Erfahrungsbericht

Im Interview mit e-teaching.org berichtet Nicole Behringer von den Studien, die sie im Rahmen ihrer Dissertation durchgeführt hat.

e-teaching.org: Nicole, bevor Du ans Institut für Wissensmedien gekommen bist, hast Du in einem internationalen Unternehmen als Projektleiterin im Bereich E-Learning gearbeitet. Welche Erfahrungen hast Du dort gemacht?

Behringer: Als Projektleiterin für E-Learning war ich unter anderem mit der Aufgabe betraut, das E-Learning unternehmensweit auszurollen. Dabei durfte ich immer wieder feststellen, wie schwer sich viele Menschen im Umgang mit E-Learning tun. Eine der größten Herausforderungen war dabei die breite Spanne an technischen Vorkenntnissen, die Mitarbeiter mitbringen. Während man mit den einen erst einmal einen Doppelklick üben muss, navigieren andere ohne Probleme intuitiv durch die Lernmodule.

In einer späteren Projektphase unternahmen wir auch erste Versuche, User Generated Content in die Lernmodule zu integrieren. Hier hatten die Lernenden die Möglichkeit, ihre eigenen Tipps und Tricks zum Thema zu erzählen, so dass diese für die anderen Lernenden sichtbar waren. Allerdings liefen unsere Versuche in diese Richtung eher schleppend.

e-teaching.org: Was glaubst Du, warum Euer Versuch User Generated Content zu integrieren auf geringe Resonanz gestoßen ist?

Behringer: Zum einen hat hier sicherlich die technische Hürde eine Rolle gespielt, warum sich nur wenige Lerner getraut haben, einen eigenen Beitrag zu posten. Aber sicher hat auch die Tatsache eine Rolle gespielt, dass die meisten ihr Wissen einfach lieber für sich behalten. Diese Erfahrungen – die ich wohl mit vielen E-Teachern teile – haben mich dazu bewogen, aus der Praxis in die Forschung zu wechseln und diesem Problem näher auf den Grund zu gehen.

e-teaching.org: Welche Theorien liegen Deiner Arbeit zugrunde?

Behringer: Meine Forschung basiert im Wesentlichen auf zwei sozialpsychologischen Ansätzen: der sozialen Identifikation sowie der Erwartungs-Mal-Wert Theorie. Soziale Identifikation bedeutet, sich mit einer Gruppe zu identifizieren. Das kann die Gruppe der Lernenden sein, die eigene Abteilung oder auch die gesamte Organisation. Wenn man sich beispielsweise mit der Lerncommunity identifiziert, bedeutet das, gern zu dieser Community zu gehören und sich der Community verbunden zu fühlen. Forschung hat gezeigt, dass eine hohe Identifikation in Zusammenhang steht mit einer hohen Bereitschaft sich für die Gruppe zu engagieren. Dieses Engagement kann sich zum Beispiel auch in der Weitergabe von eigenem Wissen ausdrücken.

e-teaching.org: Und was hat es mit der Erwartungs-Mal-Wert-Theorie auf sich?

Behringer: Die Erwartungs-Mal-Wert Theorie besagt, dass die Motivation, ein bestimmtes Verhalten zu zeigen von der Erwartung abhängt, mit diesem Verhalten eine bestimmte Konsequenz zu erzielen sowie dem Wert, den man dieser Konsequenz beimisst. Angewendet auf die Motivation Wissen zu teilen, bedeutet dies, dass ich umso eher bereit bin mein Wissen zu teilen, je mehr ich mir davon einen bestimmten Nutzen erwarte und umso wichtiger mir dieser Nutzen ist. Wenn mir ein Blogbeitrag also zum Beispiel Reputation unter meinen Kommilitonen bringen kann, und mir deren Respekt etwas bedeutet, dann werde ich mich eher zu einem Beitrag hinreißen lassen.

e-teaching.org: Welche Hypothesen hattest Du dann für Deine Arbeit?

Behringer: Basierend auf diesen beiden Ansätzen habe ich angenommen, dass sich die soziale Identifikation auf das Engagement auswirkt, indem sie die Bewertungen sozialer Konsequenzen verändert. Wenn also ein Lerner hoch identifiziert ist mit der Lerncommunity, wird ihm das gemeinsame Ziel, nämlich dass die Mitglieder der Community etwas lernen, umso wichtiger. Dabei sollte es auch eine Rolle spielen, in wie weit sich die Lernplattform dafür eignet, dieses Ziel des gemeinsamen Lernens zu erreichen.

e-teaching.org: Wie hast Du dies untersucht?

Behringer: Ich habe insgesamt drei Studien durchgeführt. In einer Studie mit Studierenden habe ich die Scenario Technik angewendet. Dabei wurde den Studierenden im Rahmen eines Scenarios vermittelt, dass ihr Studiencurriculum zukünftig als Blended Learning umgesetzt werden wird. Anhand von Screenshots erfuhren die Studierenden über die geplanten Social Software Funktionalitäten einer Online Lerncommunity. In einem Online Fragebogen wurde im Anschluss die Bereitschaft erfragt, sich in dieser Online Lerncommunity zu engagieren. In zwei weiteren Studien wurden die Hypothesen im Unternehmenskontext untersucht.

e-teaching.org: Kannst Du schon zentrale Ergebnisse zusammenfassen?

Behringer: Insbesondere die Ergebnisse aus dem universitären Lernkontext zeigen, dass hoch identifizierte Studierende gemeinsamen Lernerfolg als wichtiger bewerten und deswegen eher bereit sind, ihr studienrelevantes Wissen an ihre Kommilitonen weiter zu geben. Dabei spielt auch die Eignung der Plattform eine Rolle: die Plattform bzw. deren Funktionalitäten sollten dazu geeignet sein, dieses Ziel des gemeinsamen Wissenserwerbs zu erreichen, dann wird diese auch genutzt. Neben der Passung zwischen Technologie und Lernziel spielt es dabei auch eine große Rolle, wie hoch die Studierenden ihre eigene Kompetenz einschätzen, mit der Technik umzugehen.

e-teaching.org: Könntest Du nach Deinen bisherigen Ergebnissen Empfehlungen dazu geben mit welchen Maßnahmen die Lernenden zur Beteiligung angeregt werden können?

Behringer: Zum einen sind Maßnahmen zu empfehlen, die die Identifikation der Studierenden mit der jeweiligen Lehrveranstaltung fördern. Je mehr sich ein Studierender beispielsweise mit einem Seminar identifiziert, desto eher wird er sein Wissen an die anderen Seminarteilnehmer weitergeben. Eine starke Bindung an ein Seminar lässt sich unter anderem dadurch erreichen, dass sich zu Beginn alle Seminarteilnehmer gegenseitig vorstellen.

Aber auch die Medienkompetenz der Studierenden ist als Erfolgsfaktor zu werten. Denn nur wer mit Wiki, Blog und Co. umgehen kann, wird sich mit einem eigenen Beitrag engagieren. Dabei ist es die Aufgabe der Lehrenden die Studierenden dort abzuholen, wo sie stehen und bei technischen Problemen unterstützend zur Seite zu stehen.

Des Weiteren kommt der Passung zwischen Technologie und Aufgabe bzw. Lernziel eine große Bedeutung zu. Nur wenn die Studierenden den Eindruck haben, dass sich beispielsweise das Wiki dazu eignet, ein gemeinsames Studienprojekt zu realisieren, werden sie Informationen im Wiki einstellen. Die Auswahl der richtigen Tools für die jeweiligen Aufgaben und Lernziele erfordert eine hohe methodische Kompetenz auf Seiten der Lehrenden.