Lerninsel
Eine Lerninsel ist ein frei zugänglicher Tisch mit mehreren Arbeitsplätzen für Gruppen oder Einzelpersonen, der sich in einem größeren Raum oder Areal befindet, z.B. innerhalb der Bibliothek, eines Foyers oder einer Lernlandschaft. Studierende können sich dort ohne Reservierung zum Lernen hinsetzen und sind dabei für andere Studierende oder Dozierende gut auffindbar und sichtbar.
Kontext
Der Campus gliedert sich in viele unterschiedliche Bereiche wie Labore, Bibliothek, Mensa oder Foyer. Diese Bereiche bieten unterschiedliche Lerngelegenheit, etwa das Arbeiten mit Materialien wie Büchern oder Maschinen. Für das Arbeiten mit diesen Materialien sowie ihren eigenen Unterlagen benötigen die Studierenden frei zugängliche Lernorte, an denen sie ihre analogen und digitalen Ressourcen nutzen können. Für eine zunehmend projektorientierte Lehre muss zudem genügend Raum für die Gruppenarbeit bereitstehen.
Problem
Räume auf dem Campus sind häufig für bestimmte Einsatzzwecke geplant. Neben den primären Funktionen eines Raums (z.B. Medienbereitstellung, Empfangsbereich, Laborausrüstung) müssen Studierende die Gelegenheit haben, allein oder in Gruppen mit ihren Unterlagen zu lernen und Ergebnisse zu erarbeiten. Wenn Gruppenarbeitsräume vom fachlichen oder sozialen Geschehen getrennt sind, entstehen Brüche zwischen Lernaktivitäten, so dass die einzelnen Phasen des Lernens nicht optimal miteinander verbunden sind.
Rahmenbedingungen
- Wechsel zwischen Lernaktivitäten: Für verschiedene Lernaktivitäten (Rezipieren, Reflektieren, Anwenden, Explorieren, Gestalten usw.) sind unterschiedliche Arbeitsflächen und -bereiche optimal. Diese sollten nahtlos miteinander verknüpft werden. Das bedeutet, dass Studierende nicht erst in andere Räume wechseln oder das Setup im Raum ändern müssen, um von einer Lernaktivität zur nächsten zu wechseln. Je aufwändiger der Wechsel zwischen Lernaktivitäten, desto unwahrscheinlicher ist der spontane oder geplante Wechsel zwischen verschiedenen Aktivitäten.
- Über die Schulter schauen: Studierende lernen, indem sie sich gegenseitig über die Schulter schauen. Dies gilt sowohl für informelle wie auch formale Bildungssettings. Insbesondere im Rahmen von formalen Veranstaltungen, z.B. Workshops oder praktischen Übungen, möchten Dozierende durch Beaufsichtigung der Lernaktivitäten Feedback geben und unterstützend eingreifen. Dafür sollten sie möglichst viele Lerngruppen im Blick haben.
- Flächenbedarf: Geschlossene Gruppenarbeitsbereiche ermöglichen das Arbeiten in Gruppen, doch sie erhöhen oft den Flächenbedarf, da jeder Raum – sowohl bauliche Räume als auch Raum-in-Raum-Systeme wie etwa Lernboxen – neben dem Mobiliar Fläche zum freien Bewegen benötigt. Das Bereitstellen zusätzlicher Räume für Gruppenarbeit ist zudem häufig nicht möglich, weil keine neuen Gebäudeflächen zur Verfügung stehen und existierende Räume bereits verplant sind. Andererseits gibt es in vielen Räumen ungenutzte Bereiche oder nicht mehr genutzte Ausstattung. Diese Flächen könnten für aktives Lernen besser genutzt werden.
- Spontanität: Lernenden möchten sich gerne spontan zu Lerngruppen zusammenschließen oder sich informell mit anderen Campusangehörigen austauschen. Für Studierende muss ersichtlich sein, wo sie sich ad hoc und ohne vorherige Planung oder Raumbuchung in Gruppen zusammenschließen können und sich in den Austausch begeben können.
- Verweildauer: Lernenden benötigen Zwischenräume, an denen sie für kurze oder auch längere Zeit verweilen können, um zu lernen, diskutieren, snacken oder sich zu erholen. Dabei sollten sie Räume nicht exklusiv belegen, sondern als Teil der Lerngemeinschaft mitten im Campusgeschehen sein.
Lösung
Eine Lerninsel ist ein von allen Seiten zugänglicher Arbeitstisch für 4-8 Personen. Für das Arbeiten mit eigenen mobilen Endgeräten sollte entweder unterhalb des Tisches oder in der Tischmitte eine Steckdose für jeden Sitzplatz bereitgestellt werden. Durch die Offenheit zu allen Seiten können weitere Lernmedien, z.B. mobile interaktive Displays, Flipcharts oder Rollwägen mit digitaler Ausstattung (etwa Maker-Bausteine, Kreativitätsmaterialien) an den Tisch herangeschoben werden.
Details
Lerninseln sind gut für selbstorganisiertes Lernen geeignet. Dies gilt insbesondere innerhalb von Lernzentren, Lernarenen, Foyers oder Lernflächen in Bibliotheken. Eine Variante der Lerninsel, die insbesondere das hybride Arbeiten fördern kann, ist die Installation eines Displays an einer Tischseite. Damit wird zwar einerseits die vollständige Offenheit genommen, andererseits können Lernende dadurch ihre digitalen Materialien in der Gruppe schnell gemeinsam ansehen, besprechen und weiterentwickeln.
Lerninseln sind besonders sinnvoll, wenn sie mit flexiblem Mobiliar oder mit Lerngegenständen aus der Umgebung kombiniert werden. Werden Lerninseln in eine Bibliothek, ein Labor oder einen Makerspace integriert, können Lernmaterialien aus der Umgebung (z.B. Bücher in der Bibliothek, Werkzeuge und Bausteine in einem kreativen Umfeld) schnell an den Tisch gebracht werden.
Lerninseln laden zum kurz- bis mittelfristigen Verweilen ein. Wie in einem Straßencafé geht es ums Sehen und Gesehenwerden. Monotone Flure können durch Lerninseln bereichert werden, indem sie sie für geeignete Lernaktivitäten verfügbar machen.
Lerninseln sind eine einfach umsetzbare Maßnahme, da keine baulichen Maßnahmen erforderlich sind. Einfache Tische und Stühle erfüllen bereits die Funktion. Da Lerninseln für Studierende gut sichtbar sind, sollte jedoch bei verfügbarem Budget besser in hochwertige Tische und Stühle investiert werden, um eine Wertschätzung gegenüber den Studierenden auszudrücken. Durch natürliche Materialien kann zudem eine angenehme, entspannte, lernförderliche Atmosphäre geschaffen werden, z.B. ähnlich wie in Cafés.
Beim Aufstellen von Lerninseln ist darauf zu achten, dass keine Fluchtwege versperrt werden und Studierende sich auch zwischen den Lerninseln noch bewegen können, ohne sich eingeengt zu fühlen.
Stolpersteine
- Ohne Stromanschluss ist die Nutzung in hybriden Szenarien kaum möglich. Die Verkabelung kann jedoch, insbesondere bei der Umgestaltung existierender Räume, eine große Herausforderung sein. Hier sollte frühzeitig das Gebäudemanagement in die Planung einbezogen werden.
- Bei der Einrichtung von Lerninseln ist besonders auf die Akustik des Raumes zu achten, da anders als bei Lernnischen oder Lernecken keine schützenden Wände zur Schallabsorption vorhanden sind. Die Gespräche an den Lerninseln dürfen den Geräuschpegel im Raum nicht zu sehr erhöhen, gleichzeitig muss auch die Gruppe in Ruhe lernen können. Abhilfe können mobile Schallwände schaffen, die bei Bedarf hinzugeschoben werden können. Durch flexible Vorhangsysteme können Lerninseln temporär zu geschützten Arbeitsbereichen werden.
Vorteile
- Lerninseln ermöglichen flexible Gruppengrößen, da Stühle ad hoc dazugestellt werden können.
- Lernende haben an einer Lerninsel ausreichend Platz für ihre eigenen Unterlagen und in der Mitte der Insel noch genügend Platz für das Ausbreiten gemeinsamer Unterlagen oder Medien.
- Lernende können sich schnell an eine Lerninsel dazu setzen, anders als bei Lernecken oder Lernnischen dringt man nicht in eine „geschlossene“ Gruppe ein, da Lerninseln generell einen öffentlicheren Charakter haben. An einer Lerninsel können also auch einzelne Studierende oder zwei Kleingruppen Platz finden.
- In einem größeren Raum mit mehreren Lerninseln können Gruppen parallel arbeiten. Dies hat den Vorteil, dass Dozierende alle Gruppen im Blick haben und schnell auf Fragen oder Probleme bei der Bearbeitung einer Aufgabe reagieren können. Der Wechsel zwischen Plenum-, Gruppen- und Einzelarbeit geschieht nahtlos.
- Lerninseln an hoch frequentierten Stellen, z.B. im Eingangsbereich, fördern die zufällige Begegnung und den informellen Austausch.
- Lernmaterialien und Werkzeuge können schnell herangeholt und auf oder neben der Lerninsel platziert werden.
- Wenn die Lerninseln nicht fest montiert sind, sondern aus flexiblem Mobiliar bestehen, können aus kleinen Inseln größere Inseln für mehr Teilnehmende werden.
- Lerninseln lassen sich in größeren Räumen gut platzieren und in Einklang mit baulichen Vorgaben (Fluchtwege, Brandschutz) bringen.
- Das „über die Schulter blicken“ an Lerninseln ist sowohl Vor- und Nachteil. Einerseits können Gruppen aufeinander reagieren, sich inspirieren und durch informelle, nonverbale Signale miteinander kommunizieren. Anderseits bieten Lerninseln im Gegensatz zu Lernnischen, Lernecken oder Lernboxen nur wenig Privatsphäre.
Nachteile
- Anders als Lernnischen bieten Lerninseln kaum Privatsphäre. Studierende fühlen sich eventuell beobachtet und ungeschützt.
- Lerninseln sind weniger gemütlich als andere informelle Lernbereiche und benötigen eventuell zusätzlichen Akustikschutz.
- Insbesondere in Durchgangsbereichen oder auf sehr großen Flächen eignen sich Lerninseln durch die unruhige Umgebung nicht für sehr konzentriertes Arbeiten.
- Die Versorgung mit Strom kann sich schwierig gestalten, wenn es keine Bodentanks gibt.
- Lerninseln sind eher klassische Lernorte, die teils verschult wirken. Die Hybridität ist oft auf die Nutzung des eigenen Laptops beschränkt. Mobile Videokonferenzsysteme sind aufgrund der Offenheit innerhalb eines Raumes eher nicht einsetzbar.
Beispiele
Die Universitätsbibliothek der Universität Kiel bietet auf größeren Lernflächen Lerninseln in unterschiedlichen Größen und mit unterschiedlichen Tischhöhen und Sitzmöglichkeiten an. Mobile Schallschutzelemente können nach Bedarf hinzugestellt werden.
Unterschiedliche Lösungen für die Gestaltung von Lerninseln stellt auch die Universität Basel in der reichhaltig bebilderten Open-Access-Publikation „Laboratorium Lernräume - Neue Lernräume an der Universität Basel“ vor. Auf speziell eingerichteten Lernflächen, aber auch in Durchgangsbereichen wurden hier Lerninseln integriert.