Tagungsbericht: Bildungspolitisches Forum 2017
„Bildungspotenziale in Zeiten digitalen Wandels“ – so lautete der Titel des diesjährigen Bildungspolitischen Forums. Einmal jährlich lädt der Leibniz-Forschungsverbund Bildungspotenziale (Leibniz Education Research Network – LERN) EntscheidungsträgerInnen aus Politik, Wissenschaft, Praxis, Verwaltung und weiteren gesellschaftlichen Bereichen zum multidisziplinären Austausch ein.
Immer ein Verbundpartner übernimmt für das Bildungspolitischen Forum die inhaltliche Konzeption der Veranstaltung – in diesem Jahr das Leibniz-Institut für Wissensmedien (IWM). Am 5. Oktober 2017 diskutierten in der Baden-Württembergischen Landesvertretung in Berlin rund 200 TeilnehmerInnen über die Chancen und Herausforderungen von Bildung in Zeiten digitalen Wandels. So sollte die Digitalisierung zwar längst an Schulen, Hochschulen und anderen Lernorten angekommen sein – doch gibt es hier noch Lücken und Nachholbedarf. Lernende und Lehrende müssen sich dabei der Herausforderung stellen, mit den vielfältigen und zahlreichen Informationen umzugehen oder neue Tools und digitale Angebote zu benutzen. Diese Themenbereiche wurden in vier parallel laufenden Workshops “Digitalisierung in der Schule”, „Digitale Hochschule”, “Informelle Lernorte” und “Nutzen und Potenzial digitaler Medien in der Sprachförderung Erwachsener” vertieft. Im folgenden Bericht wird vor allem auf den Bereich Hochschule verstärkt eingegangen.
Eröffnet wurde das Bildungspolitische Forum zunächst von Prof. Dr. Dr. Friedrich W. Hesse, dem stellvertretenden Vorsitzenden der LERN-Sprechergruppe. Er stellte das Hauptziel des Forschungsverbunds LERN vor: Aktuelle Herausforderungen im Bildungswesen adressieren und bei deren Bewältigung helfen, indem er Wissen aus der Forschung transparent und zugänglich macht. So haben sich in LERN 22 Institute der Leibniz-Gemeinschaft sowie weitere Bildungsforschungseinrichtungen zusammengeschlossen, um ihre multidisziplinären Fachkenntnisse zu vernetzen und auszubauen.
Das Forum und seine Ergebnisse sollen nicht nur die WissenschaftlerInnen und PraktikerInnen in einen aktuellen Diskurs um Chancen und Möglichkeiten digitaler Bildung involvieren. Darüber hinaus soll die Veranstaltung wertvolle Anregungen und Inspirationen für die Vertreterinnen und Vertreter der Politik liefern und sie an den fachlichen Diskussionen beteiligen. „Durch die digitale Revolution sind die Technologien immer besser in der Lage, menschliche Aktivitäten situationsangemessen und intelligent zu unterstützen. Dies hat enorme Auswirkungen auf Lehr-Lern-Prozesse in Schule, Hochschule, an informellen Lernorten wie das Museum oder in der Erwachsenenbildung wie beim Sprachenlernen. Daraus ergeben sich Handlungsorientierungen und Forschungsaktivitäten, die zugleich Implikationen für die Politik enthalten“, so Hesse.
Petra Olschowski, Staatssekretärin im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst in Baden-Württemberg, war so der Einladung zum Forum als Begrüßungsrednerin gefolgt. Sie beschrieb in Bezug auf die Digitalisierung die Hochschulen sowohl als Treiber als auch als Getriebene, denn es sei wichtig, nicht nur Schüler, sondern auch Lehrende dabei zu unterstützen ihre Medienkompetenz zu stärken – eine Thematik, die in dem Workshop „Hochschule“ intensiver von Monika Jungbauer-Gans vom Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) besprochen wurde. Jungbauer-Gans beschrieb dort die Diskrepanz zwischen den Erwartungen der Studierenden und der DozentInnen bezüglich des Einsatzes digitaler Medien. Weitere begrüßende Worte seitens der Politik kamen zudem von Matthias Graf von Kielmannsegg, Ministerialdirektor im Bundesministerium für Bildung und Forschung. Er betonte, dass der wichtige Ausbau der digitalen Infrastruktur nicht als Selbstzweck dienen dürfe, sondern dem Primat der Pädagogik folgen müsse, die Technik also stets mit einem planvoll, mit einem bestimmten Ziel eingesetzt werden sollte. In Bezug auf die Hochschullehre skizzierte er die zwei Möglichkeiten ihrer Veränderung: Evolution, das bedeute eine langsame Veränderung, oder Revolution, im Sinne eines starken Umbruchs. Er bezeichnete sich selbst als eher vorsichtig und sprach sich für eine langsame Veränderung aus. Dennoch betonte er die große Chance, Bildung im Zuge der Digitalisierung aktueller werden zu lassen und neue Formate einzusetzen. Diese sollten die Form des forschenden, diskursiven Lernens unterstützen.
Prof. Dr. Ton de Jong von der University of Twente in den Niederlanden stellte in seiner Keynote „Promises and challenges of digital technologies for learning“ Projekte vor, die neue Technologien ins Klassenzimmer bringen und somit neue Bildungsmöglichkeiten durch die Lernform des „engaged learning“ schaffen. Er betonte allerdings, dass die Projekte kein Selbstläufer seien, sondern für eine erfolgreiche Umsetzung viel Anstrengung, finanzielle Mittel, Erfahrung und Ausdauer nötig seien. Impulse aus der Praxis lieferte Harald Melcher, Vorstandsmitglied des Didacta Verbandes der Bildungswirtschaft, in seiner, wie er sagte, selbstgewählten Rolle als „Bad Guy“. Er kritisierte den langsamen Prozess der Digitalisierung in Schulen und Hochschulen. In den Hochschulen verlaufe die Entwicklung zäh und verliere sich in den Strukturen. Er forderte mehr Risikofreude beim Ausprobieren neuer Möglichkeiten.
Ein zweiter Praxisimpuls folgte von Stephan Dorgerloh, Kultusminister a.D., der bei jüngeren Menschen neben ihrer digitalen Affinität auch eine gewisse Skepsis beobachte. Dies mache es nötig, Studierende intensiv an digitale Medien im Studium heranzuführen. Als eine Möglichkeit beschrieb er veränderte Prüfungsordnungen, wie z.B. die Umstellung auf e-Assessments. Zudem forderte er mehr Begleitforschung beim Einsatz neuer Lehrmethoden mit digitalen Medien, um fundierte Aussagen bezüglich der über die Wirkung treffen zu können, hier herrsche ein Datenmangel. Dieser Aussage schloss sich bei der Abschlussrunde auch besonders Prof. Dr. Peter Gerjets vom IWM an, die in dem Workshop „Informelle Lernorte“, welchen er zusammen mit Prof. Dr. Stephan Schwan (ebenfalls IWM) durchführte, immer wieder zur Sprache kam. So bräuchten Museen beispielsweise für die Verwendung oder Einführung digitaler Angebote noch mehr evidenzbasiertes Wissen aus der Forschung, um diese effektiv und zielgerichtet einzusetzen.
Nach den Einführungen dienten vier parallel laufende Workshops am Nachmittag der Bestandsaufnahme und Erörterung von Zielen der künftigen Arbeit in den Bereichen Schule, Hochschule, Informelle Lernorte und in der Sprachförderung Erwachsener. Die ReferentInnen diskutierten zusammen mit den TeilnehmerInnen sowohl die Chancen als auch die Hindernisse gegenwärtiger und künftiger Strukturen und Angebote. Hauptziel des Forums war es, die Potenziale, die sich aus der digitalen Entwicklung für Bildungsprozesse ergeben, zu identifizieren sowie Randbedingungen für deren Realisierbarkeit zu diskutieren.
Daraus ergaben sich fünf Leitfragen, die in den Workshops bearbeitet wurden.
- Was sind die Chancen bei der Nutzung digitaler Medien in der Schule/in der Hochschule/an informellen Lernorten/in der Sprachförderung?
- Was sind die Hindernisse beim Einsatz digitaler Medien in der Schule /in der Hochschule/an informellen Lernorten/in der Sprachförderung?
- Was ist der aktuelle Erkenntnisstand in der Forschung und welche Lücken gibt es im Forschungsprogramm?
- Was sind kurze- und mittelfristige Ziele für den Einsatz digitaler Medien in den Bereichen Schule/Hochschule/an informellen Lernorten/in der Sprachförderung?
- Welche Implikationen ergeben sich für die Bildungspolitik?
Prof. Dr. Katharina Scheiter (IWM) zog nach ihrem anderthalb-stündigen Workshop „Schule“ das Fazit, dass digitale Medien in der Schule auch ein effizientes Tool zur Erfassung von Lernprozessen sein können. „Erfolgreiches Lernen mit digitalen Medien in der Schule setzt mindestens drei Dinge voraus: medienkompetente Lehrkräfte, die digitale Technologien didaktisch wirkungsvoll einsetzen – digitale Unterrichtsmaterialen und Tools, die evidenzbasiert gestaltet wurden –Schülerinnen und Schüler, die in die Lage versetzt wurden, digitale Unterrichtsangebote in lernförderlicher Weise zu nutzen. Die große Herausforderung einer Digitalisierungsstrategie im Bildungswesen ist nicht die Bereitstellung von Technologiesondern die Herstellung dieses Dreiklangs.“
Prof. Dr. Peter Gerjets (IWM) formulierte für „Informelle Lernorte“ die Forderung, dass es in Museen, welche klassisch als Spielwiesen für den Einsatz digitaler Technologien dienen, noch mehr evidenzbasiertes Wissen aus der Forschung braucht. Er betonte auch, dass neben kognitiven Komponenten der Rezipienten, auch affektive Aspekte berücksichtigt werden sollten. Der Co-Leiter Prof. Dr. Stephan Schwan (IMW) formulierte: „An informellen Lernorten kann Geschichte, Wissenschaft und Kunst anhand authentischer Exponate und Orte unmittelbar erlebt werden. Digitale Medien bieten vielfältige Möglichkeiten, diese Lernerfahrungen zu unterstützen, indem sie den Blick auf die Exponate schärfen, tiefere Bedeutungsebenen erschließen und spielerische Zugänge eröffnen.“
Prof. Dr. Josef Schrader (DIE) betonte die Bedeutung des Themas „Sprachförderung Erwachsener“ im Kontext von Zuwanderung. Ziel müsse es sein, diese Adressatengruppe mit Sprachfertigkeiten auszustatten, die für die Alltagsbewältigung nötig sind. Er sprach sich für gezieltere und nachhaltige Förderformate aus, so auch in der Sprachförderung Erwachsener. „Die Sprachförderung Erwachsener ist ein hervorragendes Beispiel, um die Potenziale digitaler Medien aufzuzeigen. Wenn Bildungsforschung, Fachdidaktik, Computerlinguistik und Informatik zusammenarbeiten, lassen sich bedarfsgerechte Tools entwickeln, die Lehrkräfte und Lernende wirksam unterstützen.“
In dem Workshop zum Thema „Digitale Hochschule“ war mit Prof. Dr. Dr. Hesse und IWM-Direktorin Prof. Dr. Ulrike Cress gleich doppelte IWM-Expertise vertreten. „Die Wissens-Umwälzungen durch Digitalisierung werden die Hochschullehre mittel- und langfristig drastisch verändern. Wir brauchen langfristig ausgelegte & hoch innovative Projekte, die genug Ressourcen haben, um zukunftsfähige Hochschullehre umfassend & visionär zu gestalten“, sprach sich die Direktorin des IWM Ulrike Cress aus. Des Weiteren gesellte sich Prof. Dr. Hendrik Drachsler (DIPF) und Prof. Dr. Monika Jungbauer-Gans (DHZW) als Referenten zu dem Workshop. Neben der Angst vor Datenmissbrauch im Zusammenhang mit dem Thema Learning Analytics wurde die Diskrepanz zwischen den Erwartungen von neuen Lehrmöglichkeiten zwischen Studierenden und ihren Dozenten thematisiert. „Digitalisierung=Chancengerechtigkeit. Unabhängigkeit von Zeit und Ort fördert den Studienerfolg bei unterschiedlichen Bedürfnissen. Ein Studium auf Distanz und vermittelt über elektronische Medien stellt wiederum hohe Anforderungen an die eigene Motivation und Zeitorganisation“, so Jungbauer-Gans. Ein weiterer Aspekt war das Potential digitaler Medien für ein individuelleres Studium. Das aktuelle Hochschulsystem gehe noch nicht ausreichend auf die Heterogenität der Studierendenschaft ein und berücksichtigt nicht spezielle Bedürfnisse von Studierenden mit Familie, Personen, die berufsbegleitend studieren oder Personen mit Behinderungen.
Viele Facetten der Digitalisierung im Bildungskontext sind auf der Konferenz somit deutlich geworden, die weitere Debatten über kurz- und langfristige Ziele von Bildung in Zeiten digitalen Wandels anstoßen können. Aus den Ergebnissen des Workshops wird, in Zusammenarbeit mit den Workshopleiterinnen und -leitern, in den kommenden Wochen ein kurzes Positionspapier erstellt werden.
Alle Fotos: gezett