Hybride Bibliothekseinführung per App – alternatives Individual-Angebot oder neue Wege in Gruppenveranstaltungen?
21.10.2022: An der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin wurden im Zuge der Corona-Pandemie Bibliothekseinführungen mit der App Actionbound eingeführt. Im folgenden Kurzbericht schildern Ute Arnold, Anja Herwig und Marcel Stehle ihre Erfahrungen sowohl mit der individuellen Nutzung des Angebots als auch mit der hybriden Lernraumerschließung in Gruppenveranstaltungen vor Ort.
Machen wir uns nichts vor: Bibliotheken und Literaturrecherche stehen im Bewusstsein von Studierenden nicht an vorderster Stelle, sind jedoch für ein erfolgreiches Studium wichtig. Wie also vermitteln wir unsere Informationen zielgerichtet an die, welche oft gar nicht den Bedarf dafür sehen? Diese Herausforderung stellte sich uns im Zuge der Corona-Pandemie umso mehr, als alle Präsenzveranstaltungen in den virtuellen Raum ausweichen mussten. Auch Gruppenführungen durch unsere Bibliotheksstandorte waren über längere Zeit nicht mehr möglich.
Als alternatives Individual- bzw. Zusatzangebot wurden mit der Actionbound-App interaktive Smartphone-Rallyes mit spielerischen Elementen konzipiert, um den Lernraum Bibliothek auf einer digitalen Ebene zu erschließen. Die sogenannten Bounds orientieren sich inhaltlich an den traditionellen Führungen für Studierende im ersten Semester, wobei die App die Rolle der vermittelnden Person einnimmt. Durch Quizfragen und kleine Aufgaben können verschiedene Orte und Services der Universitätsbibliothek spielerisch und auf eigene Faust erkundet werden. Die UB der HU Berlin bietet öffentlich zugängliche Actionbound-Touren für vier Bibliotheksstandorte sowie einen Bound mit Übungen zur Online-Recherche an.
Darüber hinaus wurden inzwischen auch mehrere Bounds für Gruppenschulungen und -führungen ausgearbeitet, die nicht frei zugänglich sind. Ein Spiel dauert, je nach Bibliotheksstandort und Wissensdurst, 20 bis 90 Minuten.
Sofern nach abgeschlossenen Spieldurchläufen schriftliches Feedback abgegeben wurde, war dieses durchgehend positiv.
„Sehr nice Idee! Bringt bisschen Abwechslung in den Coronaalltag. Gerne öfter solche Aktionen👍“ – Rückmeldung eines Studierenden via Actionbound-App
Unabhängig von der pandemischen Lage müssen wir nach zweijähriger Erfahrung dennoch konstatieren, dass die als unverbindliches Individual-Angebot konzipierten Actionbound-Touren kaum auf Resonanz bei den Studierenden stoßen. Die Nutzung ist trotz umfangreicher Öffentlichkeitsarbeit deutlich unter unseren Erwartungen geblieben. Im Gegenzug haben wir aber festgestellt, dass Bounds im Rahmen von zielgruppenorientierten Gruppenveranstaltungen ausgesprochen gut funktionieren. Woran liegt das?
Eine Barriere des freiwilligen Zusatzangebotes besteht darin, dass eine App installiert und sich mit der Funktionsweise auseinandergesetzt werden muss, um die Bibliothek und ihre Services zu erkunden. Dies geschieht aus Sicht der Spielenden, ohne dass vorher klar abschätzbar ist, welchen Nutzen dieses Angebot hat. Wir müssen davon ausgehen, dass unsere Nutzerinnen und Nutzer mit einem klaren Anliegen in die Bibliothek kommen: Sie wollen vor Ort arbeiten oder auf bestimmte Literatur zugreifen. Zeit für ein spontanes Zusatzangebot ist nicht vorgesehen und wird auch nicht investiert, weil nur selten eine intrinsische Motivation vorhanden ist, sich mit den Strukturen und Angeboten einer Bibliothek auseinanderzusetzen. Hinzu kommt, dass Bibliotheksnutzerinnen und -nutzer durch die Gewöhnung an Suchmaschinentechnologien ihre eigene Recherche- und Informationskompetenz häufig überschätzen.
Gruppenveranstaltungen vor Ort hingegen können die oben genannten Hürden überspringen und die Bibliotheksnutzerinnen und -nutzer da abholen, wo sie sind – z. B. in einem Oberstufenkurs oder einem Erstsemester-Tutorium. So haben wir mit Gruppen von Schülerinnen und Schülern, die kurz vor dem Abitur stehen, gute Erfahrungen mit diesem hybriden Lernraum gemacht. Die Teilnehmenden sollen sowohl die wissenschaftliche Literaturrecherche kennenlernen als auch Orientierung im Gebäude erlangen. Ein Teil der Gruppe wird im Schulungsraum unterrichtet, während der andere Teil die Bibliothek mobil via Actionbound-App erkundet. Im Gegensatz zur klassischen Gruppenführung ermöglicht es die Actionbound-Tour, dass sich die Bibliotheksneulinge – und nichts Anderes sind auch Studienanfängerinnen und -anfänger – selbständig und interaktiv mit den Einrichtungen, der Aufstellung der Bestände und Funktionsweise der Bibliothek vertraut machen. Bei diesem spielerisch und gemeinsam erworbenen Wissen ist nicht nur der Spaßfaktor in einer sonst eher formellen Umgebung bemerkenswert. Zur Überprüfung und Wiederholung des in der Veranstaltung vermittelten Wissens benutzen wir seit Jahren ein Quiz, das wir mit dem Online-Tool Kahoot erstellt haben. Die Ergebnisse zeigen uns, dass das über Actionbound angeeignete Wissen, im Gegensatz zu den früher durchgeführten Führungen, deutlich besser abrufbar ist.
„Tell me and I forget. Teach me and I remember. Involve me and I learn.“ – Benjamin Franklin
Das Konzept einer hybriden Veranstaltung in Form einer Actionbound-Tour in Kombination mit dem Angebot eines Austauschs mit (bibliothekarischem) Fachpersonal kann mit überschaubarem Aufwand für unterschiedliche Zielgruppen und Lernszenarien adaptiert werden. Ein nicht zu vernachlässigender Aspekt für alle Szenarien ist, dass die Vermittlung von Basisinformationen auf eine App verlagert werden kann. Somit wird zusätzlich Raum geschaffen für die Beantwortung individueller Fragen und fachspezifischer Anliegen der Kursteilnehmenden. Ein Gewinn, nicht zuletzt für die Lehrenden.
Weiterführende Informationen
Herwig, A. & Stehle, M. (2022). Smartphone-Rallye. Bibliothekseinführungen in Zeiten von Corona: ein Erfahrungsbericht. In Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin (Hrsg.), Jahresbericht 2021 (S. 16-21). Berlin: Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin. Verfügbar unter https://doi.org/10.18452/24850
Über die Autorinnen und Autoren
Ute Arnold ist Mitarbeiterin im Bereich Führungen und Schulungen an der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin.
Anja Herwig ist Fachreferentin für Informatik an der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin.
Marcel Stehle ist Mitarbeiter in der Abteilung Benutzung, Referat Information an der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin.
Entwurfsmuster zu diesem Praxisbeispiel
Zum Konzept der „Standortverknüpften Lernressourcen“ finden Sie auf e-teaching.org auch ein Entwurfsmuster im Repositorium „Hybride Lernräume“. In dieser Sammlung stellen wir Ihnen kleine, aber auch umfassendere Lösungen für die Gestaltung hybrider Lernräume in der Hochschullehre vor. Gestaltungselemente werden dabei jeweils detailliert erläutert und anhand von Beispielen veranschaulicht.