Wissenschaft in Bildern
23.03.2016: Bilder und Filme werden in Forschung und Lehre zwar meist als wichtige Medien betrachtet – doch in der Regel geht man davon aus, dass sie nicht ohne geschriebene oder gesprochene Erläuterungen auskommen. Ein Gespräch mit Michael Hellermann, der sich in seiner Dissertation „Wissenschaft in Film und Fernsehen“ mit der Frage beschäftigt hat, wie wissenschaftliches Wissen in bildlichen Medien dargestellt werden kann
Interview: Philip Meyer & Simone Haug
Inhalt
Seite 1 – „Wissenschaft ist abstrakt, ein Bild oft relativ konkret“
Seite 2 – „Bildtypen, die sich dem Leistungsvermögen von Sprache nähern“
Seite 3 – „Allgemeinverständlicher Ausdruck verändert das Wissen“
Seite 4 – „Stärke von Videos: forschendes Lernen und rationale Veranschaulichung“
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„Wissenschaft ist abstrakt, ein Bild oft relativ konkret“
e-teaching.org: Herr Hellermann, Filme sind nicht die Wirklichkeit. Das ist den meisten Kino-Besucherinnen und -Besuchern ganz klar. Doch Sie weisen in Ihrer Dissertation darauf hin, dass dies auch auf nicht-fiktionale Filme zutrifft, und damit auch auf Filme, die Wissenschaft abbilden. Wie meinen Sie das?
Michael Hellermann: Medieninhalte sind nie die Wirklichkeit selbst, sondern immer medienspezifische Verweise auf unterschiedliche Aspekte von Wirklichkeit. Einfach gesagt: Ein Bild von einem Baum kann ich mir erst dadurch in ein Fotoalbum kleben, dass es einen historischen Wirklichkeitsausschnitt wahrnehmungsanalog nachbildet. Dass Medieninhalte sich von der Wirklichkeit, auf die sie sich beziehen, unterscheiden, bedeutet nicht, dass in audiovisuellen Medien keine wahrheitsfähigen Aussagen formuliert werden können. Wohl aber, dass unterschiedliche Medientypen in Abhängigkeit von den verwendeten Darstellungsformen unterschiedliche Verhältnisse zur Wirklichkeit etablieren und damit Wirklichkeit in Medien insgesamt also weniger repräsentiert, als vielmehr konstruiert wird. Mediale Kommunikationsvorgänge werden entsprechend stark von Prozessen der Selektion, der Konstruktion und eben auch von solchen der Abstraktion beherrscht.
e-teaching.org: Was bedeutet das für die mediale Darstellung wissenschaftlicher Inhalte?
Hellermann: Für Wissenschaftsfilme ist genau dieser Prozess der Abstraktion von besonderer Bedeutung, da die Wissenschaften intendieren – zumindest die Natur- und große Teile der Sozialwissenschaften –, Aussagen über allgemeine Zusammenhänge zu tätigen. Das wissenschaftliche Wissen ist demnach abstrakt und die Möglichkeit der Darstellung dieses Wissens abhängig von der Fähigkeit des Mediums abstrakte Sachverhalte artikulieren zu können. Mit den Sprachmedien einerseits und den Bildmedien andererseits verfügen wir über zwei Kategorien von Medien, die ein unterschiedlich hohes Leistungspotenzial in Bezug auf diesen Aspekt der Abstraktionsfähigkeit aufweisen.
e-teaching.org: Sie haben sich mit der Problematik auseinander gesetzt, wie sich abstrakte wissenschaftliche Inhalte filmisch transportieren lassen. Eine Möglichkeit, die oft praktiziert wird, ist es nicht auf Bilder, sondern auf Sprache zurückzugreifen, indem Interviews oder Vorträge gezeigt werden. Ist dies keine gute Lösung?
Hellermann: Der Rückgriff auf Sprache ist zunächst einmal Ausdruck einer Verlegenheit, in die man offensichtlich gerät, wenn man über allgemeine oder wissenschaftliche Sachverhalte kommunizieren möchte. Die Frage warum dies so ist, verrät einiges über die zuvor genannten unterschiedlichen Leistungspotenziale von Bild- und Sprachmedien. Fotografische und damit auch filmische Bilder zeichnen sich durch ihre Ähnlichkeit zur sichtbaren Oberfläche der empirischen Welt aus. Sie bilden Wirklichkeit in einer wahrnehmungsanalogen Detailfülle ab, bilden ihren technischen Konditionen entsprechend zunächst einmal also individuelle Objekte der sensorisch erfahrbaren Welt mimetisch ab. Das fotografische bzw. ikonische Bild ist damit relativ konkret. Es bezieht sich auf einen einmaligen historischen Ausschnitt der Wirklichkeit, der sich bei Einnahme einer entsprechenden Beobachtungsperspektive so oder ähnlich auch im Gesichtsfeld eines Betrachters hätte zeigen können.
e-teaching.org: Das scheint sich mit Wissenschaftlichkeit nicht gut vereinbaren zu lassen, oder doch?
Hellermann: Wissenschaftliche Inhalte sind üblicherweise von anderer Verfasstheit. Sie sind abstrakt. Das heisst sie bewegen sich in Distanz zur konkreten, raumzeitlich markierbaren Wirklichkeit, indem sie Aussagen über generelle Zusammenhänge formulieren und damit das individuelle Ereignis, den singulären Gegenstand unter einen allgemeinen Sachverhalt oder Begriff subsumieren. Das Gravitationsgesetz betrifft eben nicht nur einen einzigen Körper, sondern alle Körper ganz gleich, von welch individueller Beschaffenheit diese sind. Diese allgemeinen Beziehungen, um deren Ergründung es der Wissenschaft häufig geht, sind jedoch unsichtbar. Sie werden zunächst einmal kognitiv als Regelmäßigkeiten – als wiederkehrende Muster, Strukturen oder Prozesse – erfasst. Solche Verhältnisse lassen sich entsprechend schwer im fotografischen Bild darstellen, bzw. brauchen das Medium der Sprache oder der Formalsprache und die Form des theoretischen Begriffs, um sie auszudrücken – wie man an der dominant sprachlichen Konstitution des wissenschaftlichen Diskurses sieht. Wenn Interviews oder Vorträge über die Figur des Sprechers Sprache und Bild formlogisch miteinander koppeln und damit den für die Visualisierung von Wissenschaft problematischen Gegensatz von Abstraktion und Konkretion überwinden, erweisen sie sich als durchaus probate, weil eben auch einfach zu produzierende Mittel der audiovisuellen Wissenskommunikation. Die Vermittlung des wissenschaftlichen Inhaltes bleibt bei Verwendung solcher Darstellungsformen allerdings rein auf die Sprachebene reduziert.
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