Digitalisierung als Megatrend - ein Konferenzbericht zur Campus Innovation 2017

Am 23. und 24. November richteten das Multimedia Kontor Hamburg (MMKH) und die Universität Hamburg die 15. Campus Innovation als Gemeinschaftsveranstaltung mit dem Konferenztag Digitalisierung von Lehren und Lernen aus. Im Bericht schildert Mareike Kehrer, Mitarbeiterin im eng mit e-teaching.org zusammenarbeitenden Projekt „Smart Teaching BW", ihre Eindrücke von der Konferenz.

1. Konferenztag – 23. November

Curio-Haus Hamburg
Curio-Haus

Begrüßung und Location

Mein erstes Mal auf der Campus Innovation – ich bin gespannt. Das Curio-Haus ist eine tolle Veranstaltungs-Location, die die verregnete Ankunft in Hamburg sofort vergessen lässt. Der Auftakt der Veranstaltung findet im Ballsaal statt. Wie ich ab 10.30 Uhr im Begrüßungsteil erfahre, gibt es in diesem Jahr für die Campus Innovation einige Jubiläen zu feiern. Zum 15. Mal seit 2003 nimmt das Multimedia Kontor Hamburg (MMKH) in seiner jährlichen Leitveranstaltung aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen rund um die Zukunft der Hochschule in den Fokus. Und bereits zum 10. Mal ist der Konferenztag Digitalisierung von Lehren und Lernen (DLL) der Universität Hamburg als Partnerveranstaltung mit dabei. Diese langjährige Erfahrung der Organisatoren merkt man der Konferenz auch an. Alles ist perfekt organisiert und die Abläufe sind eingespielt.
Wie Dr. Marc Göcks, Geschäftsführer des MMKH, freudig berichtet, verzeichnet die Konferenz in diesem Jahr einen neuen Teilnehmerrekord mit fast 800 Anmeldungen für die beiden Konferenztage. Entsprechend ist der Saal auch gut gefüllt als Katharina Fegebank (Zweite Bürgermeisterin und Präses der Behörde für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung der Freien und Hansestadt Hamburg) in ihrer Begrüßungsansprache einen kurzen Überblick über aktuelle Digitalisierungsprojekte und Initiativen in Hamburg gibt. Die Campus Innovation präsentiert sich gleich zu Beginn als „place to be“, wenn es um Digitalisierung an den Hochschulen geht.
Marc Göcks stellt im Anschluss das Motto der Konferenz vor: „Digitalisierung als Megatrend – was bedeuten künstliche Intelligenz, Big Data und Virtual Reality für Hochschulen?“ Die Veranstaltung soll in den zwei Tagen eine Vielzahl von Impulsen und Anknüpfungspunkten liefern.

Zwei Keynotes zu Beginn: Antizipierende Texte und die Hamburg Open Online University

Es folgen die ersten beiden Keynotes. Prof. Dr. Prof. h.c. Andreas Dengel vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) befasst sich in seiner Keynote mit antizipierenden Texten. Er stellt dabei Beispiele vor, wie sich Texte den Lesern anpassen. So kann beispielsweise durch Eyetracking erkannt werden, dass ich den Text nur querlesen möchte. Entsprechend wird der Text nur auf Nomen und Verben reduziert. Ebenso können Grafiken oder andere Zusatzinformationen eingeblendet werden, so dass sich der Text entsprechend dem Expertise-Stand des Lesers anpasst. Die Beispiele erscheinen mir als Leserin sehr ungewohnt und ich bin gespannt auf die zukünftige Akzeptanz solcher Lernangebote.
Prof. Dr. Kerstin Mayrberger von der Universität Hamburg wirft am Beispiel der „Hamburg Open Online University (HOOU)“ die Frage auf, wie wir in Zukunft lernen werden. Dabei zeigt sie entlang der Stichworte „Openness“, „Technik“, „Didaktik“, „Inhalte“, „Beziehungen“ und „Organisation“ mehrere „Wandlungslinien“ auf. Prof. Dr. Sönke Knutzen (TU Hamburg) übernimmt den zweiten Teil dieser Keynote und erläutert anhand der HOOU-Webseite den innovativen Mehrwert, den die HOOU gegenüber bereits existierenden Plattformen bieten möchte. Als zentrale Aspekte nennt er dabei die Plattform als freien Innovationsraum bzw. „Experimentierfeld“ für die Hochschulen sowie ihre Funktion als „Backchannel“.
Nach den einleitenden Keynotes verteilen sich die Teilnehmer zum Mittagessen auf zwei Etagen an den Cateringstationen und kleinen Stelltischen, so dass eine erste Möglichkeit zum Austausch mit den anderen Teilnehmern entsteht.

Parallele Tracks - die Qual der Wahl

Am Nachmittag geht es dann mit mehreren parallelen Tracks weiter. Ich entscheide mich für die Session zum Themenschwerpunkt der Tagung: „E-Learning – Künstliche Intelligenz und Bildung“. Hier gibt es für den Einstieg einen anschaulichen Überblick über den Fortschritt bei der Entwicklung von Systemen zur intelligenten Unterstützung von Lehr- und Lernprozessen von Prof. Dr. Ulrich Hoppe (Universität Duisburg-Essen). Daran anschließend geht Prof. Dr. Niels Pinkwart von der Humboldt-Universität zu Berlin auf Adaptivität und Personalisierung durch Learning Analytics ein. Er spricht über den Umgang mit Learning-Analytics-Daten und typische Ziele bei deren Nutzung. Hierbei betont er insbesondere die Wichtigkeit einer Handlungsrelevanz der Daten. Im Zentrum sollten also nicht die Daten stehen, sondern die Erkenntnisse die man daraus ziehen kann sowie deren Umsetzung in konkrete Handlungen, etwa in der Studierendenberatung.

Beide Vorträge bieten einen gut verständlichen Zugang zu den Themen, ohne allzu viele Vorkenntnisse vorauszusetzen. Etwas komplexer, zumindest für mich, wird es dann im Vortrag von Dr.-Ing. Carsten Ullrich (DFKI), der sich mit Künstlicher Intelligenz (KI) für Assistenz- und Wissensdienste befasst. Es ist unglaublich spannend, aber auch ein wenig beängstigend, wenn man sich damit befasst, wie KI den Bildungsbereich in naher Zukunft verändern wird. – Jetzt brauche ich eine Kaffeepause und einen leckeren Obstsalat.

Nach der Kaffeepause muss ich dann zwischen „Virtuelle Realität und 360°-Video“ und dem für mich ebenfalls interessanten Themenblock „Online Self-Assessment“/„Qualitätsentwicklung und OER“ wählen. Ich entscheide mich fürs Session-Hopping, was durch die unterschiedliche zeitliche Taktung der Vorträge allerdings nicht ganz einfach werden dürfte. Los geht es auf jeden Fall mal mit der Virtuellen Realität. Für die vorderen Reihen gibt es Virtual-Reality-Brillen, die ab dem zweiten Vortrag zum Einsatz kommen sollen. Während des ersten Vortrags versuche ich per WLAN ins Internet zu kommen und mir auf Twitter (#CIHH17) die aktuellen Diskussionspunkte und Meinungen zur Tagung anzusehen. Da bin ich allerdings wohl nicht die Einzige, so dass sich der Verbindungsaufbau etwas langwierig gestaltet. Das überlastete WLAN wird dann auch zunächst zum Problem für den Einsatz der VR-Brillen innerhalb der Session. Da ich (aufgrund der verständlicherweise beschränkten Anzahl) keine Brille mehr abbekommen habe, nehme ich diese Verzögerung dann einfach als Gelegenheit für den Session-Wechsel.
Prof. Dr. Zawacki-Richter von der Universität Oldenburg stellt ein Stockwerk tiefer für das momentane Dauerbrenner-Thema OER aktuelle Ansätze zur Qualitätsentwicklung aus internationaler Perspektive vor. Ein wirklich anregender und wissenschaftlich fundierter Überblick zur aktuellen Diskussion an den deutschsprachigen Hochschulen.

Podiumsdiskussion und Abendempfang

Ohne Pause geht es dann um 17.30 Uhr weiter mit der Podiumsdiskussion „Künstliche Intelligenz, Big Data und Virtual Reality – wie geht die Wissenschaft mit ihrer neuen Verantwortung um?“. Moderiert von Jan-Martin Wiarda diskutieren Prof. Dr. Prof. h.c. Andreas Dengel (DFKI), Saskia Esken (MdB), Prof. Dr. Heidi Schelhowe (Professorin für Digitale Medien in der Bildung in der Informatik an der Universität Bremen) und Prof. Dr. Micha Teuscher (Präsident der HAW Hamburg) zwei Stunden über Virtualisierung und Künstliche Intelligenz in Wissenschaft, Lehre und Gesellschaft. Ein zusätzlicher Platz auf dem Podium bleibt zunächst frei, ist aber für Interessierte aus dem Publikum vorgesehen, die sich zeitweilig an der Diskussion beteiligen möchten.
Zu Beginn der Diskussion betont Saskia Esken, wie sehr der Bildungsbereich beim Thema KI von den Entwicklungen der finanzstarken Gaming-Branche profitiert, welche hier die Entwicklung momentan vorantreibt. Micha Teuscher spitzt etwas kritischer die Problematik mit seiner Aussage zu, die öffentliche Bildung sei den technischen Entwicklungen immer maßlos hinterher.
Hinsichtlich des zukünftigen Verhältnisses von Mensch und KI, stellt Heidi Schelhowe die Frage, ob KI als „Partner“ angemessen beschrieben werden kann. Wichtig sind ihr hierbei das Thema Respekt sowie die Entscheidungshoheit des einzelnen Menschen im Lernprozess. Andreas Dengel schlägt für KI die Rolle eines „Informationsbutlers“ vor, der den Menschen unterstützt, dem aber auch jederzeit widersprochen werden kann.
Auch die Verantwortung der Wissenschaft bei der Einordnung gesellschaftlicher Trends und technischer Entwicklungen wird in der Diskussion thematisiert, wobei Saskia Esken beklagt, dass in der Wissenschaft oftmals der interdisziplinäre Blick auf gesellschaftliche Entwicklungen fehle.
Im Laufe der Diskussion wird auch der Publikums-Stuhl auf dem Podium mehrfach in Anspruch genommen, wobei bereits der erste Diskussions-Gast einen sehr bereichernden Einblick in die Studierenden-Perspektive zum Thema gibt.
Insgesamt bietet die Podiumsdiskussion einen unterhaltsamen inhaltlichen Abschluss des Tages, nach dem langen Sitzen freue ich mich dann aber auch über den Beginn des Abendempfangs. Passend zu Thanksgiving gibt es ein richtig tolles Buffet, mit Truthahn, Maiskuchen, Süßkartoffeln und vielem mehr. In lockerer Atmosphäre, mit Livemusik und bestens versorgt geht der Tag mit anregenden Gesprächen zu Ende.

Tag 2 – 24. November

Kreatives Denken für Innovationen von morgen

Am nächsten Morgen mache ich mich ausgeruht wieder auf den Weg. Das Programm startet mit einer Keynote von Dr. Frederik G. Pferdt, Chief Innovation Evangelist bei Google. Der Saal ist voll und alle warten gespannt auf den Vortrag zum Thema „Zukunft jetzt – Kreatives Denken für Innovationen von morgen“. Kreativ wird es dann tatsächlich. Wir sollen innerhalb einer kurzen Zeitspanne zunächst unseren Sitznachbarn zeichnen, dann unserer Vorstellungskraft mit einer „Was wäre wenn,…“-Frage freien Lauf lassen und diese zu einem späteren Zeitpunkt als Papierflieger durch den Saal schicken. Ich komme mir ein wenig vor wie in einem dieser Mitarbeiter-Motivations-Seminare, die man in amerikanischen Spielfilmen immer wieder zu sehen bekommt. Der Vortrag ist durchaus kurzweilig, so wirklich angesprochen fühle ich mich aber nicht.

Für den restlichen Vormittag gibt es wieder eine Auswahl an mehreren parallelen Tracks. Ich bleibe dem Bereich E-Learning treu und gehe hier in die Themensession „Lehre im digitalen Wandel“. Den Auftakt macht Prof. Dr. Heidrun Allert (Universität zu Kiel) mit ihrem Vortrag „Digitalisierung: Unbestimmte Gegenwart und Zukunft“. Unbestimmtheit benennt sie dann auch als eine zentrale Kategorie. Anhand der Fragestellung „Was passiert, wenn ich meinen Studierenden die Möglichkeit gebe, die Lehrveranstaltungs-Folien live editieren zu können?“ erläutert sie u.a. sehr anschaulich und unterhaltsam warum das Eingehen von Risiken für sie ein wichtiges Element der Bildung darstellt. Was ich aus diesem Vortrag mitnehme, ist vor allem der Aufruf, digitale Medien nicht einzusetzen, um Unsicherheit in der Lehre zu reduzieren, sondern vielmehr eine Offenheit für neue Praktiken zu entwickeln.
Es folgen ein Best-Practice-Beispiel zum Einsatz des Inverted Classroom von Prof. Dr. Karsten Morisse (Hochschule Osnabrück) sowie die Vorstellung eines mit dem VDMA Hochschulpreis 2017 ausgezeichneten Lehrkonzepts bzw. einer Studiengangsentwicklung an der HAW Hamburg von Prof. Dr.-Ing. Karin Landenfeld. Zum Abschluss vor der Mittagspause stellt dann meine Kollegin Gabriele Irle vom Leibniz-Institut für Wissensmedien ihr Projekt „Digital Learning Map 2020" sowie das dort entwickelte Modell bzgl. Erfolgsfaktoren für die Wirksamkeit digitaler Lehre vor.
Danach folgt die einstündige Mittagspause mit interessanten Gesprächen über die soeben gehörten Vorträge und aktuelle Vorhaben an verschiedenen Hochschulen. Im zweiten Teil der Session zur „Lehre im digitalen Wandel“ stellt u.a. Dr. Till Kreutzer von iRights.Law in einem kurzen Überblick die wichtigsten Neuerungen durch das Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz (UrhWissG) vor, welches ab März 2018 in Kraft tritt. Die interessierten Nachfragen aus dem Publikum zeigen, wie sehr dieses Thema die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den Hochschulen derzeit beschäftigt (ausführliche Informationen dazu gibt auch die pünktlich zur Konferenz erschienene dritte und überarbeitete Version des „Leitfaden zu Rechtsfragen bei E-Learning und Lehre“ von Till Kreutzer und Tom Hircheder).
Andreas Wittke und Kevin Berg beschließen die Session mit ihrer Vorstellung des digitalen Curriculum zum Selbstzusammenstellen, praktisch im Baukastensystem.
Die Konferenz endet mit der letzten Keynote von Heidi Schelhowe, die in ihrem Beitrag „Anmerkungen zur Hochschule als Ort der Begegnung und zur Be-Greifbarkeit des Digitalen“ macht. Es folgen noch eine kurze Verabschiedung und der Dank an die Organisatoren und Veranstalter, dann eilen die Ersten auch schon zu ihren Zügen Richtung Heimat.

Fazit

Insgesamt hat es sich auf jeden Fall gelohnt nach Hamburg zu kommen. Die großen Innovationen waren für mich auf der Campus Innovation nicht dabei – aber auf jeden Fall habe ich einige anregende Beiträge gehört, die mir gute Denkanstöße mit auf den Weg gegeben haben. Bei mehreren parallel laufenden Tracks konnte ich natürlich nicht das ganze Angebot an Vorträgen, Podiumsdiskussionen und vor allem Workshops auf der Konferenz mitnehmen, trotzdem hatte ich aber das Gefühl, ein sehr breites inhaltliches Spektrum gehört und gesehen zu haben. Dass ich nicht an den Workshops teilgenommen und mir die dort vorgestellten Projekte angesehen habe, habe ich bei der Nach-Lese via Social Wall #CIHH17 dann allerdings doch etwas bereut. Die Twitter-Meldungen und Bilder zu den Beiträgen haben mein Interesse geweckt und ich werde hierzu sicherlich noch etwas im Internet stöbern. Und zum Glück gibt es die Vorträge alle zum Nachhören als Aufzeichnung (auf Lecture2go und podcampus).

Letzte Änderung: 18.12.2017