei der Aufteilung eines Kurses in kleinere Gruppen ist es wichtig, dass Dozierende und Lernende sich über die Schulter schauen können. Denn Gruppen lernen voneinander und Dozierende möchten schnell sehen, wo Hilfe benötigt wird. Personen wollen aber langsam zu einer Gruppe dazukommen und nicht wie bei digitalen Online-Werkzeugen in eine Breakout-Session hineinplatzen.
  • Präsenz: In Präsenzveranstaltungen gibt es eine Verschachtelung sozialer Gruppen durch räumliche Nähe. Es wäre also gut, wenn einerseits möglichst viele Studierende zusammen in einem Raum sind und andererseits Teams in einer geschützten Umgebung ungestört arbeiten können. Man möchte einerseits wahrnehmen können, was alles gleichzeitig passiert, andererseits sich auch jederzeit zurückziehen können.
  • Medienvielfalt: Für verschiedene Aufgaben werden unterschiedliche (digitale) Werkzeuge benötigt, z.B. interaktive Tafeln, einfache Whiteboards (die sich gut abfilmen oder abfotografieren lassen) oder kleine Bildschirme. 

Lösung

Eine Lernlandschaft ist ein großer Bereich für bis zu 100-200 Personen, die gleichzeitig an unterschiedlichen Aufgaben arbeiten können und dabei in verschiedenen Gruppengrößen und mit verschiedenen Methoden lernen. Der gesamte Bereich ist offen zugänglich und gliedert sich in Teilbereiche, die je nach Bedarf zwar akustisch und vor unerwünschten Blicken geschützt sein können, aber nicht abgetrennt sind. So kann man leicht freie Plätze finden, zwischen Lerngruppen und Aktivitäten wechseln, miteinander ins Gespräch kommen, seine Ideen präsentieren und voneinander lernen.

Details

Eine Lernlandschaft umfasst verschieden Gruppenarbeitsbereiche, etwa Lernnischen, Lerninseln, Lernecken oder Lernboxen. Durch die Ausstattung mit flexiblem Mobiliar können sich Studierende selbst ihren idealen Lernort gestalten, wobei der gesamte Raum bereits eine flexible Raumnutzung für verschiedene Szenarien ermöglichen sollte, z.B. selbstorganisiertes Lernen, Projektarbeit (etwa Design Sprints oder Hackathons), Ausstellungen oder Veranstaltungen.

Die Unterteilung der Lernlandschaft in unterschiedliche Bereiche kann einerseits implizit durch Möbel, Ausstattung oder farbliche Gestaltung erfolgen. Die verschiedenen Gruppenarbeitsbereiche können etwa durch unterschiedliche Möbelstoffe, Tischformen oder Medien gekennzeichnet sein. Eine explizite Unterteilung in verschiedene Bereiche („Zoning“) kann durch transparente Glaswände, Raumteiler, Tresen oder bewegliche Stellwände bzw. flexible Vorhangsysteme umgesetzt werden.

Für das Präsentieren und Erarbeiten von Inhalten sollten verschiedene Medien zur Verfügung stehen, z.B. fest an Wänden, in Lernnischen oder Lernboxen installierte oder rollbare (interaktive) Displays und Whiteboards. Die Ausstattung der jeweiligen Bereiche sollte Schritt für Schritt geschehen, damit die einzelnen Bereiche zueinander passen. Zudem sollten möglichst viele Beteiligte partizipativ bei der Gestaltung und Ausstattung eingebunden werden.

Die Lernlandschaft ist kein Ort der Ruhe, hier darf explizit auch diskutiert und gelacht werden. Dennoch sollte die akustische Ausstattung so sein, dass Projekt- und Arbeitsgruppen ungestört lernen können. Die Lernlandschaft soll eine aktive, positive und gelöste Atmosphäre ausstrahlen. Sie soll zudem inklusiv und sicher sein. Das bedeutet auch, dass sich einzelne Gruppen nicht zu breit machen und zu laut werden. Soziale Regeln können mit einem Augenzwinkern durch Poster kommuniziert werden: sowohl was erlaubt als auch was unerwünscht ist. Die Eigenverantwortung der Studierenden spielt eine große Rolle beim Gelingen dieser Lösung. 

Die Lernlandschaft ist ein gemeinsamer Ort für Studierende und Dozierende. Prinzipiell steht die Lernlandschaft für selbstorganisierte Lerngruppen und informelle Begegnungen offen zur Verfügung. Sie kann aber auch genutzt werden, um im Rahmen von formalen Veranstaltungen Untergruppen zu bilden, die sich dann eigenständig Lernbereiche innerhalb der Lernlandschaft suchen. In Einzelfällen kann auch die gesamte Lernlandschaft für eine einzelne Lehrveranstaltung oder eine öffentliche Veranstaltung genutzt werden, z.B. um im Rahmen einer formalen Veranstaltung auf unterschiedliche informelle Arbeitsbereiche zuzugreifen. Dies reduziert dann allerdings die verlässliche Verfügbarkeit für selbstorganisiertes Lernen. Ob die Lernlandschaft überhaupt für exklusive Veranstaltungen genutzt werden kann, ist daher mit den verschiedenen Interessensgruppen (Studierende, Dozierende, Stundenplanung, Campusleitung) zu diskutieren. Wenn eine solche Nutzung vorgesehen ist, sollten Studierende transparent und verlässlich über die Verfügbarkeit informiert werden.

Die Lernlandschaft kann interdisziplinäre Lernaktivitäten allgemein unterstützen und in dieser Form bspw. an eine Universitätsbibliothek angebunden sein. Bei größeren Hochschulen kann sich eine Lernlandschaft in ihrer Ausgestaltung aber auch an den Bedürfnissen eines Fachbereichs ausrichten: z.B. können für eher technisch orientierte Studiengänge Makerbereiche integriert werden, während eher geisteswissenschaftlich orientierte Studiengänge unterschiedliche Diskussionsumgebungen schaffen können. Trotz der fachlichen Spezialisierung sollte die Lernlandschaft die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Fachbereichen oder mit Partnern aus der Industrie und mit NGOs ermöglichen, z.B. um Service Learning zu fördern.

Stolpersteine

  • Die Lernlandschaft ist für Studierende in der Regel für selbstorganisiertes Lernen offen zugänglich und kann dabei bspw. auch Teil eines größeren Lernzentrums sein. Wird die Lernlandschaft auch für Lehrveranstaltungen und von der Hochschule organisierte Events genutzt, kann dies zu Konflikten führen. Für projektorientierte Veranstaltungen kann es bspw. sinnvoll sein, mit einer größeren Lerngruppe aus einem Hörsaal oder Seminarraum in die Lernlandschaft zu wechseln. Dabei verteilen sich die Untergruppen dann in die einzelnen Bereiche der Lernlandschaft. In diesem Fall muss aber sichergestellt werden, dass es zu keinen Konflikten zwischen der formal organisierten Lehrveranstaltung und den informell organisierten Lerngruppen kommt. Dies kann z.B. durch eine rechtzeitige Ankündigung und Reservierung von Raumbereichen geschehen. Eine Lernlandschaft kann zudem an bestimmten Tagen oder zu bestimmten Zeiten für organisierte Veranstaltungen geblockt beansprucht werden. Studierende müssen sich jedoch darauf verlassen können, dass sie für selbstorganisierte Lernaktivitäten Zugriff auf freie Lernplätze haben, z.B. mit einer garantierten Verfügbarkeit zu bestimmten Zeitpunkten, Tagen oder Wochen.
  • Die Lernlandschaft wird für eine Nutzung in Pausen zwischen Lehrveranstaltungen oder für längere Lern- und Arbeitsphasen besonders attraktiv, wenn in der Nähe auch ein Angebot an Getränken und Snacks (etwa durch Verkaufsautomaten oder in Form eines Cafés) bereitsteht. Allerdings sollten grundlegende Regeln aufgestellt werden, ob und wenn ja, in welchen Bereichen der Lernlandschaft Trinken und Essen erlaubt sind. Gut sichtbare Abfallbehälter, etwa an den Ausgängen, helfen beim Sauberhalten der Fläche.
  • Reinigung und Wartung der Lernlandschaft müssen bei der Planung berücksichtigt werden, da die Räumlichkeiten anders als tradierte Räume genutzt werden.
  • Elektronische Geräte und Kabel dürfen nicht zu Stolperfallen oder Gefahren werden. Daher sollten Steckdosen an vielen Stellen innerhalb der Lernlandschaft verfügbar sein – etwa an allen Sitzgelegenheiten sowie integriert in Arbeitstische. Kabelkanäle an Wänden und Säulen, Bodentanks oder von der Decke kommende Kabel können die Medienausstattung des Raumes mit Strom versorgen.
  • Wenn die Lernlandschaft auch flexibles Mobiliar enthält, dann müssen Regeln aufgestellt werden, die sicherstellen, dass Fluchtwege nicht versperrt und die verschiedenen Arbeitsbereiche erhalten bleiben. Zudem muss regelmäßig aufgeräumt und die Möbel wieder ordentlich aufgestellt werden, da der Raum sonst schnell unordentlich wirkt. 

Vorteile

  • Selbstorganisiertes Lernen und projektorientierte Veranstaltungsformate werden durch das Angebot der Lernlandschaft begünstigt. Es steht viel Lernraum für individuelles Lernen und Gruppenarbeit zur Verfügung.
  • Der Campus wird zum Lern- und Lebensort. Insbesondere Studierende mit langen Anfahrtswegen finden mit der Lernlandschaft auf dem Campus Möglichkeiten, außerhalb formaler Lehrveranstaltungen an Studienthemen zu arbeiten.
  • Studierende treffen sich auch zufällig und können leicht neue Lerngruppen finden. Der (informelle) Austausch zwischen Dozierenden und Studierenden wird leichter möglich, wenn die Lernlandschaft Sitzbereiche enthält, die auch für Dozierende attraktiv zum Verweilen oder für Besprechungen sind.
  • Innovative Lehrformate wie Hackathons, Design Sprints, Service Learning oder inverse Konferenzen werden in diesen Räumen möglich.
  • Durch die attraktive Gestaltung der Lernlandschaft wird diese zu einem Anziehungspunkt bei öffentlichen Veranstaltungen und hilft dabei, die Hochschule für den Austausch mit der Zivilgesellschaft sowie für Kooperationen mit NGOs und Industriepartnern zu öffnen. 

Nachteile

  • Die Ausstattung sollte einladend und hochwertig sein und verursacht somit hohe Kosten. Dies gilt auch für die Wartung, da durch die intensive und selbstorganisierte Nutzung eventuell Tische oder Stühle frühzeitiger ersetzt werden müssen.
  • Die Auslastung der Räume lässt sich schwer planen. Eine leere Lernlandschaft ist demotivierend und macht die geringe Aktivität des Campuslebens sichtbar. Eine überfüllte Lernlandschaft ist frustrierend, da sie zwar ein Angebot für selbstorganisiertes Lernen verspricht, dieses aber nicht verlässlich einhält.
  • Es wird eine große Fläche für die Umsetzung benötigt. Dies kann ggf. zu Widerständen einzelner Institute führen, die eine andere Nutzung bevorzugen würden.
  • Bei einer Öffnung der Lernlandschaft in den späten Abendstunden müssen ein zusätzliches Sicherheitskonzept und personelle Unterstützung vorgesehen werden. Eine Anbindung an die Bibliothek, die oft ebenfalls längere Öffnungszeiten hat, kann ein guter Ansatz sein. 

Beispiele

Das Innovationszentrum der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe (TH OWL) bietet verschiedene Lernlandschaften, die sowohl Studierende als auch Mitarbeitende der Hochschule nutzen können.

Lernlandschaft an der TH OWL
Lernlandschaft an der TH OWL (Fotos: Christian Kohls)

Die Universitätsbibliothek Kiel hat eine großflächige Lernlandschaft gestaltet, in der sich Lernboxen für hybrides Arbeiten, offene und geschlossene Lerninseln sowie unterschiedliche Einzel- und Gruppenarbeitsplätze befinden. Mehrere Segmente wurden im Rahmen der Modernisierung der Bibliothek schrittweise als Lern- und Kreativflächen für hybrides Forschen, Lernen und Arbeiten umgebaut.

Lernlandschaft an der UB Kiel
Lernlandschaft in der Universitätsbibliothek Kiel (Fotos: Jürgen Haacks / Uni Kiel)

Die Universität Oulu in Finnland bietet allen Hochschulangehörigen mehrere offene Kollaborations- und Arbeitsumgebungen an. Eine große, vielfältig ausgestaltete Lernlandschaft befindet sich auf dem Campus Linnanmaa und kann online im Rahmen einer virtuellen Tour erkundet werden.