Praxistransfer

30.10.2019: Was kann Praxistransfer sein, (wie) funktioniert eigentlich Transfer von der Forschung in die Praxis und welche Rolle kann Open Education in diesem Zusammenhang spielen? Diese Fragen haben wir Markus Deimann und Christian Friedrich gestellt, und die beiden haben sie in einem Gespräch in ihrem Podcast „Feierabendbier Open Education“ anlässlich des Themenspecials „Praxistransfer – wie geht das eigentlich?“ aufgegriffen. Im Gastbeitrag sprechen die beiden über Transfer aus der Wissenschaft (in der Wissenschaft und in die Gesellschaft) und suchen Anknüpfungspunkte zur Wissenschaftskommunikation, zu Open Science und Open Access.

gastbeitrag 2019 deimann friedrich praxistransfer.mp3

Weitere Informationen zum Beitrag und auch die Shownotes finden sich in der Episode 69: Praxistransfer und im Podcast Feierabendbier Open Education. Der Beitrag gehört außerdem zum e-teaching.org-Themenspecial Praxistransfer – wie geht das eigentlich?.

Transkript

Christian Friedrich: Moin Moin zum Feierabendbier Open Education mit Markus Deimann.

Markus Deimann: Und Christian Friedrich.

Christian Friedrich: Guten Tag Markus.

Markus Deimann: Hallo Christian. Heute haben wir eine Sonderepisode.

Christian Friedrich: Das stimmt.

Markus Deimann: Viele werden sich auch schon gewundert haben, warum wir so lange nicht mehr aufgezeichnet haben, mit dem Feierabendbier.

Christian Friedrich: Auch davon ist zu hoffen. Sagen wir es mal so: Ich hoffe wir wurden vermisst. Oder?

Markus Deimann: Achso. Du meinst, wir sind schon vergessen worden.

Christian Friedrich: Vielleicht. Vielleicht sind Menschen überrascht, wenn sie über den Feed eine neue Folge von uns hören. Ja, die letzte Folge ist ein bisschen her. Wir haben auch, wie du schon richtig gesagt hast, diesmal eine Sonderfolge und würden deswegen ein bisschen von dem üblichen Rhythmus abweichen, indem wir erstmal auf uns gegebenes Feedback eingehen, erzählen was wir gemacht haben und so weiter. Das ist also für die Menschen, die diese Art von Podcastfolge erwarten. Die sind dann entweder … man weiß jetzt gar nicht, ob das eine Enttäuschung ist oder ob das eine Erleichterung ist.

Markus Deimann: Eine Irritation.

Christian Friedrich: Eine Irritation wird‘s in jedem Fall werden. Wir haben eine Sonderfolge, und zwar zum Thema „Wissenschaftstransfer, Praxistransfer“, glaube ich.

Markus Deimann: Genau.

Christian Friedrich: Du bist hier bei mir in Berlin. Für das Podcast-Blogbuch: Es ist der 28 Oktober 2019. Weil wir uns tagsüber treffen, ist das Wasser auf die Mühlen derjenigen, die behaupten, wir sollten unseren Podcast auf keinen Fall weiter Feierabendbier nennen. Es ist heute mitten am Tag und wir trinken Kaffee. Wir haben, das vielleicht auch fürs Protokoll, versucht bei einem Bier aufzuzeichnen. Das ist dann aber leider an unserer Technik gescheitert.

Markus Deimann: An meiner.

Christian Friedrich: An Markus Technik gescheitert. Siehst du, ich wollte gnädig sein.

Markus Deimann: Ich habe aber auch um Abhilfe geschaffen.

Christian Friedrich: Du hast Abhilfe geschaffen.

Markus Deimann: Davon dann in einer der nächsten Folgen mehr.

Christian Friedrich: So die Hoffnung. Eine der nächsten Folgen zeichnen wir mit seriösem Equipment in Lübeck auf und dann läuft das hier wie geschmiert. Aber ich würde vorschlagen, wir steigen direkt ein. Ich glaube der erste Punkt, den wir besprechen sollten, ist der, was überhaupt mit „Praxistransfer“ gemeint ist und wie es überhaupt zu dieser Folge kam. Vielleicht kannst du beides mal so in Kombination in deiner bildungswissenschaftlichen Manier referieren, wenn du möchtest.

Markus Deimann: Sehr gerne. Ich fange mal mit dem Konkreten an und weniger bildungswissenschaftlich. Und zwar bin ich angesprochen worden von Markus Schmidt. Markus Schmidt ist Mitarbeiter bei e-teaching.org. Das dürfte sehr vielen bekannt sein, eigentlich die Plattform, wenn es um das Thema Lehren und Lernen im Hochschulbereich geht. Da decken die sehr vieles ab. Seit vielen Jahren machen sie so Communityarbeit, Informationsarbeit: Also wo man alles Mögliche zu den Themen rund um E-Learning oder E-Teaching findet. Und die haben nämlich jetzt ein sogenanntes Themenspecial und stell dir vor, das startet genau heute.

Christian Friedrich: Wirklich heute?

Markus Deimann: Ja.

Christian Friedrich: Am 28.?

Markus Deimann: Genau. Der Link kommt natürlich in die Show-Notes, aber wenn man bei e-teaching.org guckt, dann gibt es das Themenspecial „Praxistransfer – wie geht das eigentlich?“. Und Themenspecial bei e-teaching.org meint immer, dass es Vielfalt von Informationen, aber auch Möglichkeiten zum Austausch, zur Diskussion gibt. Etwas später heute am Tag gibt’s nämlich auch ein sogenanntes Online-Event, wo Menschen über das Thema auch diskutieren. Das wird dann moderiert. Es gibt also Inputs, 10-20-minütige Inputs und am Schluss nochmal die Möglichkeit zur Diskussion. Das läuft über Adobe Connect. Da kann man sich auch immer einbringen, Fragen stellen, die werden nochmal aufgegriffen. Und ich wusste das gar nicht, dass sie das planen. Aber ich, bzw. wir mit dem Podcast sind schon im Vorfeld angesprochen worden, ob wir nicht auch etwas dazu beitragen. Also so in diesem Verständnis: e-teaching.org macht dieses Themenspecial und bündelt Ressourcen. Dieses Online-Event, das sie machen, ist von ihnen veranstaltet, aber das heißt nicht, dass nicht auch andere Menschen dazu auf anderen Kanälen mit anderen Medien, so wie hier dieser Podcast, auch was dazu sagen könnten.

Christian Friedrich: Ja.

Markus Deimann: Deswegen sind wir so ins Gespräch gekommen bei einer Veranstaltung, wie das wäre dazu einen Podcast zu machen. Markus Schmidt hat dann einige Episoden unseres Podcasts Feierabendbier Open Education gehört und uns ein –

Christian Friedrich: Ich kann mich an dieser Stelle nur entschuldigen.

Markus Deimann: - und uns ein durchaus positives Feedback gegeben.

Christian Friedrich: (erstaunt) Nein.

Markus Deimann: Ich habe es dir ja gerade vorher noch einmal zum Lesen gegeben. Und er fand, das passt ganz gut und was wir jetzt hier versuchen in der nächsten Stunde oder anderthalb, ist, über das Thema Transfer, Wissenschaftstransfer, Praxistransfer zu sprechen. Einfach so als Gespräch, wir haben da auch wirklich keine Vorgaben bekommen. Das ist auch so in ihrem Sinne. Das heißt, ein Podcast lebt ja davon, dass man Dinge einfach mal bespricht. Aber das Thema ist jetzt gesetzt, eben in dieser Sonderepisode, zum Thema Praxistransfer. So das war jetzt eine etwas längere Hinführung, dass auch die Hörer/innen auch nachvollziehen können, um was es geht. Wenn der Podcast fertig ist, wird er im Rahmen des Themenspecials „Praxistransfer“ bei e-teaching.org verlinkt sein. Es steht natürlich unter unserem Label aber in Kooperation, kann man so sagen. Wir haben da jetzt keine Auflagen bekommen, wir sollen über die und die Themen reden, das wäre vielleicht noch einmal so ein Disclaimer. Also dass wir frei über dieses Thema sprechen, so wie unsere Gedanken dazu sind.

Christian Friedrich: Das heißt noch einmal kurz reingerufen für Menschen, die uns jetzt vielleicht zum ersten Mal hören oder nicht regelmäßig: Wir arbeiten relativ fleißig mit Kapitelmarken. Wenn also euch zuhörenden Menschen etwas zu lang vorkommt, dann könnt ihr einfach in eurer Podcast-App schauen und in dieser Podcast-App auch weiterspringen zum nächsten Thema. Das wird euch da in irgendeiner Art und Weise angezeigt. Wenn eure Podcast-App keine Kapitelmarken unterstützt, dann kann ich nur dafür plädieren, dass ihr euch eine neue sucht.

Ich würde dich nämlich gleich im nächsten Schritt einmal fragen, ob du vielleicht so ein grobes Bild in zwei Minuten mal zeichnen kannst, was überhaupt Praxistransfer sein soll, ohne auf die Links einzugehen. Ich glaube das wird mir bei der Einordnung helfen und wahrscheinlich dir auch.

Markus Deimann: Wie ich es verstehe geht‘s auch um das Thema Hochschule und sagen wir mal ganz allgemein, Transfer. Dann heißt es Transfer von der Hochschule in die Gesellschaft hinein, in die interessierte Öffentlichkeit, wie es immer so schön heißt. Da kann man noch einmal zurückgehen. Also Hochschule ist ursprünglich angetreten mit zwei Funktionen: Lehre und Forschung. Und dieses Transferthema, das in den letzten Jahren wichtiger wurde oder viel diskutiert wurde, wird deswegen auch als „Third Mission“ benannt. Als dritte Mission, dritte Funktion.

Christian Friedrich: Neben Forschung und Lehre.

Markus Deimann: Neben Forschung und Lehre, genau. Also als eigenständige Aufgabe der Hochschule dafür zu sorgen, dass das, was erforscht wird oder auch was gelehrt wird, in die Praxis transferiert wird. Das jetzt so auf der höchsten abstrakten Ebene, also ganz grundlegend das Thema.

Ich habe das auch schon so ins Pad reingeschrieben: Warum ist es eigentlich nicht schon immer so gewesen? Warum wurde Transfer erst in den letzten Jahren oder Jahrzehnten so als eigenständiges Thema ausgehoben oder identifiziert? Weil eben Hochschule sich meistens mit sich selbst beschäftigt.

Also das Studium oder die Ausbildung, wie sie auch genannt wird, geht darum, Menschen, junge Menschen meistens, die von der Schule kommen, zu Akademiker/innen heranzubilden oder auszubilden. Da durchläuft man auch so einen Sozialisationsprozess, wo es eben darum geht „Eingang oder Einführen in die Wissenschaft, ins wissenschaftliche Arbeiten“ zu bekommen. Um mit den Methoden vertraut zu werden, mit Theorien und Inhalten. Aber es geht da immer nur um Wissenschaft als Selbstzweck. Du wirst schon im Studium - bei dir war das vielleicht auch so? In meinem Studium war das so - du wirst dann früh herangeführt, wissenschaftliche Arbeiten zu irgendwelchen Themen anzufertigen.

Christian Friedrich: Na klar. Das was Wissenschaftler dann ihr Handwerk nennen.

Markus Deimann: Genau. Ich habe Politikwissenschaft studiert und Erziehungswissenschaft und mich da mit den Themen beschäftigt. Ich habe dann da wissenschaftliche Arbeiten angefertigt: Hausarbeiten, Seminararbeiten. Die wurden dann im Seminar vorgestellt. Aber der Zweck war wirklich, einzigen und allein, das im Seminar vorzustellen. Wir sind da nicht herumgegangen und haben das jetzt - in Mannheim habe ich ja studiert - das in der Stadt irgendwie verbreitet. Oder so.

Christian Friedrich: Keine Flugblätter gedruckt.

Markus Deimann: Genau. Das war so dieser klassische Elfenbeinturm. Du bist da in die Uni hinein und hast irgendetwas gemacht und-

Christian Friedrich: Wobei der Untersuchungsgegenstand nicht die Hochschule selbst ist. Das wird häufig auch missverstanden. Wenn jemand wie du sich mit sozusagen seinem akademischen Stallgeruch hinstellt und sagt, Wissenschaft ist jetzt eigentlich nur um der Wissenschaftswillen da, dann meinst du damit nicht, dass Wissenschaft sich nur mit sich selbst beschäftigt als zu untersuchendes Ding.

Markus Deimann: Nein. Nein. Das ist ein guter Punkt. Also es gibt natürlich einen Spezialfall: Hochschulforschung, Wissenschaftsforschung, Wissenschaftsphilosophie, Wissenschaftsgeschichte. Was wir gemacht haben, mal ein Beispiel, war Leben in Mannheim. Damals ein sehr spannendes Thema, wo wir auch Umfragen gemacht haben. Da die Stadt in verschiedene Viertel aufgeteilt war, haben wir da Leute befragt, Interviews geführt, wie so die Lebenssituationen sind. Schon eher soziologisch.

Dann wurden aber diese Themen wissenschaftlich begründet, ausgewertet, diskutiert, vorgestellt. Und wir sind dann nicht noch einmal zu den Leuten ins Wohnzimmer gegangen und haben gesagt: „So, wir haben jetzt das und das herausgefunden.“ (Also wir waren mehrere, wir waren eine Seminargruppe.) Sondern es wurde im Seminar besprochen, ich habe da eine Arbeit dazu geschrieben, irgendeine Note gekriegt und das war’s dann.

Das war natürlichen ein Thema von ziemlicher gesellschaftlicher Relevanz, aber der Output ging wieder zurück ins System, ins Wissenschaftssystem und nicht in die Gesellschaft. Und genau das soll jetzt durch diese Third Mission geändert werden, dass das, was da produziert wird an Erkenntnissen oder an Methoden, dass das Eingang in die Gesellschaft findet. In die interessierte Öffentlichkeit.

Christian Friedrich: Und du beschreibst das, im Moment noch auf dieser abstrakten Ebene, als so ein „eindirektionales“ Ding.

Markus Deimann: Ja.

Christian Friedrich: Also, das was die Wissenschaft macht, muss irgendwie in die Gesellschaft abstrahlen, sozusagen.

Markus Deimann: Ja.

Christian Friedrich: Aber es ist ja oft auch andersherum. Ich habe die Third Mission, das mag auch meine Lüneburg-Prägung sein, so verstanden: Dass die Grenzen von Hochschulcampus zum Beispiel oder von Academia, nicht nur in eine Richtung durchlässiger werden, sondern eben auch in die andere. Dass also Gesellschaft, Wirtschaft und wer auch immer gerade Akteurinnen und Akteuren der Gesellschaft sind, in irgendeiner Art und Weise auch einen anderen Zugriff auf das haben, was in Wissenschaft passiert. Und da vielleicht auch die wissenschaftlichen Arbeiten ein stückweit mitgestalten können oder aufladen können.

Markus Deimann: Ja genau. Es ist keine Einbahnstraße, dass die Hochschule beschließt: „Wir strahlen jetzt aus in die Gesellschaft“. Natürlich sind Hochschulen keine Elfenbeintürme, wie es immer genannt wird. Hochschulen sind Teil der Gesellschaft und natürlich auch vielfältigen gesellschaftlichen Strömungen und Diskursen unterworfen, bzw. ausgesetzt.

Christian Friedrich: Ja.

Markus Deimann: Aber jetzt mal bei dem Thema bleibend: Wie organisiert Hochschule diese Third Mission? Es ist nämlich auch so, das schließt da an das an, was du gerade mit dem Zugriff gesagt hast. Also, dass es so etwas gibt wie ein Seniorenstudium. Das hatte ich damals schon als ich in den 90ern, Ende der 90er studiert habe. Da war in Politikwissenschaft Thema Zeitgeschichte und da waren auf einmal sehr viele Senior/innen im Hörsaal. Thema NS-Vergangenheit und so weiter.

Christian Friedrich: Gasthörer/innen, das hat man ja häufiger.

Markus Deimann: Da hat man schon gemerkt, da gibt‘s ja noch andere. Das war aber wirklich noch so ein bisschen exotisch, das war noch nicht so richtig systematisch. Eine andere Zielgruppe sind dann Kinder. Sowas wie Kinder-Universität.

Christian Friedrich: Sommer-Uni.

Markus Deimann: Sommer-Uni. Obwohl die Hochschule das schon sehr definiert, bestimmt: „Wir öffnen unsere heiligen Hallen und lassen euch jetzt mal, für eine ausgewählte Zeit, für eine Vorlesung oder Sommerferien, da dran teilhaben.“

Christian Friedrich: Wir machen so ein Drei-Tage-Special für euch.

Markus Deimann: Ja.

Christian Friedrich: Das ist für dich auch Praxistransfer? Also das würdest du da mit einrechnen?

Markus Deimann: Nein.

Christian Friedrich: Aber in die Third Mission insgesamt.

Markus Deimann: Ich gehe jetzt mal vom Standpunkt der Hochschule aus. Da die Hochschule jetzt merkt – es gab ja auch vielfältigen Druck von der Wirtschaft, von der Politik, von der Gesellschaft allgemein - dass diese Erkenntnisse zu wenig in die Gesellschaft hinein transferiert werden. Sondern, du wirst ja auch abgeschlossen davon. Das paradoxe ist ja, Wissenschaft - heißt es immer - ist frei zugänglich. Da wären wir wieder bei unserem Thema Open Education oder Open Science. Aber wenn du es genau nimmst, was du für Möglichkeiten hast, ist irgendwelche Scientific Journals zu lesen. Dafür brauchst du aber wiederum ein hohes kulturelles Kapital: Also Vorwissen, Vorbildung. Du musst diese Sozialisation, die ich vorhin beschrieben habe, durchlaufen haben, sonst bist du da abgehängt oder du hast keinen Zugang dazu. Selbst wenn es Open Access ist, die Journals, steht da irgendetwas in verschwurbelter Sprache mit einer ganz besonderen Literaturgattung, nämlich Scientific Paper, wo du überhaupt keinen Anschluss findest. Genau um diesen Transfer - „Wie kann ich die Erkenntnisse, die Forschung der Öffentlichkeit zugänglicher machen“ - darum geht‘s.

Christian Friedrich: Ja. Das ist auch ein Punkt, den ich in meinen Notizen hatte. Also aus unserer Perspektive: Warum sprechen ausgerechnet wir über sowas wie Praxistransfer, weil unsere Themen sonst eher Open Education, Digitale Technologien im Bildungskontext, solche Sachen sind? Weil mein Eindruck nämlich auch der ist - wenn ich mir so angucke, was so die Third Mission-Diskurse sind und die Menschen, die sich dazu unterhalten -, dass es eben genau diese Frage von Zugang und Zugänglichkeit in der Unterscheidung auch ist. Also dieses: Du kannst vielleicht den Zugang zu deinen Erkenntnissen in irgendeiner Art und Weise über ein PDF zum Download, sprich eines Scientific Journals, bereitstellen. Damit ist es aber immer noch nicht den Menschen, die das vielleicht in der breiteren Gesellschaft interessiert, zugänglich.

Markus Deimann: Genau.

Christian Friedrich: Das war ja dann auch, so habe ich das zumindest wahrgenommen, wiederum meine Lüneburger-Uni-Sozialisierung, vielleicht auch ein bisschen speziell. Für eine kleine mittelständische Uni hatten wir eine ordentliche Kommunikations- und Presseabteilung, die auch versucht hat in irgendeiner Art und Weise das, was in der Hochschule passiert, auf der Webseite irgendwie in Interviewform, in anderen Formaten, zugänglich zu machen

Markus Deimann: Aber das ist ein wirklich sehr guter Punkt. Und zwar ist es wichtig zu unterscheiden zwischen Zugang und Zugänglichkeit. Weil einmal gehst du wirklich von der Hochschule aus. Die Hochschulleitung beschließt: Okay, jetzt müssen wir irgendwie Output in die Gesellschaft hinein transferieren. Dann kriegt da die Pressestelle einen Auftrag: „Schreibt ihr mal eine Pressemitteilung.“ Oder das Veranstaltungsmanagement: „Macht mal irgendein Event.“

Aber – und das ist jetzt nur eine These von mir, auch provokant – aber wen das betrifft, das ist dann so eine Blackbox, das ist die anonyme Masse.

Christian Friedrich: Ja, die interessierte Öffentlichkeit wird da angesprochen.

Markus Deimann: Genau. Ich weiß nicht, wie differenziert die da arbeiten. Ob sie sich fragen, wer könnte kommen? Sondern es geht einfach darum: Wir senden das aus, wie bei Massenmedien, bei Zeitungen und Fernsehen - da bist du auch eine anonyme Masse. Die haben da schon eine Normalverteilungsannahme, aber im Prinzip geht es einfach hinaus an eine anonyme Masse.

Und das andere wäre, wenn du es mal von der anderen Seite betrachtest, nämlich wirklich von der Öffentlichkeit aus: Wer ist das? Welche Personengruppen? Welche Personas sind dahinter und dann auch zu gucken: Was für Mediennutzungsgewohnheiten haben die? Es wird ja meistens vermittelt über Medien – über Pressenmitteilungen. Deswegen ist jetzt glaube ich auch dieses ganze Thema „Social Media“ so interessant für die Pressestellen, für die Hochschulen. Denn auf Social Media sind sehr viele Menschen, also auch Nicht-Akademiker/innen und da ist dann irgendwie so ein Kanal, wo du sie – hier ein blöder Spruch: „abholen kannst, wo sie stehen“.

Christian Friedrich: Ja genau. Irgendwann finden wir für unseren Podcast noch einen Phrasen-Schreiner.

Markus Deimann: Genau, dann müssen wir immer so ein Geräusch machen.

Christian Friedrich: „Ka-Ching“.

Markus Deimann: Ja. So, dann geht es nämlich darum, dass du diese Medien auch so reflektierst und so ein Scientific Journal hat eine hohe Hürde. Und das andere wäre – ein anderer Begriff – was wäre dann niedrigschwellig oder ein barrierefreier Zugang?

Christian Friedrich: Das ist auch eine Dimension von Zugänglichkeit. Wir definieren Zugänglichkeit gerade über die Sprachebene, die Kommunikationsebene, zu Beginn mal. Also: Wie formuliere ich überhaupt wissenschaftliche Erkenntnis, damit sie verstanden und irgendwie auch auf den eigenen Kontext bezogen wird?

Markus Deimann: Ja.

Christian Friedrich: Aber es gebe auch eine technologische Ebene. Wenn ich alle meine Paper aus irgendeinem Grund in InDesign veröffentliche und das niemand öffnen kann, dann wäre das auch doof.

Markus Deimann: Ja.

Christian Friedrich: Um ein sehr abstruses Beispiel zu nehmen. Aber das hat auch eine administrative Ebene, also eine Managementebene sozusagen. Stell ich überhaupt die Ressourcen zur Verfügung damit Menschen das machen können? Habe ich eine Stelle für Pressearbeit in meiner Hochschule? Oder habe ich da jemanden, der oder die sich vielleicht auch ein Netzwerk an interessierten Menschen aufbauen kann? Zum Beispiel in Wirtschaft, Gesellschaft, Politik, Medien - und so weiter - die dann eben auch gezielt angesprochen werden können, um nicht in diese Broadcasting-Manier zu verfallen. Dazu gehört dann aber doch auch in irgendeiner Art und Weise eine … ich glaube Menschen, die sich mit Lernen beschäftigen, würden über eine „pädagogische Dimension“ sprechen. Also wie führe ich die Leute da heran?

Markus Deimann: Genau, du brauchst eine Didaktik. Und ich glaube – das ist wieder so eine These – dass in „Presseabteilungen“ nicht immer didaktische Kompetenzen vorhanden sind, sondern dass du journalistisch schreiben kannst, was natürlich auch wichtig ist. Sie orientieren sich da eher an diesen journalistischen Standards.

Ich habe einige Male, auch bei uns, mit der Pressestelle zusammengearbeitet. Aktuell auch gerade wieder für ein Event, das wir zusammen planen. Da hieß es auch: „Jetzt mach das mal hübsch.“ Also da haben wir Themen gesammelt und das sollte jetzt verpackt werden. Dann war die Ansage an die Pressestelle: „Macht das mal hübsch.“

Christian Friedrich: Die x-Anzahl von Zeichen oder Worten.

Markus Deimann: Ja. Oder das eingängiger zu formulieren. Und das geht da mehr in dieses Journalistische. Und ich glaube, was du meinst und das was ich hier auch meine, ist das Didaktische. Da geht es darum nicht nur einfache Dinge zu vermitteln, sondern komplexere Sachverhalte herunterzubrechen, Komplexität zu reduzieren. Zum Beispiel im naturwissenschaftlichen oder auch soziologischen Bereich, wo es so ist, dass komplexe Sachverhalte so runtergebrochen werden, dass sie auch verstanden werden.

Christian Friedrich: Ein gutes Beispiel dafür finde ich ist der „SozioPod“, als ein Podcast, der abstrakte komplexe Themen auseinandernimmt. Aber in dieser Gesprächsdynamik zwischen den beiden, da passiert genau diese Zugänglichkeit.

Markus Deimann: Und genau da hast du nämlich diese didaktische Komponente mit Professor … Professor ist er glaube ich?

Christian Friedrich: Ich glaube.

Markus Deimann: Oder Doktor. Professor oder Doktor Niels Köbel, der Erziehungswissenschaftler oder Soziologe ist und der immer so eine wunderbare Einführung in die Themen macht. Wenn es dann um, was weiß ich, Karl Marx geht oder um tuuwi, das habe ich neulich gehört, war auch sehr gut. Das sieht man diesen Punkt genau: Es ist komplexitätsreduzierend. Und der Sparringspartner ist dann eben jemand, der den Blick auf das Aktuelle hat. Das ist auch für mich ein sehr gelungenes Beispiel für Praxistransfer.

Christian Friedrich: Okay. Wir haben jetzt also „Zugang“, „Zugänglichkeit“ abgehakt, glaube ich so ein bisschen. Oder?

Markus Deimann: Ja.

Christian Friedrich: So im Groben.

Markus Deimann: Ja.

Christian Friedrich: Da kommen wir bestimmt noch irgendwann mal hin.

Markus Deimann: Ja.

Christian Friedrich: Jetzt hast du praktisch die Frage gestellt – so habe ich dich zumindest verstanden, als du eingeleitet hast, dass diese Third Mission (oder die dritte Mission) an den Universitäten in den letzten 10, 15, 20 Jahren zumindest an Bedeutung gewonnen zu haben scheint – da hast du in Frage gestellt, ob dass denn nicht schon immer so war, dass die Hochschule das eigentlich schon zur Aufgabe hatte.

Markus Deimann: Hatten sie nicht. Noch einmal zurück: Das war eher so ein geschlossenes System, ein selbstreferenzielles System, dass sich mit sich selbst beschäftigt.

Christian Friedrich: Genau.

Markus Deimann: Und das ist ja auch richtig so. Wenn man da noch einmal soziologisch rangeht, mit Luhmann nach der Systemtheorie, dann gibt es dann eben die Systeme: Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Familie. Und die arbeiten immer auch in eigenen Codes, sonst würden die auch gar nicht funktionieren können. Wenn Wissenschaft anfangen würde, nur profitorientiert zu arbeiten, würde das nicht funktioniert.

Christian Friedrich: Ja.

Markus Deimann: Wo wir jetzt hinkommen könnten, nach der Zugänglichkeit, wäre jetzt so etwas wie Partizipation. Wenn du nämlich sagst: Okay, ich erhöhe meine Zugänglichkeit oder Offenheit. Die Leute dürfen jetzt lesen oder konsumieren oder an Veranstaltungen teilnehmen. Der nächste logische Schritt in meiner Wahrnehmung ist dann, dass die Leute auch mitmachen sollen. Also, mitdiskutieren können, wenn du deine Forschungsergebnisse – davon lebt Wissenschaft ja eigentlich auch immer – zur Diskussion stellst. Da brauchst du dann auch immer Formate: Partizipation mit der Gesellschaft.

Christian Friedrich: Ja. Was dabei aus meiner Sicht interessant ist, wie soll ich sagen- ... Meine kurze akademische Laufbahn hat sich unter anderem mit der Legitimität von Partizipationsverfahren auseinandergesetzt und deren wahrgenommener Legitimität aus einer psychologischen Perspektive. Das war deswegen spannend, weil eine total auf der Hand liegende Erkenntnis, die ist, dass du als Einzelperson vor allem dann an Partizipationsprozessen teilnimmst und diese als legitim wahrnimmst, wenn transparent gemacht wird, wie sich dein Einfluss wiederum in diesem Prozess bemerkbar macht. Also, was der Output deines Inputs wird. Und meine Erfahrung gerade auch als jemand der ab und zu mal bei einer akademischen Konferenz war, ist, dass es Wissenschaftler/innen und Forschenden wahnsinnig schwer fällt aus diesem „Broadcasting-Modus“ - wir posaunen jetzt unsere neuesten Forschungsergebnisse in die Welt hinaus - rauszukommen. Und tatsächlich auch auf eine Art Feedbackschleife einzugehen, die wiederum aufnimmt, was damit dann sozusagen gemacht wird. In Bezug auf Lernen und Hochschullehre, fällt mir da so ein Stichwort in Richtung „Service-Learning“ auch ein. Das heißt, die Lehrveranstaltungen in der Gesellschaft zu verankern und sie auch mit einem gesellschaftlichen Impact, einem Ziel, vielleicht sogar aufzuladen.

Markus Deimann: Ja.

Christian Friedrich: Bei Forschung wird, in meiner Wahrnehmung, deren Unabhängigkeit noch einmal ein Stück höher gehangen, als es zum Beispiel in der Lehre wäre. Forschung soll neutral sein, objektiv sein, nachvollziehbar und nachprüfbar sein. Da geht es eigentlich darum, Störelemente herauszufiltern und nicht noch neue dazu zu holen. Ja, aber viel mehr habe ich da glaube ich auch nicht dazu zu sagen. Sag du mal.

Markus Deimann: Zum Thema Forschung, da gibt es auch so etwas wie „Citizen Science“. Das ist auch so eine Strömung, die in den letzten Jahren – da können wir auch gleich einen Link dazu in die Show-Notes reinhauen -

Christian Friedrich: Mache ich.

Markus Deimann: Wo es darum geht, dass Menschen, die sich auch für Forschung interessieren, aber keine Akademiker/innen sind oder keine akademische Laufbahn durchlaufen haben, daran beteiligt werden sollen. Das sind oftmals solche Dinge wie Naturbeobachtung oder Daten sammeln, Messungen durchführen und die mit den Wissenschaftler/innen zu teilen. Also, dass du schon das Gefühl hast, ein Teil davon zu sein. Weil, dein Beitrag ist wichtig, wenn du - was weiß ich – Vogelbeobachtungen machst oder Temperaturbeobachtungen, im Bezug zum Klimawandel und so weiter. Dann wird suggeriert, dass deine Messung, die du hier in Berlin durchführst, von deiner Wohnung aus und dann irgendwo teilst oder Forscher/innen zur Verfügung stellst, dass die schon wichtig ist für das Ergebnis.

Natürlich ist die Beteiligung beschränkt auf diese Verfahren und Messungen und Datensammlungen. Denn was du vorher gemeint hast mit „neutral“, das ist es ja gerade nicht. Wissenschaft ist nicht neutral, sondern politisch und folgt gewissen Agenden, also Plural von Agenda. Das wäre da auch wieder der Fall und da kann es sehr spannend werden, nämlich wenn jetzt interessierte Bürger/innen, „Citizens“, mit hineingeholt werden in den Forschungsprozess. Die Daten werden gesammelt, dann folgt die Auswertung, daraus ergeben sich dann irgendwelche Muster, dann werden die interpretiert. Dann kommen die (Bürger/innen) vielleicht zu ganz anderen Erkenntnissen oder auf andere Ideen als die etablierten Forscher/innen. Und dann kann dieser akademische Habitus ins Spiel kommen: „Ne, wir wissen das. Wir kennen die Theorie. Ihr habt keine Ahnung. Studiert erst einmal ein paar Jahre, bevor ihr überhaupt mitreden könnt.“ Das wäre jetzt eine von mir, sehr schroff und sehr überspitzt dargestellte Verkürzung.

Christian Friedrich: Aber trotzdem ein gutes Beispiel, um zu zeigen, dass die Grenze nicht nur von Richtung Wissenschaften in Richtung Gesellschaft offener ist, sondern eben ein Stück weit auch andersherum. Ich knirsche immer so ein bisschen mit den Zähnen bei „Citizen Science“, weil damit auch ganz oft so eine … Prekarisierung ist vielleicht das falsche Wort. Also da leisten ganz viele Menschen gratis Arbeit für Forschungsprozesse und das auch teilweise unter Bedingungen, die nicht wissenschaftlich sind: Das soll ja auch nachvollziehbar, nachprüfbar sein und reliabel und so weiter. Und das trägt irgendwie nicht dazu bei, wenn du möglichst viele Menschen, selbst wenn du es versuchst zu standardisieren, zum Beispiel Daten einsammeln lässt. Bei der Vogelbeobachtung mag das vielleicht noch gehen, aber auch da: Wie viele Spatzen zählst du da jetzt?

Was ich daran interessant finde, ist auch gerade wegen diesem Begriff „Citizen Science“ – es gibt ja noch „DIY Science“ und auch andere sozusagen ‚unter-Spektralfarben‘ davon – dass gerade in diesem „Citizen Science“ auch dieser Begriff der Bürgerlichkeit irgendwie mit reingebracht wurde. Ich will das auch nicht überinterpretieren, aber mir geht‘s dann auch ganz oft so, dass ich mich frage, wer denn jetzt tatsächlich daran beteiligt sein darf. Weil, um mal bei den Ornithologen zu bleiben, das war glaube ich so ein Projekt vom BUND, wo ganz viele Vögel gezählt wurden. Da war dann schon so beim Durchgucken der Pressefotos mein Eindruck, dass das dann emeritierte Prof’s waren, die auf die alten Tage nochmal ein bisschen „Citizen Science“ betrieben haben, einfach um hier und da noch einmal ein Ohr aufs Gleis zu legen, um herauszufinden was so woanders passiert. Und die Zielgruppen, die du eigentlich vielleicht ansprechen möchtest mit so einem Thema, haben sich von diesem „Citizen Sciences-Jargon“, glaube ich nicht richtig abgeholt gefühlt.

Markus Deimann: Das sind ja dann soziale Effekte, die sich da einstellen, dass es wirklich nur eine ganz bestimmte Bevölkerungsschicht anspricht. Eine andere Perspektive auf das Thema „Third Mission“ wie es jetzt bei „Citizen Science“ anklang ist nämlich zu sagen, es wäre eine versteckte – oder vielleicht nicht ganz so versteckte – Legitimation von Wissenschaft. Wissenschaft ist seit einiger Zeit, Stichwort Populismus (Alternative Facts, Fake News), stark in die Kritik gekommen. Oder „Post-Truth“. Dass die sogenannte Wahrheit oder Fakten nicht mehr so zählen, sondern mehr das Bauchgefühl. Zum Beispiel: „Ich habe jetzt ein ganz anderes Gefühl, hier mit der Überfremdung, da könnt ihr mir erzählen was ich wollt mit euren Statistiken, ich spüre doch, dass da was im Busch ist, dass diese ‚Umvolkung‘ kurz bevorsteht.“ Da ist vielleicht auch eine Reaktion zu sagen: „Wir müssen die Bevölkerung mehr beteiligen.“

Einerseits ist das, was du mit Prekarisierung gemeint hast wichtig und das andere, was ich meine ist, dass man auch so eine Seriosität hat. Weil natürlich könnte das auch ein stückweit verlockend sein, für Pseudowissenschaftliche Ansätze, die sich dadurch eine Legitimation holen, indem sie sagen: „Hier, wir haben Bürgerbeteiligung. Wir haben Rückhalt in der Bevölkerung mit unserer Forschung. Das als Legitimation. Also einmal allgemein, weil die Wissenschaft im Kreuzfeuer der Kritik steht von bestimmten Richtungen. Auf der anderen Seite aber auch um zu sagen: „Ich habe hier eine para-pseudowissenschaftliche Forschung, hole mir jetzt eine Bürgerbeteiligung rein und dadurch wirkt es dann.“ Denn Wissenschaft als ‚Ersatzreligion‘ in Form solcher Aussagen wie, „die Wissenschaft hat festgestellt“, wirkt ja auch. Das hat einen Machteffekt auf Menschen, wenn du dass dann so liest. Der Klassiker wäre, du siehst einen Fernsehspot, in dem läuft Dr. BEST im weißen Kittel herum. Dann werden irgendwelche nichtssagenden Statistiken eingeblendet und dann ist am Schluss so eine profane Zahnbürste zu sehen und es heißt: „Hier kauft das. Nie mehr Karies und Parodontose.“

Christian Friedrich: Männershampoo ist auch so ein Beispiel. Haarwuchsgeschichten und so etwas.

Markus Deimann: Genau.

Christian Friedrich: Auch da bin ich immer ein bisschen zwiegespalten, weil einerseits als ‚Nicht-Wissenschaftler‘ manchmal mit so einem romantisierten Bild auf Wissenschaft geschaut wird. Da geht jemand morgens zur Arbeit und kann frei entscheiden, was er oder sie tut. Dass das nicht so ist, ist allen Menschen klar, die in so eine Hochschule mal reingeguckt haben. Sei das Drittmittel-Abhängigkeit als Diskussionspunkt oder so weiter. Ich find diese Legitimations-Diskussion von Wissenschaft fällt mir manchmal als eher reagierend auf etwas auf. Das ist glaube ich auch hier eine Gefahr. Also, dass man sagt: „Oh, jetzt müssen wir uns als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und als Forschende irgendwie rechtfertigen. Dann machen wir doch mal eine öffentliche Veranstaltung mehr oder erzählen das mal mehr. Und ich glaube, da ist es dann interessant drauf zu gucken, wie man dann kommuniziert. Kommuniziere ich dann als Jemand, der zum Beispiel begeistern möchte für ein bestimmtes Forschungsgebiet oder einen bestimmten Bezug dazu. Oder kommuniziere ich schon aus dieser legitimierenden, defensiven Sicht auf Dinge.

Ich find aber nicht, dass sich Wissenschaft erst so richtig legitimieren muss, seit über die Third Mission gesprochen wird. Das war ja im Prinzip auch vor hundert Jahren schon so, dass sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Art und Weise gerade machen müssen und sagen müssen: „Guck mal wir haben das und das herausgefunden. Das ist für euch alle interessant und wichtig, weil. Das ist übrigens auch ein gesellschaftliches Ding, das ihr weiter finanzieren müsst und wollt und solltet. Das ist schon vorher so gewesen. Jede Geschichte eines großen Wissenschaftlers oder einer Wissenschaftlerin ist immer so, dass sich einer gerade gemacht hat und schon fast zu einem Heldenstatus ausgerichtet wird, indem er für seine Fachdisziplin argumentiert.

Ich weiß gar nicht ob - dann sind wir auch wiederum wieder bei der einleitenden Frage von dir - ist Third Mission jetzt einfach ein Label für etwas, was ohnehin schon immer passiert ist oder ist das etwas, was neu dazukommt.

Markus Deimann: Ich würde gerne noch einmal nachhaken zu deinem Punkt: „Wissenschaft hat das auch vor hundert Jahren gemacht.“ Es gibt natürlich wissenschaftliche Forschung und Erkenntnisse, die unmittelbar gesellschaftlich relevant sind. Gerade im medizinischen Bereich, wenn da Penicillin oder sowas entwickelt wird, gewisse Medikamente. Wenn du akute Bedrohungen damit adressierst. Dann hat es für die gesamte Gesellschaft - und das ist, glaube ich, auch das Ideal, von dem man ausgehen kann - Bedeutung. Oder Automobilen, Mobilität, Gesundheit.

Christian Friedrich: Batterieforschung.

Markus Deimann: Ja. Dass ist das eine. Aber dann ist auch folgendes zu erkennen und da steckt auch dieser Fortschrittsglaube dahinter und der hängt mit der Aufklärung zusammen: Ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts, wo auch wirklich neue Wissenschaften entstanden sind, z. B. Soziologie, Psychologie und so weiter …

Christian Friedrich: Wo auch diese experimentellen Methoden erst kamen.

Markus Deimann: Genau, auch naturwissenschaftliche. Aber dann kam auch irgendwann so ein Knick, nämlich als dann die Atombombenforschung begann. Als die Forschung und Technik wahnsinnige Fortschritte gemacht hat, aber als auf einmal ein unglaubliches Bedrohungs-, Zerstörungspotential da war. Dann gab es auch massive Kritik, von Weizenbaum oder auch aus der Physik heraus, die gesagt haben: „Um Gotteswillen, wir müssen die Finger davon lassen, wir verbrennen uns da. Das kann die ganze Menschheit auslöschen.“ Aber das ist glaube ich noch einmal ein anderer Diskurs.

Aber da gibt's gewisse Fächer, die sehr transferaffin sind, oder relevant. Und dann gibt's sowas wie die sogenannte Orchideenfächer, wie z. B. Literaturwissenschaft, Archäologie, wo dann mir gesagt wurde: „Warum machst du das?“ Also Stichwort Geisteswissenschaften. Da sind wir wieder bei dieser Trennung zwischen Natur- und Geisteswissenschaft, wo es heißt: „Was bringt das denn?“ Schon wenn du dann in deinem Freundes- und Familienkreis erzählst, du willst Erziehungswissenschaften, Politikwissenschaften studieren, dann bekommst du solche Kommentare zu hören: „Okay, bei Politik, dann willst du wohl Politiker werde.“ „Ehm, nein.“ Aber die nächste Frage ist dann: „Was bringt das?“

Christian Friedrich: Mir kommt es auch oft so vor, als wäre das so eine westdeutsche Haltung. Was kann der Junge denn damit verdienen, warum macht er denn nicht etwas Richtiges

Markus Deimann: Ja. Es ist generell westlich. In den USA sind es die ‚Humanities‘, die sind auch schwer in die Kritik geraten. So dass der Bereich jetzt mit Digitalisierung bzw. Digital Humanities noch einmal aufblüht. Aber da fehlt eben diese unmittelbare - man spricht ja auch von Verwertbarkeit - aber das ist noch einmal ein anderer Begriff als Transfer. Wenn man sagt: „Ich erforsche jetzt diese neue Batterie, um Verbrennungsmotoren abzulösen, um eine umweltfreundlichere Fortbewegungsmethode zu erforschen“, dann fliegt dir gleich der Nobelpreis zu. Aber wenn du jetzt die postmoderne Literaturtheorie oder die post-post-postmoderne Literaturtheorie untersuchst, da hast du dann ein Nischenthema, das eine Hand von Leuten liest. Da ist dann immer der Vorwurf: „Das ist ja nur für eine kleine Elite dann interessant.“

Christian Friedrich: Weil es auch schwerer zu transferieren ist. Das ist auch etwas, was sogar uns hier im Podcast immer mal wieder begegnet, dass Menschen sich das anhören und sagen: „Ja, aber im echten Leben müssen wir doch mit dem Learning Management System arbeiten. Warum redet ihr nicht mal darüber?“

Markus Deimann: Okay, das wäre aber ein guter Punkt. Gibt’s generell eine Transferfähigkeit von Wissenschaft? Oder gibt es gewisse Dinge, die überhaupt nicht transferfähig sind?

Christian Friedrich: Ich glaube, ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen und nicht nur darüber sprechen, ob das so ist, sondern ob das eine Bedingung von Wissenschaft ist. Ob die Gesellschaft diese Transferfähigkeit als Bedingung für eine Förderung von Wissenschaft sieht. Sehr vereinfacht gesagt: Ihr kriegt nur Kohle und Ressourcen und Infrastruktur von uns, wenn wir das eins zu eins anwenden können.

Markus Deimann: Aber das ist dann wieder so förderpolitisch, förderlogisch. Wenn du von der reinen Wissenschaft ausgehst, heißt es ja, Wissenschaft muss eben nachvollziehbare Methoden haben, muss abwägend sein. Aber das hört an einem gewissen Punkt auf. Du fängst an mit einem Erkenntnisbedarf, dann erforschst du irgendetwas, dann hast du die Erkenntnis und dann ist Schluss.

Christian Friedrich: Ja.

Markus Deimann: Beziehungsweise ist da wieder dieses selbstreferenzielle System: Diese Erkenntnis zieht neue Fragen nach sich, aber das bleibt alles im System Wissenschaft. Also es bezieht sich nur auf sich selbst.

Christian Friedrich: Ja. Wobei, was ich schwierig finde an dieser Fragestellung ist: Wenn ein Third Mission Narrativ ist, dass Wissenschaft vor allem dann gut ist, wenn sie direkten Nutzen abwirft, dass das natürlich eine „slippery slope“ ist. Ab dem Moment, ab dem du dafür argumentierst, ab dem du dich auch als Wissenschaftseinrichtung darauf einlässt, wirst du es im Folgenden wahrscheinlich ein bisschen schwieriger haben, Kohle zu kriegen oder eine Förderung. Im Gegensatz jetzt zu einer Grundlagenforschung in der Physik, die an irgendwelchen Carbonylverbindungen - was auch immer das genau ist - arbeitet. Oder eben in der Bildungswissenschaft eine post-post-post-digitale was-auch-immer-Pädagogik, oder so. Also Dinge, die nicht direkten Anwendungsbezug haben, sollen ja trotzdem auch erforscht werden. Da ist es wiederum eine umso größere kommunikative Aufgabe auch zu erklären, warum das überhaupt wichtig ist.

Markus Deimann: Aber ich glaube nochmal, das sind zwei verschieden paar Schuhe. Einmal ist es die Verwertbarkeit und einmal Transfer. Aber da bin ich natürlich voll bei dir. Gerade was Verwertbarkeit angeht - das ist nochmal ein anderer Diskurs - aber was den betrifft, da stehen ja die Geisteswissenschaften immer stark in der Kritik.

Christian Friedrich: Ja, weil sie nicht verwertbar sind.

Markus Deimann: Genau. Bei Transfer geht’s aber darum - da waren wir vorher stehengeblieben - was das noch neben dem Zugang beinhalten kann. Partizipation oder Kritik. Bei Wissenschaft geht es immer viel um Kritik. Also dass die Leute einbezogen werden - du hast es glaube ich Feedback genannt – dass du dir die Ergebnisse anguckst oder die Forschung und dazu Stellung nimmst. Darüber werden wiederum die Forschenden informiert. Also dass es so ein Feedback eben gibt.

Christian Friedrich: Ja.

Markus Deimann: Und da wäre wiederum die Frage, ob das nur die Ergebnisse betrifft oder sogar schon den Forschungsprozess. Da sind wir wieder bei Citizen Science, wenn die Vögel beobachtet werden. Dann stellt die interessierte Öffentlichkeit fest: „Die Spatzen brüten dieses Jahr anders“ oder „mir sind die und die Veränderungen aufgefallen, die habt ihr vielleicht noch gar nicht erfasst.“ Und das kann dann wiederum Auswirkungen auf die Forschung haben.

Christian Friedrich: Ja, weswegen ich das Thema interessant fand, als du vorgeschlagen hast, dass wir es machen. Denn ich sehe gerade bei diesen Transferthemen eher als bei den Verwertbarkeitsthemen immer auch eine parallele Diskussion zum Beispiel in „Open Access“ und „Open Science“. Also das, worauf du auch so ein bisschen anspielst. „Open Access“ sozusagen in Reinform ist: Die Forschungsergebnisse werden der Öffentlichkeit möglichst in freien Lizensierungsformaten und freien Dateiformaten irgendwie zugängig gemacht.

Markus Deimann: Genau. Artikel oder auch Daten.

Christian Friedrich: Genau, da gibt es ja auch einen Haufen Erklärungen dazu. Darauf müssen wir nicht im Zweifel eingehen, aber so im Prinzip: Das Forschungsmaterial, also das Ergebnis und das Forschungsmaterial, Daten und was auch immer, Versuchsaufbauten – all solche Sachen – Befragungsprotokolle, sowas würde vielleicht in „Open Access“ – schon in einer ziemlich progressiven Version von „Open Access“ – zugänglich gemacht werden. Klassischer Weise ist unser Paper offen zugänglich.

Markus Deimann: Genau, steht unter der freien Lizenz.

Christian Friedrich: Genau. „Open Science“ wäre dann wiederum eine Öffnung dieses kompletten Forschungsprozesses. Also ein Forschender/eine Forschende stellt sich hin und hat eine erste Idee und Hypothese, grenzt den Forschungsbereich ein, macht das vielleicht auch öffentlich zugänglich. Sammelt in dem Prozess sogar schon irgendwie Feedback aus ihrer Peergroup oder von anderen Menschen ein. Zieht los, führt das Ergebnis durch, macht vielleicht auch diesen Prozess in irgendeiner Art und Weise zugänglich, so gut wie es eben manchmal geht. Und beteiligt Menschen wiederrum auch anders an diesem Prozess und das auf eine transparente Art und Weise. Und auch da, ich glaub da kann auch wiederum sowohl die „Open Science“, „Open Access“ … – Ist das eine Bewegung? Ich bin da immer sehr schwerfällig mit Bewegung.

Markus Deimann: Man nennt das schnell Movement. Die Bewegung.

Christian Friedrich: Die Menschen, die sich mit „Open Science“ und „Open Access“ befassen, könnten dann bestimmt auch mal – oder tun das bestimmt auch – Diskussionen rund um Praxistransfer, Wissenstransfer sozusagen vermischen. Diskurse irgendwie angucken. Und darauf glaube ich auch öfter mal Bezug nehmen in der eigenen Legitimationsdebatte.

Aber andersherum glaub ich auch: Du hast eben einen Pressesprecher ein bisschen abstrakt beschrieben. Der broadcastet kurz mal Wissenschaftsergebnisse im Zeitungsformat raus und macht das dann einfach. Das ist dann sozusagen die „Open Access“-Variante. Aber auch da kann man den Prozess in Tiefe und Breite nochmal aufbauen und irgendwie versuchen auf Prozesse, auf Tätigkeiten und Zugänglichkeit davon irgendwie-

Markus Deimann: In dem Zusammenhang finde ich „open“ als technischer term ist ein qualifizierter Marker. Also „openess“ als Begriff markiert ja was, aber qualifiziert auch was, weil er einen Anspruch hat. Also „open“ hat gewisse Ansprüche – Der Begriff. Und die werden natürlich in der Diskussion nicht immer so mittransportiert.

Bei „Open Access“ ist es ja eigentlich immer relativ klar gewesen, das haben wir jetzt auch schon beschrieben. Aber wenn du mal auf den Bildungsbereich gehst zu „Open Educational Resources“, dann ist da zwar auch klar, was „open“ ist – nämlich, dass es auch unter der freien Lizenz steht –, aber dann hast du noch das „E“ für „Educational“. Und da kann man diskutieren: Ist jetzt nicht alles, was unter „Open Access“ steht auch gleich „OER“ oder muss es noch irgendwie didaktisiert werden? Pädagogisch aufbereitet werden? Das ist wiederrum ein Punkt, den hatten wir vorhin schon beim Transferthema, dass man es nicht einfach so, wie es ist, raushaut und diese ganzen Affordanzen, also die Anforderungen an die Verarbeitung, die das Objekt stellt … – Also wenn du jetzt ein kompliziertes Journalpaper hast, dann brauchst du eben gewisse Vorkenntnisse, um das anzufangen eben zu didaktisieren. Oder lässt man es weg?

Bei „Open Science“ oder „Open Education“ wird es natürlich noch komplexer, weil es – wie du es schon genau richtig sagst – es ein Prozess ist und da gibt es verschiedene Ebenen. Und da auch diesen „Open“-Begriff nur richtig, als Maßstab, als Kriterium zu verwenden und auch zu fragen: Was heißt das jetzt? Was ist jetzt „Open“ für mich in dem Prozessschritt?

Christian Friedrich: Ich finde, das ist insofern auch interessant, weil ein Missverständnis bzw. Verständnis von „open“ ist: „Wir machen das, was da ist, zugänglich und damit machen wir es schon automatisch besser“. Das ist auch etwas, das wir hier immer thematisiert haben, dass das im Zweifel nicht immer so ist.

In dem Moment, wo du Dinge öffnest und du vielleicht Praxistransfer ermöglichst... Ich bin jetzt kein Systemtheoretiker, aber wo du auch letztendlich Einfluss nimmst auf ein komplexes System und damit auch wiederrum woanders Dinge erreichst, erzielst, verstärkst, minimierst, die so gar nicht intendiert und beabsichtigt waren.

Markus Deimann: Ganz genau. Man kann es auch philosophisch so beschreiben: „Öffnung“ (= openess) hat immer auch eine Ausgrenzung. Es ist eine Illusion zu glauben „Bildung für alle“ oder „Offen für alle“. Alle … das gibt es nicht. Es ist immer nur ein Teil der Bevölkerung und der Menschen. Es ist quasi die Frage, wie viele das sind. Und weil das prinzipiell so ist, dann zu gucken: Wie kann ich das begründen? Wie kann ich das auch wieder offenlegen? Dass ich sage: „Okay, mein Angebot oder mein Praxistransferangebot richtet sich jetzt hauptsächlich an die und die.“ Ich glaube, je offener du das wiederrum machst, desto besser ist es.

Christian Friedrich: Desto eher läuft es aber auch Gefahr, beliebig zu werden.

Markus Deimann: Ja, aber nehmen wir dieses Extrembeispiel aus dem Bildungsbereich: Die offenen Kurse „MOOCs“ mit diesem sehr schwer verdaulichen claim „Bildung für alle“.

Christian Friedrich: Eigentlich von Willi Brandt. Weißt du das?

Markus Deimann: Nein, aber Willi Brandt kommt aus einer anderen Zeit. „Bildung für alle“ kommt ja auch aus der UNESCO und UNO und allgemeinen Menschenrechtserklärung nach dem Krieg – nämlich, dass Bildung nun allen zugänglich sein muss. Aber zugespitzt wurde es wegen „MOOCs“, weil die eben so ein Format haben, das eben auch stark ausgrenzend wirkt, eine hohe Hürde hat und diesen Mattheus-Effekt. Also dass es genau die, die es eigentlich adressiert, eher systematisch ausschließt.

Und deswegen wäre jetzt nochmal mein Argument zu sagen: „Praxistransfer oder Öffnung für alle ist nicht möglich. Wen erreiche ich? Wie? Mit welchen Mitteln? Wen erreiche ich nicht? Warum nicht?“ Da wären wir schon ein Schritt weiter in der ganzen Diskussion, wenn ich mir das mal bewusst mache. Und nicht, wenn ich einfach sage: „Okay, was wollt ihr denn? Ich mach jetzt das und das alles.“ Das erreicht schon ganz viele.

Christian Friedrich: Das ist doch im Prinzip eine Frage, die sich doch jeder stellt, der oder die kommuniziert. Jeder kennt das aus seiner oder ihrer Hochschule. In dem Moment, in dem du in die Presseabteilung, in die Marketingöffentlichkeit, aber vielleicht auch dein Projekt reinmarschierst, steht in jedem Antrag immer irgendwo: „Die interessierte Öffentlichkeit wird einbezogen.“ Dieses wahnsinnig ungerichtete „Wen es interessiert, der kommt halt vorbei“ und dann hast du hinterher eine Gastvorlesung an einem Freitagabend mit 12 Leuten drin. So war das Case-Scenario.

Aber was letztendlich die Kunst ist und das sprichst du ja auch an, ist sozusagen Wissenschaftskommunikation und -transfer in der Art und Weise so zu gestalten, dass dann eben auch bestimme Zielgruppen angesprochen werden können und sich auch angesprochen fühlen und sich auch ernst genommen fühlen in der Einladung zu partizipieren.

Markus Deimann: Das gibt es ja schon. Das hatten wir vorhin schon mit Senior/innen oder Kinder. Das ist natürlich sehr, sehr grobkörnig. Oder mit … wo Frauen oder Mädchen adressiert werden. Gerade in den MINT-Fächern. Also das Studium-

Christian Friedrich: Naturwissenschaften. Ingenieurwissenschaften. Jetzt ist das … Wie soll ich sagen? Ich habe ja auch noch eine andere Station in meiner Hochschulkarriere hinter mir. Da war ich an der TU Hamburg, wenn auch nur ein paar Monate. Ich glaube neun, zehn oder 11 Monate, so um den Dreh.

Markus Deimann: Also ein knappes Jahr.

Christian Friedrich: Ein knappes Jahr. Und was wiederrum Besucherinnen und Besuchern, aber auch mir damals schon extrem auffiel, ist sozusagen die Art und Weise, wie die TU sich strategisch in ihrer Umgebung als Knotenpunkt darstellt. Das merkst du daran, dass alles, was in irgendeiner Weise mit Schiffsfahrt in Hamburg zu tun hat, eine große Rolle spielt. Sowas, wie Schiffsbau, aber auch sowas wie diese Ausbildungsberufe: International Business-Zeugs spielt dort eine Rolle. Da spielt aber auch auf einmal sowas, wie Flugzeugbau eine Rolle – Mit Airbus so nebenan und dem ganzen Kram. Ist das schon eine Form von Transfer? Oder ist das einfach nur opportun, weil um die Ecke liegen halt die großen Unternehmen? Die Airbus dieser Welt, die dann irgendwie Interesse an dem haben?

Markus Deimann: Das ist ein interessanter Punkt. Ich würde es tendenziell in die Richtung „Kooperation – Strategische Partnerschaften in der Region“ [einordnen]. Das ist aber wiederrum für viele Hochschulen mittlerweile auch ganz wichtig. Das habe ich auch immer wieder, in verschiedenen Zusammenhängen erlebt. Das Hochschulen, die in einer gewissen Region sind, starken Wert darauflegen, genau in dieser Region.

Christian Friedrich: Bergbau-Unis, oder?

Markus Deimann: Ja, genau. Das wäre interessant für das Thema „Transfer“. Einmal hast du nämlich – wie du gesagt hast – „Bergbau-Unis“. Da hast du die Strukturen schon naturgegeben, weil da Bergbau ist. Oder Hamburg liegt an der Elbe und Nordsee.

Aber ich habe auch so den Eindruck, dass mehrere Hochschulen hergehen und die Region auch erst erschließen und dann genau diesen claim „Bergbau“ und „Segeln“ und „Schiffbau“ zu besetzen. Und das geht schon in Richtung „Transfer“. Das hat aber sehr stark was Strategisches. Es geht von der Universität oder Hochschule aus: „Okay, wer ist denn bei uns hier in der Region? Wie können wir die anziehen? Wie können wir mit denen einen strategische Partnerschaft [eingehen]?“

Es ist schon „Transfer“, aber es ist glaube ich nicht der „Transfer“, den wir im bisherigen Teil hatten, sondern es geht eher darum die Hochschule stärker zu machen. Die andere Kritik neben dieser Forschung, Wissenschaftsdesinteresse oder Kritik an der Forschung generell, ist was die Hochschulen nicht nur an Forschung, sondern auch an Menschen produzieren. Wenn Studierende da hinten rauskommen, sind sie gar nicht relevant für den Arbeitsmarkt. Die sind ja unfähig. Die müssen ja erstmal, wenn sie in ein Unternehmen reinkommen „on-geboarded“ werden. Die können ja nicht, wenn sie da reinkommen, sofort mitlaufen.

Christian Friedrich: Ja, die brauchen erstmal ein Praktikum.

Markus Deimann: Ja, die brauchen erstmal ein Praktikum. Und, um das zu adressieren, kommt es jetzt zu diesen strategischen Partnerschaften. Viele Studierenden sind dann eher auch lokal oder regional ansässig, das heißt die werden nach dem Studium dort in der Region bleiben und dort Arbeitsplätze suchen. Und um das ein bisschen besser zu adressieren – Was gibt es denn da für Möglichkeiten? – baut man sich diese strategischen Partnerschaften auf.

Christian Friedrich: Aber ich würde jetzt schon sagen, dass zumindest so eine bestehende Kooperation – sei das mit einem Wirtschaftsunternehmen, sei das mit einer NGO, die sich mit einem bestimmten Thema befasst –, dass diese Art von Öffnung von Hochschule für so eine Art von Kooperation, die so vor ein paar Jahrzehnten noch nicht üblich war, dass die ja schon dafür sorgt, dass Menschen nochmal anders gezwungen sind, über Transfer nachzudenken.

Dass Kooperation sozusagen ein Enabler von Transfer auch ist oder zumindest eine Befeuerung in einer Art und Weise darstellt, weil du ja zumindest dann mal gezwungen bist, [darüber nachzudenken]. Nehmen wir mal „Airbus“ – wobei „Airbus“ vermutlich akademisch und bürokratisch genug ist, dass sie mit Hochschuljargon klarkommen -, aber irgendeine andere Organisation außerhalb der Hochschule. Du bist ja dann als Wissenschaftler/in immer auch gezwungen, so zu kommunizieren, dass die außerhalb verstehen. In dem Moment, wo du in einer Kooperation arbeitest. Sonst funktioniert die Kooperation nicht.

Markus Deimann: Genau, oder es ist so, dass du als Hochschule sagst: „Juhu, jetzt haben wir eine Kooperation mit Partner XY. Machen wir doch mal eine öffentlichkeitswirksame Veranstaltung.“

Christian Friedrich: Mit Flugzeugen und Schiffen.

Markus Deimann: Das zieht einfach. Du bist – auch wieder Phrasenschwein-Alarm –, du bist „breiter aufgestellt“.

Christian Friedrich: Oh, da hast du aber wirklich tief …

Markus Deimann: Ja, ich haue heute hier ein paar raus. Aber nochmal Stichwort „Legitimation“: Bei Wirtschaft ist es wirklich so, dass du guckst, dass du da mit denen strategische Partnerschaften hast und kannst das dann besser verkaufen als Transfer. Indem du da eine öffentliche Vorlesungsreihe machst für die „interessierte Öffentlichkeit am Freitagabend“, wo dann hoffentlich mehr als 12 Leute kommen. Da hast du dann eben die Referenten und Referentinnen nicht nur von deiner Hochschule von irgendeinem Fachbereich, wo du eben nur eine Handvoll kennst. Nein, du hast hier einen Airbus-Salesmanager.

Christian Friedrich: Ich kenne es noch aus einem anderen Kontext so ein bisschen. Ist glaube ich aber auch ähnlich. Nämlich gerade in diesem ganzen Management-, Consulting-Kontext, wo so Führungskräfteentwicklung, Leadership, aber oft auch Organisationsentwicklung passiert.

Aus der Businessseite kommt die Wissenschaft dann mit Konzepten und Theorien und abstrakten Modellen und eben auch mit gewissen Legitimationspotenzial: „Professor Doktor, Doktor hat gesagt ‚Das ist so!‘, also können wir jetzt in euer Unternehmen kommen und machen das jetzt so und so.“ Aber dass da auch zumindest so ein symbiotisches Verhältnis miteinhergeht, weil dadurch die Wissenschaft oder natürlich auch die Forschenden einen Zugang zur Organisation in einem Unternehmen, zu einer gewissen Praxis eigentlich haben, die sie sonst so nicht hätten.

Ist das noch Praxistransfer? Das ist so eine Mischung, oder? Weil einerseits ist es eine Kooperation ganz häufig – Ein Institut für Organisationsentwicklung an einer Uni partnert mit irgendeiner Unternehmensberatung und die gehen jetzt zu einer mittelständischen Bank und machen da was –, aber das ist ja gleichzeitig auch ein Stück weit Praxistransfer, weil sozusagen Forschungsergebnisse in die Praxis kommen. Wenn auch nicht für die breite Öffentlichkeit, sondern sehr zugeschnitten auf einen bestimmten Bereich oder einen bestimmten Teil von Gesellschaft.

Markus Deimann: Genau, würde ich auch so sehen. Es läuft unter diesem Deckmantel „Kooperation“. Und da hast du, glaube ich, auch nochmal ganz gut dieses Bidirektionale. Also, dass nicht nur der Professor Doktor sagt „Die Managementmethode XY ist der neueste Scheiß“, sondern du gehst da in die Bank und aus der Bank heraus gewinnst du ja. Wenn du schlau bist, dann nimmst du diese Bankerfahrung und informierst da mit deiner Theoriebildung. Also nutz das, um deine Theorie weiterzuentwickeln. Da bist du wieder sehr stark bei dieser Verwertbarkeit, weil das grenzt an einen ganz klar abgegrenzten Gegenstand – die Prozesse bei der Bank.

Christian Friedrich: Genau, und für den Kunden und letztendlich auch für – in dem Falle – die Unternehmensberatung, bist du ja als Hochschule und als Forschender nur interessant in dem Moment, wo das eben auch verwertbar ist. Das ist eigentlich noch was anderes als dieser Transfer.

Markus Deimann: Genau, also die Frage wäre dann auch so ein stückweit: Gibt es überhaupt Transfer ohne diese unmittelbare oder direkte Verwertung. Du – wenn ich da nochmal biographisch nachfrage – du arbeitest ja aktuell bei?

Christian Friedrich: Ich arbeite bei Wikimedia, der Gesellschaftsförderung. Und selbstständig.

Markus Deimann: Ja, aber diese Wikimedia-Sache.

Christian Friedrich: Ja, die Wikimedia-Sache.

Markus Deimann: Vielleicht könnten wir nochmal so ein Brachial-Segway [machen].

Christian Friedrich: Ja, ich habe noch einen Punkt, aber lass uns gerne da auch den Brachial-Segway nochmal nutzen. Schade, eigentlich haben wir schon einen Episodentitel mit „Praxistransfer“, aber „Brachial-Segway“ müssen wir uns merken.

Ich wollte sagen, dass ich schon auch glaube, dass Praxistransfer oder Wissenschaftstransfer – Praxistransfer vielleicht nicht, aber Transfer von Wissenschaft und damit dann vielleicht eher gemeint als Wissenschaftskommunikation – auch möglich ist ohne Verwertbarkeit. Also so die „Wir haben ein schwarzes Loch fotografiert“-Nummer oder die „Guck mal, wie geil das ist, was wir gerade über den Mariannengraben herausgefunden haben“[-Nummer]. Da sind ganz oft Sachen oder gerade die Sachen, die es nicht direkt in irgendeinen industriellen Ablauf schaffen oder in irgendeine Art Organisationsablauf in Gesellschaft, sind ja ganz oft die, die das größte Faszinosum sind.

Markus Deimann: Richtig.

Christian Friedrich: Was das dann aber schon ist, ist vielleicht nicht Praxistransfer, aber Wissenschaftstransfer, weil dann gibst du auf einmal Forscherinnen und Forschern die Chance, über ihre Praxis zu sprechen. Und die können auf einmal darüber sprechen „Wie haben wir es denn gemacht? Und wieso ist es jetzt wichtig, dass wir das tun? Und welches Forschungsfeld ermöglicht das jetzt vielleicht dadurch? Und welche Fragen können wir jetzt anders stellen und nochmal hinterfragen? Und was ist der Erkenntnisgewinn?“. Und das ist ja dann noch, sozusagen ohne dass VW hinterher bessere Batterien oder Getriebe baut. Den Punkt wollte ich nur schnell machen.

Und um jetzt den Segway zu machen, was Wikimedia tut oder was ich bei Wikimedia tue. Ich glaube ein Großteil dessen haben wir schon gemacht, indem wir darüber gesprochen haben, was so Beziehungen zu „openess“ sind. Ich weiß nicht, ob dir etwas Konkretes vorschwebt, aber was wir da ja letztendlich auch tun-

Markus Deimann: Mir schwebt eher dieses Soziale, also eher Gesellschaftliche [vor]. Also nicht industriell-verwertbar.

Christian Friedrich: Also Gesellschaft nur als Wirtschaft zu verstehen?

Markus Deimann: Demokratie oder Beteiligung an der Wikipedia als Demokratisierungsprozess, weil Bildung und Wissen frei zugänglich sind. Nicht kommerziell.

Christian Friedrich: Ja, ich glaube da werden ja auch viele Sachen … Wie soll ich sagen? Auch Wikimedia lädt da manchmal, auch in der Kommunikation nach außen, Dinge ein bisschen stärker so auf, als ich das persönlich vielleicht täte. Ich muss mal überlegen, wie ich das jetzt vorsichtig formuliere.

Markus Deimann: Oha.

Christian Friedrich: Sowas, wie die Demokratisierung von Wissensteilhabe in der „Wikipedia“ ist natürlich einerseits da. Andererseits musst du auch immer die Frage stellen „Demokratisierung für wen?“ und „Wer darf das jetzt und wer darf nicht? Und wer macht da jetzt und wer nicht?“. Und das ist glaube ich schon eine Frage, die wir bei Wikimedia uns in rauen Mengen stellen und von der wir uns wünschen würden, dass sich die einen oder anderen Communitymitglieder – insbesondere in den Wiki-Projekten – diese Fragen nochmal öfter stellen würden und da vielleicht auch mal andere Antworten finden würden.

Der Transfer ist aber insofern interessant, weil wir ja sozusagen als gesellschaftlicher Akteur, als NGO, als eingetragener Verein mit irgendwie 120, 130 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Berlin, irgendwie ja auch darauf angewiesen sind, dass das was wir tun, wiederrum auch von Wissenschaft informiert wird. Also wir können uns nur schwer zu bestimmten „Openness“-Konzepten verhalten, wenn wir nicht mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Praktiker/innen unterwegs sind und mit denen in irgendeiner Weise in inhaltlichen Austausch gehen. Beschreiben, wie wir Dinge sehen und hinterher hoffentlich zu sowas, wie einer Synthese kommen und zu einer Position kommen, die wiederrum auch unsere Haltung verbessert oder unser Verständnis von etwas verbessert und unseren Impact vielleicht verbessert. Das passiert glaube ich uns, das ist aber … Wie soll ich sagen? In diesen „Openness“-Blasen ist Wikimedia, glaub ich, kein kleiner Player, aber das passiert natürlich auch nochmal viel stärker in Foren, wie … Also wir könnten jetzt nach Güthersloh schwenken und da mal reingucken, was da so passiert in dem Kontext. Du kannst auch sowas wie Bitcon anschauen und was da so passiert, in dem Kontext.

Markus Deimann: Stiftungen auch.

Christian Friedrich: Stiftungen auch ganz viel. Sowohl Unternehmens- als auch andere Stiftungen, die ja wirklich auch massiv über Forschung auch Einfluss nehmen. Und auch über Forschungskooperation Einfluss nehmen auf Diskurse.

Markus Deimann: Und Praxis.

Christian Friedrich: Und Praxis und all das. Und das hätte ich jetzt ehrlich gesagt, gar nicht so unter Praxistransfer – Zumindest in der Vorstellung, wie wir sie einleitend eingenommen haben – hätte ich da gar nicht verortet, weil das ja ganz oft eine andere Art von wissenschaftlicher Arbeit ist. Also nehmen wir mal die Stiftung „Neue Verantwortung“. Die arbeiten ja wahnsinnig Output-orientiert. Also kein Tag vergeht, an dem die nicht irgendein Whitepaper oder irgendein Diskussionspaper oder was auch immer raushauen. Und das haben die dann in Kooperation mit vielleicht einer Forscherin oder einer anderen Stiftung oder einem politischen Akteur oder wem auch immer zusammen rausgehauen. Das ist ja aber schon originär außerhalb von dem sehr klassisch verstandenen Wissenschaftsbereich.

Markus Deimann: Richtig.

Christian Friedrich: Ja, aber vielleicht sind es trotzdem Wissenschaftler/innen.

Markus Deimann: Genau, noch eine Ergänzung: Das ist ja Auftragsforschung. Also das, was man dann auch Auftragsforschung nennt, von eben Organisationen, Stiftungen, NGO’s oder von der Industrie oder Lobbyverbänden. Die sagen: „Okay, wir wollen jetzt zum Thema X,Y was Wissenschaftliches wissen. Geben dann eben eine Studie in Auftrag.“ Es gibt da ja im Bildungs- und Hochschulbereich – wo ich mich ja auch rumtummele – ist ja zum Beispiel eine große Studie – die können wir auch nochmal verlinken – in Auftrag gegeben worden von dieser Expertenkommission „EFI“. Expertenkommission, Forschung, Innovation, Digitalisierung in Hochschule. Also die wollten irgendwie so einen Digitalisierungsgratmesser. Und diese Studie wurde wiederrum ausgeschrieben, man konnte sich bewerben und wurde jetzt vom „HIS-HE“ durchgeführt. Die Studie ist auch frei zugänglich, also du kannst sie dir angucken und durchlesen. Aber das ist so diese klassische Auftragsforschung. Ein Akteur möchte eine politische Agenda durchsetzen oder arbeitet sich da einen ab und aus Legitimationsgründen … – Das ist wieder so dieses alte Moment: Die Wissenschaft als Ersatzreligion, hat eine unglaubliche Strahlkraft und deswegen wollen wir das jetzt wissenschaftliche erforschen und setzen dadurch die Studien ein.

Christian Friedrich: Und da ist dann das, was du immer erkennbaren Gestaltungswillen nennst, ja auch dann irgendwie erkennbar. Also ich verlinke das gerade nochmal. Ich habe jetzt spontan die Seite beim Hochschulforum gefunden, wo viele Menschen unter anderem auch Stellung genommen hatten. Das muss ich natürlich hier promoten.

Markus Deimann: Ja, auf jeden Fall. Verlink das gerne.

Christian Friedrich: Habe ich jetzt mal reingehauen. Das ist aber nach meinem Verständnis dann … das hat eigentlich wenig mit Praxistransfer zu tun. Also das würde ich davon abgrenzen.

Markus Deimann: Auf jeden Fall-

Christian Friedrich: Das hat so die … Ja, sag du mal.

Markus Deimann: Genau, das wäre mal für mich noch die Überleitung: Was ist denn eigentlich Praxistransfer? Transfer in die Praxis, … aber welche Praxis? Aber da gebe ich dir vollkommen Recht, das ist für mich auch nicht das. Für mich ist Praxistransfer, Transfer von – also, wenn wir so bei Wissenschaft sind – wissenschaftlichen Ergebnissen, von Forschung, Daten oder auch von – wenn du jetzt die Lehre nimmst – von Lehrmethoden, von Formaten in eine bestehende Praxis hinein. Also eine Praxis von Unternehmen. Praxis von außerschulischen oder auch von schulischen Prozessen. Praxis von Arbeitsprozessen. Praxis auch von Alltagsprozessen. Also von deiner Lebensführung, wie du dein Leben gestaltest. Dass es einen Einfluss hat, aber auch eine Anschlussmöglichkeit.

Dass du aufgrund von Wissenschaft jetzt hörst, dass eine bestimmte Speise, eine bestimmte Nahrung ungesund ist. Dann könntest du ja sagen: „Okay, weil ich so eigentlich gestalten will, um gesund zu leben, esse ich das jetzt nicht mehr. Weil ich das erst jetzt durch die Wissenschaft erfahren habe. Vorher habe ich gedacht, schmeckt gut und tut nicht ungut.“

Christian Friedrich: Ist das dann schon … Ist Praxistransfer damit alles, was nicht Wissenschaftskommunikation im Sinne von Wissenschaftler/innen-kommunizieren-unter-sich ist? Ne? Also Praxistransfer ist dann eigentlich alles, was nicht … Anders gefragt: Ist Praxistransfer wirklich, wenn ich jetzt irgendwie lese an der Uni – keine Ahnung – Heidelberg haben sich zwei Krebsforscher/innen zusammengetan und festgestellt, wenn die Bratwurst im Sommer zu lange auf dem Grill liegt, dass ich dann ein um „X“-Prozentpunkte gesteigertes Krebsrisiko zu erleiden habe. Ist das schon Praxistransfer?

Markus Deimann: Also du hast es ja jetzt aktiv aufgesucht und selbst auch die Info. Also die andere Richtung wäre, wenn du jetzt die Wissenschaftler/innen aus Heidelberg auf dich zugehen. Wenn es aus der Hochschule heraus kommt.

Christian Friedrich: Also die kommen zu meinem Grillfest.

Markus Deimann: Nee, wenn die bei Weber-Grill und anderen Grillherstellern unseres Vertrauens ein Werbespot [produzieren]. Oder, wenn du einen Grill kaufst, dass da was draufklebt: „Vorsicht!“. So, wie bei Kaffee: „Kaffee nicht zu heiß genießen!“ oder „Vorsicht! Wenn du es dir über die Hose schüttest, könnte es heiß sein!“.

Christian Friedrich: Ich hoffe, dafür braucht man keine Wissenschaft.

Markus Deimann: Nein, genau, das war jetzt etwas polemisch. Aber das wäre schon Transfer, wenn das was wäre, was vorher noch nicht gewusst wurde. Also das ist schon ein konstruiertes Beispiel mit der Bratwurst, aber es geht darum, man wusste es vorher nicht. Es ist eine Erkenntnis und hat dann Einfluss auf die Praxis, nämlich auf die Praxis des Grillens. Nämlich, dass du sagst: „Okay, ich gucke, dass die Wurst nicht zu schwarz wird.“
Dann ist das aus diesem engen Zirkel, was du Wissenschaftskommunikation nennst, wo die dann auf Tagungen über die Krebserzeugung von Bratwurst berichten. Die machen da Talks und Papers, aber es ist alles abgeschlossen. Also, wenn du da aus einem System in ein anderes hineingehst, auch in die Praxis. Und bei Praxis gibt es ja nicht „die“ Praxis, sondern es gibt ja verschiedene Praktik-en. Die sind ja miteinander verkoppelt. Du dann beim Grillen oder bei der Arbeit und so weiter.

Und wenn das da einen Einfluss hat oder Auswirkung, ist halt die Frage: Muss das dann so wirken, dass du dann sagst „Okay, ich ändere jetzt mein Grillverhalten“ oder reicht das schon aus, dass dich die Info irgendwie erreicht hat. „Oh Gott, Bratwurst oder Acrylamid kann Krebs erzeugen.“ Das ist ja – glaube ich – dann nochmal eine Frage. Also Transfergrat.

Christian Friedrich: Ja, ich bin dann ehrlich gesagt wieder beim Anfang.

Das, was Wissenschaft schon immer getan hat, war ja genau solche Prozesse zu informieren. Das ist jetzt nichts Neues, dass irgendwie ein/e Krebsforscher/in oder ein/e Mediziner/in oder wer auch immer, irgendwo etwas untersucht und feststellt „Oh, wenn diese Wurst folgende … was auch immer [beinhaltet], dann gibt das aber Krebs“. Das ist im Prinzip wie deine Penicillinbeispiele oder wie jede andere Art von medizinischer Forschung.

Markus Deimann: Ja, richtig. Es gibt eben diese unmittelbaren, direkt verwertbaren Wissenschaftsdisziplinen. Aber was ist eigentlich mit der Literaturwissenschaft?

Christian Friedrich: Ja, aber auch da könnte man ja so einen Fall konstruieren. Die Literaturwissenschaft hat irgendwie …

Markus Deimann: … herausgefunden, dass Goethe ein Frauenhasser war.

Christian Friedrich: Naja, würde das die Literaturwissenschaft herausfinden? Oder braucht man dafür die Literaturwissenschaft? Also nehmen wir mal an, die Literaturwissenschaft findet irgendwie … Was ist denn da gerade der aktuelle Diskurs? Hat einen konkreten Beitrag zur Handke-Nobelpreis-Debatte, die gerade stattfindet.

Markus Deimann: Entschuldigung, aber das wäre ja schon wieder eine öffentlich-wirksame [Disziplin]. Also man muss schon irgendwie in der Disziplin bleiben. Das ist auch nicht mein Fachgebiet. Aber da wäre sowas, wenn eine neue literarische Figur entwickelt wird. Oder eine neue Erzählform. Oder neu interpretiert.

Christian Friedrich: Ja, aber das hat doch einen Impact. Dann machen wir doch mal … denken wir uns, dass die Wissenschaft im Kontext von E-Games herausgefunden hat, dass eine bestimmte Art von Erzählweise besonders gut bei 14- bis 25-Jährigen ankommt, wenn man das so oder so oder so erzählt.

Und es ist ja schon immer so gewesen, dass das dann irgendwer aufgreift und in der Produktion von irgendwelchen Inhalten irgendwie aufgreift und das mal ausprobiert. Ehrlich gesagt, ist es glaube ich meistens eher andersherum. Dass jemand etwas ausprobiert, die Wissenschaft beobachtet das und kann das dann in irgendeiner Art und Weise systematisieren und beobachten und so abstrakt darstellen, dass daraus irgendeine Art von Regel erkennbar wird. Irgendeine Theorie abgeleitet wird. Und nicht andersherum.

Das ist glaube ich eher selten, dass die Art von Innovation – Dieser Erzählstil, den müsst ihr jetzt bei den 14- bis 25-Jährigen ausprobieren … Das sagen glaube ich Wissenschaftler/innen eher selten, sondern die beobachten in der Wirklichkeit etwas, analysieren das in irgendeiner Weise und geben dann wiederum „Menschen in der Praxis“ – in Anführungszeichen – vielleicht bestimmte Logiken oder Hilfsmittel auf den Weg, solche Fälle besser zu erkennen oder sich derer zu bedienen.

Markus Deimann: Wobei, ohne das jetzt noch komplizierter zu machen – Jetzt nochmal bei Literatur. Es gibt auch zum Beispiel die Filmindustrie, die verfilmt Bücher. Das geht ja glaube ich in die Richtung, was du sagst. Das ist ein beliebtes Mittel, dass du sagst, du hast jetzt ein Buch entdeckt und das findest du toll und machst jetzt einen Film draus. Kaufst die Rechte, machst ein Drehbuch und verfilmst das. Film wir ein Riesenerfolg. Film steht dann „Nach verfilmten Roman so und so“. Aber das ist ja noch keine Wissenschaft. Deswegen meine ich mit „noch komplizierter“.

Literaturwissenschaft ist dann auf so einer Metaebene, ist ja der Diskurs über die Literatur. Und da ist dann die Frage, inwieweit dieser Diskurs wiederrum die Filmwirtschaft, als Beispiel jetzt, beeinflusst. Wenn die jetzt sagen – ohne, dass es jetzt abschätzig klingt – dass irgendwelche verschwurbelten Diskussionen über Autorinnen und Autoren X,Y sind. Inwieweit das dann transferiert wird in die Praxis des Filmemachens.

Christian Friedrich: Und ich glaube, da gibt es ganz häufig keine direkte Input-Output-Logiken, sondern das ist dann ein bisschen komplexer und bisschen mittelbarer. Aber ich glaube, Wissenschaft hat schon immer so funktioniert. Dass sie in irgendeiner Art und Weise auch auf Gesellschaft Einfluss hat und andersherum. Also das ist so dieses immer etwas Abfällige …

Also es gibt einen Haufen Menschen, die Wissenschaft irgendwie so verstehen … du hast den Elfenbeinturm ja schon angesprochen … die das irgendwie so verstehen. Das glaube ich nicht, dass Wissenschaft so war. Es gibt schon diese verschwurbelten Diskussionen, wo irgendwie eine Dekade von vor 40 Jahren ausgepackt wird – Ich glaube gerade in so kultur- und literaturwissenschaftlichen Kontext – und da irgendwas untersucht wird, wo es Menschen schwerfällt, überhaupt eine Vorstellungskraft davon was da passiert ist, geschweige denn untersucht wird, zu entwickeln. Aber bis zu einem gewissen Grad lässt sich auch daraus wieder etwas ableiten, was dann in irgendeiner Art und Weise in Gesellschaft wieder ankommt.

Markus Deimann: Wobei, um das mal so ein bisschen herauszufordern und zu provozieren: Vielleicht gehen wir von einer zu idealisierenden Vorstellung von Wissenschaft aus. Also, wenn man guckt, wie das da wirklich abläuft. Das Bild, dass Wissenschaft vor 100 Jahren bei Humboldt sehr elitär war. Es konnten nur sehr wenige Menschen studieren und forschten dann auch. Gut, das heißt ja nicht, dass es da nicht – doppelte Verneinung -, das heißt ja schon, dass es möglich war diese Ergebnisse in die Gesellschaft hineinzuführen.

Und jetzt hast du ja eine ganz andere Wissenschaft und ein ganz anderes Wissenschaftssystem. Auch industriell. Und du hast eine wahnsinnige Vielfalt von Disziplinen, da ist auch mehr Geld im Spiel, auch in anderen Ländern. Und wir haben ja auch angesprochen, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und -stiftungen, die da wahnsinnig viel Geld reinpumpen. Aber ich glaube auch schon, dass das nichts an der Tatsache und These ändert, dass schon immer der Transfer da war. Das ist nur als neues Mittel, neues Narrativ entdeckt worden, weil das Wissenschaftssystem in die Kritik gekommen ist. Weil die Verwertbarkeit – und das hat nichts mit Transfer zu tun – von wissenschaftlicher Erkenntnis zu gering ist. Und das deswegen jetzt extra Anstrengungen unternommen werden müssen, unter diesem Begriff „Vermischen“.

Das könnten wir auch gerne zur Diskussion … Hier in diesem Podcast unsere geschätzten Hörerinnen und Hörer auffordern, sich zu beteiligen. Über die Kommentare oder sonstige, ihnen zur Verfügung stehenden Kommunikationsmittel.

Christian Friedrich: Ich wollte gerade sagen. Weil für mich klingt das auch so, als hätten wir jetzt zumindest mal so einen Bogen gemacht und so ein paar Aspekte von dem, was wir unter Praxistransfer vielleicht mit unserem – oder zumindest meinem teilweise – auch naiven Verständnis von Praxistransfer, verstehen. Das haben wir glaube ich gemacht.

Und das haben wir gerade zu Beginn dieses ganzen … Wie hieß es? E-teaching.org-Themenspecials und jetzt zeichnen wir heute tatsächlich zu Beginn dieses Themenspecials auf. Es gibt einen Haufen Online-Events, die da auch Bezüge zu herstellen werden in den nächsten Wochen. Und wir werden das natürlich auch da miteinpflegen und da in irgendeiner Art und Weise auch, sehr gerne auch auf Feedback reagieren.

Die beste Möglichkeit, uns Feedback zu geben, sei an dieser Stelle nochmal genannt: Die ist nämlich einerseits direkt auf der Webseite, bei uns im Blog. Die Episode hat eine eigene Episodenseite auf unserer Seite „Feierabendbier-open-education.de“ und da gibt es die Möglichkeit in den Kommentaren miteinander zu sprechen und zu diskutieren. Zum anderen sind wir bei Twitter relativ aktiv und da ist es am einfachsten oder für uns am sichtbarsten, wenn man uns taggt. Also einmal „@mdeimann“, „@friedelitis“ oder auch den Hashtag benutzt, den wir da haben. Oder benutzen, nicht haben. Ein Hashtag ist ja immer für alle da.
Und das ist der nicht ganz unkomplizierte #FOEPodcast (=Feierabendbier-Open-Education-Podcast). Das wollte ich nur einmal kurz reinrufen. Wir sind eigentlich durch, oder?

Markus Deimann: Ich glaube auch. Wir haben einen schönen Bogen gemacht mit Themen. Wir können das nur andiskutieren oder unsere Gedankengänge da nachvollziehbar machen, um dieses Thema zu beleuchten. Also eine Antwort oder die drei Schritte oder die goldene Regel, die 3-Schritte-Regel zum gelungenen Praxistransfer, die müsst ihr woanders [suchen].

Christian Friedrich: Ja, die kommen bestimmt noch in den nächsten Wochen. Ich würde noch schnell erwähnen, weil ich das manchmal vergesse, aber heute habe ich es nicht vergessen: Dass das hier ein werbefreier Podcast ist. Und obwohl wir manchmal Anfragen bekommen, ob wir Werbung schalten möchten, wir uns bisher immer vor diesem Kommerz gewehrt haben. Und das wird unter anderem dadurch ermöglicht, dass wir „edufunk“-Mitglied sind. Und wer wiederrum „edufunk“ kennenlernen möchte, möge die URL edufunk.com aufsuchen oder aber, wer auch die edufunk.fm oder auch diesen Podcast wahnsinnig spannend und interessant und fördernswert findet, möge bitte spenden. Und zwar an den Verein „ZLL21“, auch diesen Link hau ich mal in die Show-Notes, da gibt es eine Bankverbindung. Der freut sich über regelmäßige und möglichst große Spenden.

Markus Deimann: Sehr gut.

Christian Friedrich: Dann sind wir jetzt durch. Cool.

Markus Deimann: Danke fürs Zuhören. Kapitelmarken gibt’s heute nicht.

Christian Friedrich: Doch! 12, 15 habe ich. Quatsch, 10, 11-Show-Notes gibt es auch noch mit ein paar Links. Wir haben auch noch ein paar Artikel, die wir jetzt gar nicht explizit besprochen haben, aber auf die wir uns schon beziehen in den Show-Notes. Aus der deutschen Universitätshaltung und so weiter. Und bald gibt es uns hoffentlich auch wieder regelmäßiger mit ganz normalen Episoden, auf denen wir auch weniger nur ein Thema beackern, sondern mehrere. Vielen Dank fürs Zuhören!

Markus Deimann: Danke!

Christian Friedrich: Auf bald!