Digitale Medien in der naturwissenschaftsdidaktischen Lehrkräftebildung

14.05.2020: Im Sommersemester 2020 startet an der Leuphana Universität Lüneburg das von der Joachim Herz Stiftung geförderte Projekt „FoLe – Digital“ (Forschendes Lernen mit digitalen Medien) in dem eine systematische Verankerung digitaler Medien in der naturwissenschaftsdidaktischen Lehrkräftebildung angestrebt wird. Ziel ist es, Lehramtsstudierenden die nötigen Medienkompetenzen zu vermitteln, um die teilweise sehr speziellen digitalen Angebote für den naturwissenschaftlichen Unterricht gezielt auszuwählen, in ihrem zukünftigen Unterricht im Sinne des Forschenden Lernens zu implementieren und zu reflektieren. Im Interview erläutern Dr. Lisa Stinken-Rösner und Prof. Dr. Simone Abels die speziellen Anforderungen naturwissenschaftlichen Unterrichtens mit digitalen Medien und wie diese im Rahmen der naturwissenschaftsdidaktischen Module an der Leuphana erarbeitet werden.

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Interview

Hinweis: Es handelt sich um das Transkript des Podcasts in voller Länge.

Bildbeschreibung (1 - 3 Wörter)
Prof. Dr. Simone Abels und Dr. Lisa Stinken-Rösner

Heute darf ich Dr. Lisa Stinken-Rösner und Prof. Dr. Simone Abels von der Leuphana Universität Lüneburg begrüßen. Im Sommersemester 2020 startet an der Leuphana das von der Joachim Herz Stiftung geförderte Projekt „FoLe – Digital“ oder auch „Forschendes Lernen mit digitalen Medien“ in dem eine systematische Verankerung digitaler Medien in der naturwissenschaftlichen Lehrkräftebildung im Bachelorstudium angestrebt wird. Ich freue mich sehr darüber, dass die beiden sich bereit erklärt haben, uns heute mehr darüber zu berichten. Mich würde zunächst einmal interessieren, wie die Lehrkräftebildung an der Leuphana organisiert ist und welche Rolle digitale Medien im Bachelorstudium dabei spielen?

Simone Abels: Das Bachelorstudium beginnen alle Studierenden an der Leuphana Universität Lüneburg mit dem sogenannten Leuphana Semester, in dem sie zunächst methodische und auch studienrelevante Grundlagen erlernen, die sie dann für ein erfolgreiches Studium benötigen. Gleichzeitig besuchen sie fachwissenschaftliche und fachdidaktische Module passend zu ihren gewählten Unterrichtsfächern sowie allgemeinpädagogische und psychologische Veranstaltungen. Den Abschluss des Grundstudiums stellt dann die Bachelorarbeit im sechsten Semester dar. Im daran anschließenden Master absolvieren die Studierenden vertiefende fachwissenschaftliche und fachdidaktische Veranstaltungen sowie die Praxisphase, ein einsemestriges Praktikum, in einer Schule in der Umgebung von Lüneburg mit Vorbereitungs-, Begleit- und Nachbereitungsseminar. Speziell im naturwissenschaftlichen Bereich bilden wir Grundschullehrkräfte mit dem Fach Sachunterricht und Haupt- und Realschullehrkräfte in den Fächern Biologie und Chemie aus.

Lisa Stinken-Rösner: In den Lehramtsstudiengängen sind digitale Medien bereits an verschiedenen Stellen im Bachelorstudium integriert. Im Leuphana Semester beispielsweise haben die Studierenden die Möglichkeit, sich allgemein erstmal mit digitalen Medien auseinander zu setzen. Inhaltliche Schwerpunkte sind hierbei zum Beispiel unterschiedliche Programmiersprachen, die Datenanalyse sowie rechtliche und auch ethische Rahmenbedingungen und die kreative Gestaltung und Visualisierung von verschiedensten Daten. Im Professionalisierungsbereich besuchen die Studierenden im zweiten und dritten Semester ein Modul, dass sich unter anderem mit der „Medienbildung“ auseinandersetzt. In den dazugehörigen allgemein-pädagogischen Veranstaltungen erwerben sie medienpädagogische Kompetenzen, um das Lernen MIT aber auch ÜBER digitale Medien in der Schule anregen und unterstützen zu können. Hierbei geht es hauptsächlich um eine kritische Auseinandersetzung mit den Inhalten, empirische Studien zur Medienbildung sowie praktische Einsatzmöglichkeiten von Medien im Unterricht. Da es sich bei all diesen Angeboten jedoch bisher um fächerübergreifende Veranstaltungen handelt, ist es häufig nicht möglich, die Besonderheiten der unterschiedlichen Fachdomänen entsprechend zu berücksichtigen. Eine Vertiefung der für die jeweiligen Unterrichtsfächer nötigen Medienkompetenzen findet daran anschließend in den fachdidaktischen Veranstaltungen der einzelnen Fächer statt.

Hier möchte ich gerne direkt anschließen. Welche speziellen Medienkompetenzen benötigen Lehrer und Lehrerinnen und Schüler und Schülerinnen im Allgemeinen? Und was sind Ihrer Ansicht nach die Besonderheiten in den naturwissenschaftlichen Fächern?

Simone Abels: Die Kultusministerkonferenz hat in ihrer Strategie zur „Bildung in der digitalen Welt“ verschiedene Kompetenzen zusammengefasst, die zum einen Schüler und Schülerinnen am Ende ihrer Schulzeit erworben haben sollen, und zum anderen angehende Lehrkräfte in ihrem Studium erwerben müssen, um diese Kompetenzen erfolgreich zu vermitteln. Die „Kompetenzen in der digitalen Welt“, die Schüler und Schülerinnen im Laufe ihrer Schulzeit erwerben sollten, lassen sich in sechs Bereiche gliedern (s. Abbildung 1):

  • Suchen, Verarbeiten und Aufbewahren,
  • Kommunizieren und Kooperieren,
  • Produzieren und Präsentieren,
  • Schützen und sicher Agieren,
  • Problemlösen und Handeln sowie
  • Analysieren und Reflektieren.

Um diese Kompetenzen erfolgreich zu vermitteln, müssen angehende Lehrkräfte sowohl über eine allgemeine Medienkompetenz verfügen als auch gleichzeitig „Experten und Expertinnen“ in Bezug auf den Einsatz digitaler Medien in ihrem Fach sein. Das heißt, sie sollen digitale Medien im Fachunterricht didaktisch sinnvoll auswählen, einsetzen und reflektieren können. Hierbei spielen die fachspezifischen Zugänge eine besondere Rolle. Der naturwissenschaftliche Unterricht unterscheidet sich von den anderen Unterrichtsfächern nicht nur durch die jeweiligen Inhalte, sondern auch stark in den Denkweisen und Arbeitsformen. In den Bildungsstandards für den mittleren Schulabschluss finden sich neben dem Fachwissen die prozessbezogenen Kompetenzbereiche Erkenntnisgewinnung, Kommunikation und Bewertung (s. Abbildung 1). Das Fachwissen unterscheidet sich dabei natürlich für Biologie, Chemie und Physik, die prozessbezogenen Kompetenzen sind in allen drei Fächern jedoch sehr ähnlich. Zum Bereich der Erkenntnisgewinnung zählen zum Beispiel die spezifischen Denk- und Arbeitsweisen wie die Arbeit mit Modellen, die Mathematisierung von Problemen oder die Rolle des Experimentes in den Naturwissenschaften. Experimente werden im Unterricht durchgeführt, um Naturphänomene zu untersuchen und neue Erkenntnisse zu gewinnen. Allein das Experiment beinhaltet sehr viele unterschiedliche Arbeitsschritte: Das Aufstellen von Forschungsfragen und Hypothesen, die Planung eines passenden Versuches, die Durchführung, die Dokumentation der Beobachtungen zum Beispiel, indem verschiedene Messungen durchgeführt und Messwerte aufgenommen werden, die Analyse und Interpretation der Daten sowie eine Ergebnisdiskussion. Eine weitere Besonderheit des naturwissenschaftlichen Unterrichtes ist die Sprache und die Kommunikation naturwissenschaftlicher Inhalte. Die Fachsprache unterscheidet sich stark von unserer Alltagssprache, sie ist sehr präzise und technisch geprägt. Es werden sehr viele für Schüler und Schülerinnen unbekannte Begriffe verwendet aber auch Begriffe, die wir im Alltag zwar benutzen, die im naturwissenschaftlichen Unterricht dann aber auf einmal eine ganz andere Bedeutung haben. Die Fachsprache kann also als eine Fremdsprache gesehen werden, die Schüler und Schülerinnen zunächst erlernen müssen. Den letzten Kompetenzbereich stellt die Bewertung dar. Hierbei geht es zum einen darum den Bezug zwischen Alltag und Naturwissenschaften zu erkennen, aber auch gesellschaftlich relevante Themen aus unterschiedlichen Perspektiven zu diskutieren und aus fachlicher Sicht zu bewerten.

Lisa Stinken-Rösner: Wenn man jetzt die digitalen Kompetenzen und die Kompetenzen des naturwissenschaftlichen Unterrichts zusammen denkt findet man viele Anknüpfungspunkte für den naturwissenschaftlichen Unterricht. Beispielsweise können im Rahmen der Erkenntnisgewinnung digitale Medien beim Experimentieren oder der Arbeit mit Modellen eingebunden werden. Hier gibt es sehr spezielle Angebote wie digitale Messwerterfassungssysteme, in Smartphones integrierte Sensoren oder auch digitale Mikroskope. Durch den Umgang mit diesen digitalen Medien selbst, aber auch bei der Weiterverarbeitung der aufgenommenen Daten können Schüler und Schülerinnen grundlegende digitale Kompetenzen und gleichzeitig für die Naturwissenschaften typische Arbeitsweisen erwerben. Ein weiteres Beispiel ist die Arbeit mit Modellen. Durch die Nutzung von Simulationen, Modellierungssoftware oder Virtual Reality in dem naturwissenschaftlichen Unterricht können die Schüler und Schülerinnen ihre Fähigkeiten im Problemlösen mit Hilfe digitaler Medien vertiefen.

Der Bereich Kommunikation selbst findet sich sogar explizit in den digitalen, als auch in den prozessbezogenen Kompetenzen. Hier bieten sich verschiedenste Möglichkeiten für den naturwissenschaftlichen Unterricht an: Von der Erstellung von Erklärvideos und Science Blogs und der Aufbereitung fachwissenschaftlicher Inhalte für ein breites Publikum, über das Erstellen von Wikis, bis hin zur fachlichen Darstellung von Forschungsergebnissen, z. B. in Form von online zugänglichen Forschungsberichten.

Auch im Bereich der Bewertung sind verschiedenste Möglichkeiten digitale Medien zu nutzen, oder digitale Kompetenzen auszubauen. Zum Beispiel können Informationen online recherchiert werden. Dabei muss gleichzeitig die Vertrauenswürdigkeit der Quellen geprüft werden, was zum kritischen Umgang mit digitalen Medien beiträgt. Ein Beispiel ist hier das Erkennen von Fake News, die immer wieder in verschiedensten Social-Media-Kanälen verbreitet werden. Aktuelle Beispiele sind unter andrem Fake News über den Einfluss des Menschen auf den Klimawandel oder zum Thema Recycling.

Zudem stellen sich beim Agieren im Internet grundsätzliche Fragen wie zum Beispiel „wie kann ich meine Daten angemessen schützen?“ oder „ob und wie darf ich Bilder, Videos oder Texte von anderen überhaupt verwenden?“. Auch bei der Vermittlung von Fachwissen gibt es natürlich verschiedenste Möglichkeiten digitale Medien zum Lernen zu nutzen und gleichzeitig den Umgang mit diesen zu erlernen. Denken Sie zum Beispiel an E-Books, die individuell angepasst werden können durch Links, Videos oder auch Augmented Reality-Erweiterungen. Sie sehen, es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, wie digitale Medien zum einen die Schüler und Schülerinnen beim Lernen von naturwissenschaftlichen Fachinhalten unterstützen können und zum anderen von den Lehrkräften gezielt eingesetzt werden können, um auch die digitalen Kompetenzen der Schüler und Schülerinnen angemessen zu fördern. Damit dies aber auch gelingen kann, müssen angehende Lehrkräfte erst einmal selbst mit den digitalen Medien umgehen können. Die Besonderheit im Vergleich zu anderen Fächern ist hier, dass Lehrkräfte nicht nur mit spezieller Software, sondern auch mit spezieller Hardware im Unterricht umgehen müssen. Es geht also um die Bedienung von Programmen UND von Geräten, was für viele Lehrkräfte häufig schon die erste Barriere darstellt. Dabei stellt sich natürlich auch die Frage, wie viel Lehrkräfte und Lernende über die Geräte wissen müssen, mit denen sie arbeiten. Auch müssen Lehrkräfte sich im Klaren darüber sein, an welchen Stellen ihres Unterrichts sie einen Mehrwert durch die Nutzung digitaler Medien erzeugen können. Also „wie können sie digitale Medien nutzen, um auf die Besonderheiten des naturwissenschaftlichen Unterrichts und die damit häufig verbundenen Probleme für die Schüler und Schülerinnen einzugehen?“

Abbildung 1
Abb. 1: Zusammenspiel der Kompetenzen in der digitalen Welt (KMK, 2017) und der prozessbezogenen Kompetenzen in den Naturwissenschaften (KMK, 2015)

Und wie können angehende Lehrkräfte diese speziellen Kompetenzen, die sie für den Einsatz digitaler Medien in den naturwissenschaftlichen Fächern benötigen, an der Leuphana Universität Lüneburg erwerben?

Lisa Stinken-Rösner: An der Leuphana Universität Lüneburg setzen wir uns mit dem Einsatz digitaler Medien im vierten und fünften Semester in den fachdidaktischen Modulen verstärkt auseinander. Im vierten Semester besuchen Grund- und Sekundarstufenstudierende gemeinsam das Modul „Naturwissenschaften Lehren und Lernen“, bestehend aus einer Vorlesung und einem Seminar. In jeder Semesterwoche dieser Veranstaltung wird ein zentraler Aspekt der Naturwissenschaftsdidaktik behandelt, zum Beispiel das Experimentieren, Fachsprache, Erklären oder auch digitale Medien. Im kommenden Semester findet die Themenwoche zu digitalen Medien direkt in der zweiten Semesterwoche statt. Hier beschäftigen wir uns zunächst mit den Fragen, welche digitalen Medien es für den naturwissenschaftlichen Unterricht gibt, wie diese integriert werden können und welche Vorteile und gegebenenfalls auch Barrieren und Risiken der Einsatz mit sich bringt. Es geht also zunächst einmal um die Vermittlung theoretischer Grundlagen zur Mediennutzung mit Fokus auf den naturwissenschaftlichen Unterricht. Neu sind in diesem Semester die sogenannten ‚digitalen Ergänzungen‘, die es in den folgenden Themenwochen jeweils geben wird. Wir haben zu jedem zentralen Aspekt der Veranstaltungen verschiedene digitale Medien ausgewählt, die wir den Studierenden zunächst vorstellen werden, gemeinsam mit ihnen erproben und anschließend den Einsatz im Unterricht diskutieren werden. Beim Thema Experimentieren werden wir uns beispielsweise mit verschiedenen digitalen Messwerterfassungssystemen beschäftigen, beim Erklären mit Erklärvideos und bei naturwissenschaftlichen Modellen mit Simulationen und auch Virtual Reality. Im darauffolgenden Semester, dem fünften Semester, sind dann die Studierenden selbst gefragt. Sie sollen Unterrichtseinheiten im Sinne des Forschenden Lernen planen und im geschützten Raum des Seminars erproben. Voraussetzung dabei ist, dass sie gezielt digitale Medien für ihre Unterrichtsinhalte auswählen, erproben und deren Einsatz im Anschluss gemeinsam reflektieren. Hier kommt dann übrigens auch der Name unseres Projektes her: „Forschendes Lernen mit digitalen Medien“ oder auch kurz „FoLe – Digital“.

Simone Abels: Forschendes Lernen ist ein übergeordneter Ansatz, der in verschiedenen Fächern zum Einsatz kommt, aber eben auch in den Naturwissenschaften. In den Naturwissenschaften meint er, dass Schüler und Schülerinnen naturwissenschaftliche Untersuchungen planen und durchführen und das entlang von Fragestellungen. Es ist ein ganz wichtiger Unterschied zu sonst klassischen Versuchsanleitungen, dass wir wirklich entlang von Fragestellungen und Hypothesen vorgehen, die dann auch am Ende beantwortet werden. Dabei unternehmen die Schüler und Schülerinnen verschiedene Schritte des Forschenden Lernens und führen einen sogenannten Forschungszyklus durch. Das heißt, die Fragestellung wird aufgestellt, Hypothesen werden formuliert, es wird eine passende Untersuchung geplant und durchgeführt, es werden Daten erhoben, Beobachtungen gemacht, vielleicht Messwerte erhoben und diese dann eben auch entsprechend analysiert und ausgewertet. Das Ganze wird dann auf die Hypothesen und die Fragestellung zurückgeführt und die Ergebnisse dann präsentiert. Natürlich läuft das idealerweise nur so ab, aber meistens gibt es dann doch sehr viele Irrwege, Rückwege, Sprünge. Das heißt, wenn ich jetzt merke, meine Ergebnisse passen gar nicht oder ich kann damit meine Hypothese überhaupt nicht beantworten, dann muss ich natürlich nochmal überlegen, ob ich die Hypothese reformuliere oder ob ich vielleicht auch neue Planungsschritte vornehme. Die Ziele dahinter liegen auf verschiedenen Ebenen. Natürlich sollen die Schüler und Schülerinnen naturwissenschaftlichen Inhalt erwerben aber sie sollen eben auch etwas darüber lernen, wie eigentlich Naturwissenschaftler und Naturwissenschaftlerinnen arbeiten, wie Naturwissenschaften funktionieren und dies auch reflektieren und sie sollen eben auch lernen, naturwissenschaftliche Untersuchungen durchzuführen. Dabei ist ganz wichtig, dass man das sukzessive einführt und eben dabei auf unterschiedlichen Leveln, beziehungsweise Öffnungsgraden vorgehen kann (s. Abbildung 2). Das heißt, dass die Lehrkraft zunächst einmal sehr viele Schritte dieses Forschungszyklus vorgeben kann und die Schüler und Schülerinnen dann eigentlich das nur abarbeiten – so ein bisschen kochrezeptartig. Dies kann die Lehrkraft tun, wenn die Schüler und Schülerinnen noch sehr unerfahren im Forschenden Lernen sind oder auch wenn sie neue Begriffe, Geräte oder Methoden einführen möchte. Darüber hinaus kann sie dann den Prozess am besten von hinten her öffnen und die Schüler und Schülerinnen dann sukzessive auch Schritte des Forschendes Lernens eigenständig übernehmen lassen. Das heißt, die Schüler und Schülerinnen fangen an, mit Unterstützung der Lehrkraft natürlich, oder eben auch einer entsprechenden Lernumgebung, die Daten selbstständig zu interpretieren und Schlussfolgerungen zu ziehen. Im nächsten Schritt können sie dann auch anfangen Untersuchungsschritte selbstständig zu planen und durchzuführen und eben keine Anleitung mehr dafür zu haben. Wichtig ist, dass die Lehrkraft dies eben Schritt für Schritt tut, und auch entsprechende Unterstützungsmaterialien dafür bereitstellt. Das offene Forschende Lernen wäre erst dann erreicht, wenn die Fragen auch wirklich von den Schüler und Schülerinnen kommen. Dies geht natürlich am besten in Lernwerkstätten oder Schülerlaboren aber vielleicht auch manchmal im Unterricht, wenn sich während des Forschungsprozesses auf einem geschlosseneren Level neue Fragen ergeben, die die Schüler und Schülerinnen stellen, die sie dann an manchen Tagen, vielleicht auch Projekttagen oder Projektwochen beantworten können. Hier können die Schüler und Schülerinnen nämlich dann am besten ihren eigenen Interessen nachgehen und so dann auch ihre Begeisterung für die Naturwissenschaften entdecken.

Abbildung 2
Abb. 2: Level des Forschenden Lernens (übersetzt nach Blanchard et al., 2010, S. 581)

Es ist sehr spannend zu hören, wie Sie digitale Medien in die fachdidaktischen Veranstaltungen integrieren und dabei speziell auf die Besonderheiten der naturwissenschaftlichen Fächer eingehen. Aber ist das nicht sehr aufwendig? Welche neuen Anforderungen stellt die Integration digitaler Medien in die Lehrkräftebildung an Sie als Lehrende?

Lisa Stinken-Rösner: Da gibt es verschiedene Dinge. Zum einen stellt die Weiterentwicklung der fachdidaktischen Veranstaltungen für uns einen zusätzlichen zeitlichen Aufwand dar. Wir müssen uns natürlich selbst erst einmal einen Überblick über das aktuelle Angebot an digitalen Medien verschaffen und auch viele Anwendungen selbst ausprobieren, bevor wir entscheiden können, ob wir sie in unseren Veranstaltungen wirklich einbauen wollen. Ein weiteres Problem ist, dass viele Lehrende leider nicht selbst zu den sogenannten „digital Natives“ zählen. Das heißt, wir müssen erst einmal selbst die nötigen Medienkompetenzen entwickeln, bevor wir diese dann auch an unsere Studierenden weitergeben können. Je nach Vorerfahrung kann das einige Zeit kosten. Hinzu kommt natürlich auch der finanzielle Aspekt. Insbesondere digitale Messsysteme für den naturwissenschaftlichen Unterricht sind sehr speziell und häufig auch nicht gerade günstig. Das Gleiche gilt für Hard- und Software. Und dann müssen die Geräte ja auch noch alle verwaltet und eingerichtet werden. Glücklicherweise werden wir bei der Anschaffung und Administration durch die Joachim Herz Stiftung und das Medien- und Informationszentrum an der Leuphana unterstützt. Sonst hätten wir wahrscheinlich nicht die nötigen Ressourcen, um unser Projekt wie geplant durchzuführen.

Simone Abels: Dazu kommt dann noch, dass wir nicht davon ausgehen können, dass die Studierenden motivierter sind, nur weil wir jetzt digitale Medien verwenden. Es ist inzwischen bekannt, dass der Neuigkeitseffekt mit der Zeit abnimmt und digitale Medien irgendwann als selbstverständlich betrachtet werden. Nur wenn wir es schaffen, dass die Studierenden den Mehrwert einer Nutzung von digitalen Medien im Unterricht nachvollziehen können, werden sie diese auch später in ihrem eigenen Unterricht einsetzen. Wir müssen also eine optimale Verbindung zwischen den fachdidaktischen Inhalten der Veranstaltungen und digitalen Medien schaffen. Deshalb ist es für uns auch besonders wichtig unsere Lehrveranstaltungen und auch uns selbst als Lehrende kritisch zu reflektieren und uns Feedback von den Teilnehmenden zu holen. Wir haben uns dazu entschlossen neben der normalen Lehrevaluation eine Begleitforschung an das Projekt zu koppeln. Zum einen möchten wir natürlich wissen, wie den Studierenden die Veranstaltungen gefallen haben, zum anderen auch wie sich ihre Einstellungen und Fähigkeiten bezüglich des Einsatzes digitaler Medien im naturwissenschaftlichen Unterricht durch den Besuch der Module entwickelt haben. Im Rahmen des Projektes werden wir zunächst zwei Kohorten an Studierenden begleiten. Wir haben also die Möglichkeit unsere Veranstaltungen nach dem ersten Durchgang weiterzuentwickeln und optimal auf die Bedürfnisse der Studierenden anzupassen. Wir sind schon sehr gespannt auf den ersten Durchgang, der bereits in wenigen Tagen beginnt.

Das sind wir natürlich auch. Eine abschließende Frage hätte ich noch: Was müsste geschehen, dass Sie am Ende des Projektes glücklich und stolz darauf zurückblicken?

Lisa Stinken-Rösner: Ein großer Schritt wäre bereits geschafft, wenn die Studierenden die Angst vor digitalen Medien verlieren würden. Zudem erhoffe ich mir, dass sie nach dem Besuch der Veranstaltung ein gewisses Grundlagenrepertoire an digitalen Medien besitzen. Also verschiedene Medien für den naturwissenschaftlichen Unterricht kennen und auch wissen, wie sie diese zielorientiert einsetzen können.

Simone Abels: Da kann ich mich nur anschließen. Wenn wir als Lehrende es schaffen, die Umsetzung des Projektes erfolgreich zu realisieren und die Studierenden die nötigen Kompetenzen entwickeln, um digitale Medien gezielt für ihren Unterricht auszusuchen, einzusetzen und zu reflektieren, wäre ich sehr zufrieden mit unserer Leistung.

Vielen Dank. Ich wünsche Ihnen auf jeden Fall viel Erfolg bei der Durchführung des Projektes und vielleicht berichten Sie uns ja in einiger Zeit von Ihren Erfahrungen.

Lisa Stinken-Rösner: Sehr gerne.

Das war unser heutiger Podcast mit Dr. Lisa Stinken-Rösner und Prof. Dr. Simone Abels von der Leuphana Universität Lüneburg, die von ihrem Projekt „FoLe – Digital“ berichtet haben.

Über die Autoren

Beitragende

Simone Abels ist Professorin für Didaktik der Naturwissenschaften an der Fakultät Nachhaltigkeit der Leuphana Universität Lüneburg und studierte Sonderschulpädagogin. Sie ist Studiengangskoordinatorin für das naturwissenschaftliche Lehramt der Primar-
und Sekundarstufe. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Forschenden Lernens, inklusiven Naturwissenschaftsunterrichts und reflexiver Lehrer*innenbildung.
Dr. Lisa Stinken-Rösner ist promovierte Physikdidaktikerin an der Leuphana Universität Lüneburg. Sie beschäftigt sich im Rahmen ihrer dortigen Tätigkeiten mit der Entwicklung, Implementierung und Evaluation von inklusivem naturwissenschaftlichen Unterricht
in der Primar- und Sekundarstufe. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf den Einsatzmöglichkeiten digitaler Lernunterstützungen im Physik- und Naturwissenschaftsunterricht.

Weitere Informationen

Dieser Erfahrungsbericht ist Teil des Themenspecials Digitale Medien im Lehramtsstudium.