Erfahrungsbericht
Im Interview mit Lars Charbonnier und Norbert Wenderdel geht es um die unterschiedlichen Ausgangssituationen und um gemeinsame Ziele und Interessen.
e-teaching.org: Herr Charbonnier, welche E-Learning-Elemente setzen Sie in Ihren Lehrveranstaltungen ein und welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?
Charbonnier: Alle meine Lehrveranstaltungen werden durch einen Moodle-Kurs unterstützt. Die Möglichkeiten, die Moodle bietet, nutze ich je nach Lehrveranstaltung sehr unterschiedlich. Neben den Dokumentablagefunktionen nutze ich meistens Diskussionsforen und Abstimmungstools, z.B. für Meinungsbilder im Anschluss an Diskussionen oder organisatorisch zur Aufteilung von Referatsgruppen u.ä. In einigen Kursen kommen Wikis, Chats, Social-Bookmarking- und (Selbst)Test-Tools zum Einsatz. Im Rahmen des lehrveranstaltungsübergreifenden Kurses encyclop@diatheologica bildet das Glossartool die wesentliche Grundlage.
Die Erfahrungen sind sehr unterschiedlich. Ein Moodle-Kurs als Dateiablage wird mittlerweile fast erwartet, was ja auch schon eine Qualitätsverbesserung ist. Alle Werkzeuge, die stärker den interaktiven Charakter einfordern, machen häufig Schwierigkeiten. Das hat meines Erachtens wesentlich mit den sehr unterschiedlichen Kenntnissen und Erfahrungen der Studierenden zu tun. Überraschenderweise gibt es unter den Theologiestudierenden eine große Zahl, die noch nie gechattet haben oder wissen, wie man ein Wiki nutzt. Entsprechend viel Zeit und Energie ist für die Motivation der Teilnehmenden aufzubringen. Wenn eine gemeinsame Aufgabe über beispielsweise ein Webquest aber gut gelöst wurde, ist auch die Begeisterung groß und der Mehrwert der E-Learning-Elemente wird anerkannt.
e-teaching.org: Insgesamt wird an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der HU Berlin noch relativ wenig E-Learning verwendet. Woran liegt das?
Charbonnier: Neben den Studierenden sind auch die Dozierenden meist nicht so vertraut mit den Möglichkeiten des Online-Lehrens und Lernens. Ich denke, vielfach fehlt es an didaktischen Kenntnissen über den Einsatz dieser Medien, aber auch an eigenen Erfahrungen im Umgang mit ihnen. Hier sind sich Studierende und Dozierende gar nicht so unähnlich. Im größeren Horizont spielt sicher auch eine Rolle, dass die meisten Dozierenden sehr forschungsaktiv und publikationsproduktiv sind, sodass für die Lehre weniger Zeit bleibt. Da sind E-Learning-Elemente, die zumindest zu Beginn doch etwas mehr Zeitaufwand erfordern, auf den ersten Blick leider nicht attraktiv.
e-teaching.org: Herr Wenderdel, im Gegensatz zu den Erfahrungen von Herrn Charbonnier engagiert sich der Fachbereich Katholische Theologie der Goethe-Universität Frankfurt schon seit 2003 für den Einsatz digitaler Medien in der Lehre. Wie kam es dazu?
Wenderdel: Im Zuge der Neubesetzung durch Herrn Prof. Dr. Bernd Trocholepczy im Jahre 2003 wurde die Professur für Religionspädagogik umbenannt und trug danach den wichtigen Arbeitsschwerpunkt „Mediendidaktik“ bereits im Namen. Professor Trocholepczy machte es sich von Anfang an zur Aufgabe, netzgestütztes Lernen mit digitalen Medien am Fachbereich Katholische Theologie in einen gesamthochschuldidaktischen Zusammenhang zu stellen und bereits vorhandene E-Learning-Strukturen an der Goethe-Universität zu vernetzen. In diesem Zusammenhang wurde in den Lehrveranstaltungen zunächst die zentral vom Hochschulrechenzentrum zur Verfügung gestellte Lernplattform WebCT eingesetzt – damals durchaus noch ein Novum am Fachbereich. Inzwischen betreibt der Fachbereich in Zusammenarbeit mit der Abteilung studiumdigitale einen eigenen Server mit mehreren Lernplattform-Installationen auf Moodle-Basis, die von allen Professuren am Fachbereich, aber auch extern von Studienseminaren, anderen Universitäten und in der katholischen Erwachsenenbildung genutzt werden. In der Administration dieser Lernplattformen begleite ich die positive Resonanz der Benutzerinnen und Benutzer durch Beratung und Hilfe bei konkreten Problemstellungen.
Die Kooperation mit dem Hochschulrechenzentrum führte 2004 zur gemeinsam finanzierten Anschaffung eines 16-teiligen Notebook-Pools, der zwischenzeitlich erneuert und auf über 40 Geräte erweitert werden konnte. Die Notebooks sind seitdem als einheitliche technische Grundlage integrativer Bestandteil des Blended-Learning-Konzepts am Fachbereich: Lehrveranstaltungen können durch netzgestütztes Arbeiten direkt vor Ort angereichert werden. Dies schafft für Lehrende und Lernende eine ideale Verbindung von Präsenz- und Onlinephasen. Exemplarisch dafür steht das mit Landesmitteln geförderte Seminar Basis ReliPaed 2005/06, in dem Studierende in Kleingruppen religionspädagogische Basisbegriffe für Schülerinnen und Schüler der Mittelstufe elementarisierten und illustriert in Wiki-Artikeln umsetzten (http://wiki.studiumdigitale.uni-frankfurt.de/FB07_Basis_ReliPaed). Mit Hilfe des Notebook-Pools konnten die Studierenden sich schon während der Präsenzphasen bspw. die Wiki-Syntax gegenseitig erklären (Peer Tutoring) und waren dadurch für die Online-Phasen vorbereitet. Video-Konferenzen mit dem Projektpartner an der Universität Kassel ermöglichten zeitgleiche Präsenzphasen an den beiden unterschiedlichen Standorten.
Die E-Learning-Akteure am Fachbereich Katholische Theologie haben ihre Arbeit immer in den Kontext der Kooperation mit anderen Fächern, Universitäten und Projektpartnern gestellt, um Synergien aus den interdisziplinären Strukturen zu gewinnen. Das vom BMBF geförderte Projekt megadigitale zur hochschulweiten Etablierung des Lehrens und Lernens mit Neuen Medien war ein Meilenstein und bot dazu die besten Voraussetzungen. Während des Projekts sind auch durch meine Mitarbeit als Vertreter unseres Fachbereiches Kooperationen entstanden, die sich z.B. in gemeinsamen Seminarveranstaltungen u.a. mit dem Fachbereich Medizin (http://sand-seminar.christian-kietzmann.de) konkretisierten. Die hinreichend bekannten Tools wie Lernplattformen, WebQuests, Blogs, Wikis usw. erfüllten nicht nur den Zweck, die tägliche Hochschularbeit zu unterstützen, sondern sie waren auch Instrumente, um die E-Learning-Akteure und die Studierenden unterschiedlichster Fachrichtungen zusammen zu bringen und damit die Grundlage zu schaffen, das gemeinsame kreative Potenzial zu entfalten. Bei meiner Arbeit sehe ich die Tools auch heute in dieser Doppelfunktion.
e-teaching.org: Welche Schwerpunkte setzen Sie heute, nach der inzwischen bereits achtjährigen Erfahrung im Bereich E-Learning?
Wenderdel: Wir greifen in unseren Seminaren stets aktuelle Entwicklungen im Bereich der digitalen Medien auf und untersuchen zusammen mit unseren Studierenden deren Einsatzmöglichkeiten in religionspädagogischen Vermittlungszusammenhängen: Medienproduktion in Form von Podcasts, biblische Orte und Stätten mit Hilfe der Erdnavigationssoftware "Google Earth" auffindbar zu machen (Projekt BibleWorld, http://www.relpaed.uni-frankfurt.de/Netzgestuetztes_Lernen/), stehen exemplarisch für diesen programmatischen Blick auf die digitalen Medien. Zur Zeit erproben wir mit Lehramtsstudierenden außerdem die didaktischen Perspektiven von interaktiven Whiteboards, von denen am Fachbereich zwei für den Hochschulbetrieb im Einsatz sind.
Einen wichtigen Arbeitsschwerpunkt an der Professur bildet bereits seit 2005 das Religionspädagogische Portal der Katholischen Kirche rpp-katholisch.de (http://www.rpp-katholisch.de), für das ich neben meinen Aufgaben am Fachbereich in der dreiköpfigen Redaktion tätig bin. Ziel dieses Internetportals im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz ist es, katholischen Religionslehrerinnen und –lehrern unterrichtsrelevante Medien sowie berufsgruppenspezifische Nachrichten und Termine an zentraler Stelle zur Verfügung zu stellen. Ergänzt wird dieses zunächst klassische Web 1.0-Konzept durch eine Lernplattform auf Moodle-Basis, in der wir interessierten Kooperationspartnern Kurse einrichten. Die Öffentlichkeitsarbeit für rpp-katholisch.de bewegt sich dabei auf den zeitgemäßen Pfaden sozialer Netzwerke im Internet: Die rpp-katholisch.de-Freunde finden eine Präsenz auch im Netz auf Facebook, Twitter versorgt unsere stetig wachsende Community mit den aktuellen News.
Social Networking als Element des Web 2.0 ist ein weiterer Arbeits- und Forschungsschwerpunkt an unserer Professur: Während Aufgabenstellungen, Materialdistribution und Ergebnispräsentationen in unseren Seminaren beinahe schon „klassisch“ routiniert über die diversen Lernmanagementsysteme erfolgen, nehmen wir seminarbegleitend beispielsweise Facebook als lebensweltliche Vernetzungsplattform für Studierende mit in unsere didaktischen Szenarien – und haben somit die Lernsituation der Studierenden in die bereits vorhandenen sozialen Orte der jungen Generation integriert.
Nicht nur aus cyberphilosophischer Sicht, sondern auch didaktisch eine Herausforderung sind für uns 3D-Welten: Das LIVE-Projekt (Learning in Virtual Environments) stellt in Form von SL-Quests auf Second Life entdeckende Lernszenarien in 3D zur Verfügung: Hier können Interessierte – repräsentiert durch ihre Avatare – unter virtueller Überwindung geographischer Grenzen im Dialog mit anderen Religionen lernen.
e-teaching.org: Sie beide setzen sich für E-Learning ein. Ist das ein grundsätzliches Interesse für Medieneinsatz in der Hochschullehre, oder sehen Sie auch spezielle Anknüpfungspunkte in der Theologie – bzw. auch in Ihrem konkreten Fachbereich, der Praktischen Theologie bzw. der Religionspädagogik?
Charbonnier: Die (Praktische) Theologie bildet überwiegend zukünftige Pastorinnen und Pastoren sowie Lehrerinnen und Lehrer aus. Kommunikationskompetenz und der Umgang mit den aktuellen Medien sind in beiden Fällen von immenser Bedeutung. Die Geschichte der Theologie ist selbst eng mit der Geschichte der Medien verknüpft. Allein aus berufsbezogenen Gründen halte ich den Einsatz deshalb für sinnvoll. Darüber hinaus sind natürlich Fähigkeiten wie das gemeinsame Arbeiten im Team oder das anschauliche und nachhaltige Aufbereiten von Informationen nicht nur in diesen Berufen von großer Bedeutung, sondern auch für den Studienerfolg wichtig.
Wenderdel: An der Goethe-Universität Frankfurt bildete die Katholische Theologie zusammen mit den Fachbereichen Geowissenschaften/Geographie, Informatik/Mathematik und Medizin die erste Projektstufe von megadigitale, das während der dreijährigen Projektlaufzeit nachhaltige Strukturen für Lehr-/Lernszenarien mit digitalen Medien an allen Fachbereichen aufbaute. Berücksichtigt man diesen Prozess, den die Katholische Theologie mitbegründet und aktiv gestaltet hat, so spiegelt er mehr als ein grundsätzliches Interesse wider. So wurde in der Folge speziell für Lehramtsstudierende am Zentrum für Lehrerbildung, Schul- und Unterrichtsforschung (ZLF) der Goethe-Universität unter impulsgebender Mitgliedschaft unseres Fachbereichs das Medienkompetenzzertifikat entwickelt – Studierende können auch in der Katholischen Theologie durch ihre Mitarbeit in akkreditierten Lehrveranstaltungen CreditPoints erwerben. Seit dem Ende des Projekts finanziert der Fachbereich mit einer halben Wissenschaftlichen Mitarbeiter-Stelle einen E-Learning-Beauftragten – zur Zeit stehe ich den Lehrenden und Studierenden in diesem Aufgabenfeld zur Verfügung.
Die Grundlage unseres praktisch vermittelten Plädoyers für den Einsatz digitaler Medien in der Religionspädagogik bildet immer unsere Überzeugung, dass die Lebenswelten junger Menschen der Hintergrund jeder Glaubensvermittlung bzw. der Vermittlung von Glaubenswissen sind: „Der Glaube soll im Kontext des Lebens vollziehbar, und das Leben soll im Licht des Glaubens verstehbar werden“ (Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland 1971-1975, Beschluss zum Religionsunterricht, 2.4.2). Digitale Medien sind nicht nur einfache Werkzeuge, sondern sie sind Bestandteil der Lebenswelt junger Generationen. Die Religionspädagogik darf diese Entwicklung nicht ausblenden, sondern muss sie praktisch und wissenschaftlich begleiten und in ihre Arbeit integrieren.
e-teaching.org: Herr Wenderdel, welche Erfahrung aus Ihrer Arbeit würden Sie als besonders hilfreich beim Aufbau von E-Learning-Strukturen benennen? Was wäre vielleicht auch interessant für Herrn Charbonnier?
Ich möchte aus meiner praktischen Erfahrung hier noch einmal die Chance in den Blick nehmen, sich mit anderen E-Learning-Akteuren an der gleichen Hochschule oder darüber hinaus zu vernetzen. Gerade dies habe ich in meiner eigenen Arbeit stets als förderlich erlebt; dadurch sind kreative Prozesse in interdisziplinären Kooperationen in Gang gesetzt worden. Ich bin sicher, dass es solche Strukturen z.B. auch an der Humboldt-Universität zu Berlin gibt. Vielleicht ist dieses Interview ja gerade der Auftakt zu einer Vernetzung zwischen Berlin und Frankfurt am Main, wer weiß? Ich würde das begrüßen.
e-teaching.org: Was gefällt Ihnen beiden am E-Learning besonders?
Charbonnier: Mich reizt einerseits insbesondere die Möglichkeit, thematisch fokussiert und dennoch zeitlich entzerrt miteinander diskutieren zu können. Im Sinne der Portfolio-Arbeit würde ich gern Konzepte entwickeln, die die Beschäftigung mit bestimmten Themen über die Dauer des Studiums hinweg ermöglichen und so auch die Entwicklung persönlicher theologischer Profile nachvollziehbar macht. Das wäre meines Erachtens für viele Beteiligte interessant. Andererseits wäre es mir ein Anliegen, nicht nur an der Universität, sondern auch im Bereich der beruflichen Fort- und Weiterbildung im theologischen Bereich E-Learning-Elemente zu implementieren.
Wenderdel: Ich finde es besonders spannend, aktuelle Entwicklungen in diesem Bereich kontinuierlich begleiten zu dürfen, aus religionspädagogischer Perspektive aufzugreifen und daraus mit Studierenden Lehr-/Lernszenarien zu entwickeln, die für ihr späteres Berufsfeld - bei uns ist dies der Schwerpunkt Schule - hilfreich sind. Profitieren können von unserer Arbeit katholische Religionspädagoginnen und -pädagogen im deutschsprachigen Raum, da wir viele der Produkte aus unseren Veranstaltungen auf rpp-katholisch.de einer breiteren Zielgruppe zugänglich machen. Einen Akzent bei unserer weiteren Arbeit werden wir sicherlich auch auf die Erforschung der sozialen Netzwerke als Ort der Kommunikation junger Menschen setzen.