Zwischen konstruktiver Konkurrenz und Zusammenarbeit: Föderale E-Learning-Politik in Deutschland

17.10.2016: In mehreren deutschen Bundesländern wird die Digitalisierung der Hochschullehre durch Ländereinrichtungen gefördert. Deren Zielsetzungen, Angebote, Organisationsstrukturen und Fördermodelle sind föderal vielfältig. Im Gespräch mit Dr. Paul Rühl (vhb) und Dr. Norbert Kleinefeld (ELAN e.V.) geht es um die Unterstützung von E-Learning an Hochschulen durch politische Maßnahmen auf der Ebene der Bundes und der Länder - und um Möglichkeiten der Kooperation über die Ländergrenzen hinaus.

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Dr. Paul Rühl (Virtuelle Hochschule Bayern), Dr. Norbert Kleinefeld (ELAN e.V.)

Inhalt

Seite 1 - Die Bedeutung der politischen Förderung für die digitale Hochschullehre
Seite 2 - Aufgaben, Strukturen und besondere Merkmale der vhb und des ELAN e.V.
Seite 3 - Unterschiede zwischen den deutschen E-Learning-Ländereinrichtungen und Möglichkeiten der Zusammenarbeit

Seite 1/3: Die Bedeutung der politischen Förderung für die digitale Hochschullehre

Die beiden Gesprächspartner im folgenden Interview vertreten als Geschäftsführer zwei Einrichtungen, die auf der Ebene eines Bundeslandes tätig sind und den Einsatz digitaler Medien in der Hochschullehre dieses Landes unterstützen: Dr. Paul Rühl die Virtuelle Hochschule Bayern (vhb) und Dr. Norbert Kleinefeld den ELAN e.V., das eLearning Academic Network des Landes Niedersachsen.

e-teaching.org: Sie beide waren schon früh dabei, als es darum ging, den Einsatz von Medien in der Hochschullehre zu fördern. Im Rückblick betrachtet: Wie beurteilen Sie die bisherigen Fördermaßnahmen des Bundes oder anderer Geldgeber?

Norbert Kleinefeld: Zunächst begrüße ich grundsätzlich entsprechende Fördermaßnahmen des Bundes oder anderer Geldgeber, denn sinnvolle Veränderungsprozesse z. B. zur Ermöglichung des Einsatzes digitaler Medien in der Hochschullehre erfordern i. d. R. am Anfang einen erhöhten Ressourcenbedarf in den Hochschulen. Die geförderten Projekte des Programms „Neue Medien in der Bildung“ Anfang des neuen Jahrtausends haben zunächst eine „Türöffner-Funktion“ für das Thema digitale Hochschullehre übernommen. Leider waren die Projekte nicht sehr gut untereinander innerhalb und außerhalb der Hochschulen vernetzt, es gab daher viele „solitäre Diamanten“. Kriterien wie Nachhaltigkeit, Verstetigung oder Niedrigschwelligkeit der Angebote, Strukturen oder Werkzeuge zur praktischen Verbesserung der Qualität der Hochschullehre wurden erst in späteren Förderprogrammen gezielter und stärker eingefordert.

Paul Rühl: Die bisher wichtigste Fördermaßnahme war das BMBF-Programm „Neue Medien in der Bildung“. Dieses Programm hat dazu beigetragen, an vielen deutschen Hochschulen E-Learning-Kompetenzen aufzubauen. Leider wurde zu wenig dafür getan, dass diese Kompetenzen auch eine dauerhafte Wirkung entfalten konnten. In welchem Umfang nicht nur Forschende und Entwickelnde, sondern auch Studierende von den Ergebnissen dieses Förderprogramms profitiert haben, ist unklar geblieben. Das BMBF selbst war nach meinem Eindruck mit den Ergebnissen dieses Programms nicht wirklich zufrieden - jedenfalls wurde die Content-Entwicklung anschließend kaum noch gefördert. Die Hochschulen blieben daher weitgehend auf sich allein gestellt, und die Entwicklung neuer E-Learning-Angebote ging eher zurück.

e-teaching.org: Wie wichtig ist es für die Hochschulen Ihres Landes, dass E-Learning auf Länderebene unterstützt wird?

Paul Rühl: Die Förderung durch das Land ist für die Kooperation der bayerischen Hochschulen von ausschlaggebender Bedeutung. Ganz besonders gilt das für die hochschulübergreifende Nutzung von E-Learning-Angeboten mit der notwendigen Betreuung. Nach unserer Erfahrung arbeiten die meisten Studierenden dann erfolgreich mit umfangreichen Online-Kursen, wenn sie in diesen Kursen individuell von Tutoren betreut werden. Diese Betreuung muss finanziert werden, und keine Hochschule hat die Mittel, Teilnehmende von anderen Hochschulen mit zu betreuen. Deshalb ist die zentrale Finanzierung der hochschulübergreifenden Betreuung notwendig.

Norbert Kleinefeld: Eine dauerhafte Begleitung der o. g. Veränderungsprozesse ist m. E. für eine gewisse Zeit unerlässlich, um eine erfolgreiche Stabilisierung der Veränderungen zu erreichen, den es geht nicht nur um Veränderungen z. B. im Bereich der Technik, sondern es handelt sich hier um einen ganzheitlichen Kulturwandel. Die Prozesse der Etablierung von E-Learning und Digitalisierung gehen mit tiefgreifenden Veränderungen im Sinne der Organisationsentwicklung in den Hochschulen einher.

e-teaching.org: Wie schätzen Sie den Stand des Medieneinsatzes in der Hochschullehre Ihres Bundeslandes ein?

Norbert Kleinefeld: Es liegen hier keine genauen quantifizierbaren Ergebnisse vor, da die Hochschulen in diesen Bereichen autonom agieren. Neben der Geräte-Durchdringung bei den Studierenden, die sich an niedersächsischen Hochschulen im bundesrepublikanischen Durchschnitt bewegen, gibt es viele aktive Lehrende, die für ihre innovativen Lehrszenarien auch bundesweit schon ausgezeichnet worden sind. Bei dem größeren Teil der Lehrenden ist aber weiterhin intensive Überzeugungsarbeit zu leisten. Hier sei auf das BMBF-geförderte Projekt eCULT+ verwiesen, wo entsprechende Anstrengungen auf breiter Ebene unternommen werden.

Paul Rühl: Einen vollständigen Überblick über den Medieneinsatz in der Lehre der einzelnen bayerischen Hochschulen habe auch ich nicht. Die vhb kümmert sich um die hochschulübergreifende Online-Lehre. Viele unserer Trägerhochschulen nutzen daneben unabhängig von der vhb unterschiedliche Formate des Blended Learning für ihre eigenen Lehrangebote. Diese Aktivitäten der Einzelhochschulen und die Förderung der hochschulübergreifenden Online-Lehre durch die vhb stärken einander. Deshalb gehe ich davon aus, dass die bayerischen Hochschulen in der digitalen Lehre überdurchschnittlich gut aufgestellt sind. Ein Indiz dafür: Unter den acht Finalisten des Ars legendi-Preises 2015, der für herausragende und innovative Leistungen im Bereich des Digitalen Lehrens und Lernens verliehen wurde, waren Lehrende von fünf bayerischen Hochschulen. Andererseits gilt auch für Bayern: es ist noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Ich würde mich sehr freuen, wenn mehr Lehrende diese Form der Lehre kennen lernen. Die vhb bietet allen Lehrenden ihrer Trägerhochschulen Gastzugänge zu den Kursen an. Auch außerbayerische Lehrende, die an einer Kooperation interessiert sind, können Gastzugänge erhalten..

e-teaching.org: Bevor Ihre beiden Einrichtungen, die ja beide auf der Ebene Ihres Bundeslands operieren, etwas ausführlicher vorgestellt werden, noch die Frage: Welche Vorteile – und welche Nachteile – hat die föderale Organisation des Bildungswesens in Deutschland? Was sind die Vorteile für die Unterstützung der digitalen Hochschullehre?

Norbert Kleinefeld: Nachteilig ist in jedem Fall, dass eine länderübergreifende Zusammenarbeit z. B. aktuell noch nicht zentral durch den Bund unterstützt werden kann. Hier greifen bisher nur zeitlich und thematisch begrenzte Projekte wie z. B. aktuell im Bereich Open Educational Resources. Auch verwaltungstechnisch ist es nicht möglich, finanzielle und anderweitige Ressourcen über Ländergrenzen hinweg auszutauschen. Auch gestaltet sich eine Übertragung von Praxiserfahrungen oftmals schwierig. Die föderale Organisation hat auf der anderen Seite den Vorteil, dass unterschiedliche Modelle der Unterstützung entwickelt und erprobt werden können. So haben sich in unterschiedlichen Ländern z. B. unterschiedliche Rechtsformen der dort eingesetzten Landeseinrichtungen entwickelt, die im Rahmen ihrer Schwerpunktsetzungen auch seit Jahren gut funktionieren. Auch in den Hochschulen selbst wurden unterschiedliche Ansätze entwickelt, die sich für einen Austausch auf der Arbeitsebene gut eignen.

Paul Rühl: Deutschlands föderale Struktur bietet grundsätzlich große Vorteile. Gerade im Bildungswesen könnte eine konstruktive Konkurrenz um die besten Lösungen viel Gutes bewirken. Zur konstruktiven Konkurrenz in einem föderalen System sollte aber auch die Bereitschaft gehören, gute Lösungen zu übernehmen, die anderswo entwickelt wurden. Diese Bereitschaft scheint mir deutschlandweit noch ausbaufähig.

 

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Dieser Erfahrungsbericht ist Teil des Themenspecials Bildungspolitik im digitalen Zeitalter.