Rezension: Lernarchitekturen und (Online-) Lernräume
Rezension zu „Arnold, R., Lermen, M., & Günther, D. (2015). Lernarchitekturen und (Online-) Lernräume, Band II zur Fachtagung „Selbstgesteuert, kompetenzorientiert und offen?!. Balltmannsweiler: Schneider Verlag“ von e-teaching.org-Redakteurin Simone Mbak.
Die EPFL Lausanne bietet Studierenden eindrucksvolle Räume zum Lernen. (Foto: Philip Meyer, CC BY-SA 3.0)
Wie soll ein zeitgemäßer Lernraum aussehen? Wer soll über seine Gestaltung entscheiden? Auf welchen theoretischen Grundlagen soll eine solche Entscheidung beruhen? Welche Zwecke soll ein Lernraum erfüllen? Wie wachsen virtuelle und reale Lernräume zusammen? Diese Fragen lassen sich in einen aktuellen bildungspolitischen Kontext einordnen, welcher von der zunehmenden Digitalisierung, einer Fokussierung auf das Lernen (dem hochschuldidaktischen Paradigmenwechsel „from teaching to learning“) und der Förderung des Selbststudiums geprägt ist.
Überlegungen zur Gestaltung von physischen oder virtuellen Lernräumen können bereichert werden, indem die Ansprüche von Gestaltenden und Nutzenden ebenso wie die Anregungen weiterer beteiligter Akteure/innen miteinbezogen werden. Dieser Annahme folgt der Sammelband „Lernarchitekturen und (Online-) Lernräume“, die zweite Veröffentlichung zur Fachtagung „Selbstgesteuert, kompetenzorientiert und offen?!“, die von 24. bis 25. Februar 2015 an der Technischen Universität Kaiserslautern stattfand. (Zu allen drei Tagungsschwerpunkten ist ein Sammelband geplant; in Band I geht es um das Thema „Offene und kompetenzorientierte Hochschule“, Band III zum Thema „Selbstlernangebote und Studienunterstützung“ ist in Vorbereitung).
In der zwölfseitigen Einleitung beschreiben die Herausgebenden Rolf Arnold, Markus Lermen und Dorit Günther den Kontext der Entstehung des Sammelbands, begründen den Diskussionsbedarf über die Gestaltung und Nutzung von Lernräumen an Hochschulen und präsentieren die vier Hauptteile: interdisziplinäre Überlegungen zu Lernräumen, empirische Untersuchungen zu hochschulischen Lernräumen und zur Campusgestaltung, virtuelle Lernräume sowie die Vorstellung ausgewählter Lernarchitekturen – Leuchtturmprojekte und Lernraumvorhaben in der Planung.
Auftaktbeitrag des Sammelbands ist die Wiedergabe eines interdisziplinären Dialogs zwischen Vertreter/innen unterschiedlicher Fächer – der Architektur, der Pädagogik, der Geschichtswissenschaft und der Philosophie – mit denen jeweils auch verschiedene Standpunkte verbunden sind. Ziel war es, aussichtsreiche Fragestellungen und Argumentationslinien für die Nutzung von Lernräumen zu entwickeln. Die am Ende des Beitrags vorgestellte Thesen und Antithesen kommen diesen Anspruch nach: Sollen etwa Studierende als „Kunden“ in die Gestaltung der Räume einbezogen werden – oder ist deren Urteil aufgrund mangelnder Fachkenntnisse eingeschränkt? In den nachfolgenden Kapiteln folgen u.a. eine Untersuchung des Raumbegriffs in der Geschichte der Naturphilosophie, die Darstellung von Lernräumen aus raumsoziologischer Perspektive sowie der Bezug auf architekturtheoretische und empirische Erkenntnisse. Abschließende Beiträge präsentieren Bauwerke, welche der Meinung der Herausgebenden nach Modellcharakter hinsichtlich ihrer architektonischen und didaktischen Konzepte haben.
Man lernt durch das Lesen der insgesamt 16 Beiträge viel darüber, was aus der Sichtweise der Autoren/innen einen Lernraum ausmacht, wie Architekten/innen ihn gestalten können und wie Lehrende und Lernende sinnvoll in ihm agieren. Die aktive Förderung der Entwicklung der Lernenden durch die Lernräume wird beispielsweise in dem Beitrag „Drei Gattungen von Lernräumen aus Sicht der Geschichte der Naturphilosophie“ thematisiert. Über die Anforderungen an heutige Bibliotheken als Räume des Lernens – die den im Tagungstitel skizzierten Kriterien Selbststeuerung, Kompetenzorientierung und Offenheit gerecht werden – diskutiert Eva-Christina Edinger in ihrem Artikel „Besucher? Nutzer? Kunde? – Mensch! Raumsoziologische Perspektiven auf Bibliotheksgestaltung im Sinne des Human Centered Designs“.
Die Veränderung der Mediennutzungsgewohnheiten sowohl beim Hochschulpersonal als auch bei den Studierenden bringt die Relevanz der aktuellen Diskussion um die Digitalisierung an Hochschule zum Ausdruck. Das Gleiche gilt für die Zunahme von Projekten, die Online-Lernräume als Räume für Hilfe zur Selbsthilfe etablieren. Zielgruppen solcher Projekte und deren Erwartungen werden im Beitrag „Studienübergreifende Unterstützung des Selbststudiums in virtuellen Lernräumen“ analysiert. Besonders interessant scheint der forschende Blick auf das aktuelle Zusammenwachsen von virtuellen und der realen Lernräumen als praktische Folge der Modernisierung von Hochschulen (Daniela Templin & Alexa Maria Kunz: „Campus-Logbücher: Potenziale qualitativer Methoden für die Raumforschung an Hochschulen“) oder auch als Folge der Umsetzung bildungspolitischer Veränderungen – Stichwort Bologna-Reform – und der Einführung technologischer Innovationen (Sabina Brandt & Gudrun Bachmann: „Auf dem Weg zum Campus von morgen“).
Fazit
Der Sammelband enthält auf insgesamt etwa 400 Seiten 16 Beiträge in vier optisch klar voneinander getrennten Themenbereichen. Jeder Beitrag fängt mit einer kurzen Zusammenfassung an, welche die Fragestellung, die theoretischen Grundlagen und das methodisches Vorgehen erläutert, und endet mit einem Literaturverzeichnis. Dass viele der beteiligten Autoren/innen als wissenschaftliche Mitarbeiter/innen tätig sind bzw. waren und praktische Erfahrungen durch die Leitung konkreter Projekten vorweisen (vgl. Verzeichnis der Autorinnen und Autoren) spiegelt sich in den Beiträgen wider: Die Texte sind gut gegliedert, Theorieansätze, Hintergründe oder Ausgangslagen werden ausgiebig belegt und anhand von Praxisbeispielen erklärt. Dazu deuten vorhandene Quellenkritiken sowie die kritische Hinterfragung und Eingrenzung eigener Ergebnisse auf hohe wissenschaftliche Ansprüche.
Die wiedererkennbaren Einteilungsmuster innerhalb der Beiträge verleihen dem Sammelband eine einheitliche Struktur, welche die Lesegeschwindigkeit und das Textverständnis erleichtert. Auch inhaltlich ist die Einteilung der ausgewählte Texte kohärent und dem Thema „Lernarchitekturen und (Online-) Lernräume“ angemessen. Trotzdem können einzelne Beiträge unabhängig voneinander gelesen und verstanden werden.
Der Anspruch der Herausgebenden an die Wissenschaftlichkeit der Texte zeigt sich weiterhin in der Sprache und der Wortwahl der Autorinnen und Autoren. Dennoch sind die Beiträge gut verständlich. Alle Artikel des Sammelbands sind auf Deutsch geschrieben, allerdings erschweren bei manchen Beiträgen die vielen vorkommenden Anglizismen den Lesefluss etwas. Nichtsdestotrotz sind die Artikel des Sammelbands sowohl für Einsteiger/innen als auch für Expert/innen gut zugänglich.
Wichtig zu erwähnen ist auch die stetig erkennbare Bemühung der Autoren/innen, die Lesenden in die beschriebenen Räume hineinzuversetzen und es ihnen so zu erleichtern, der Argumentation zu folgen. Die – sehr unterschiedlichen – Lernräume, um die es jeweils geht, werden dafür ausführlich und mit zahlreichen Abbildungen vorgestellt. Ein Beispiel findet man im Artikel „Interdisziplinäre Gespräche über Lernräume“, welcher auf 18 Seiten 16 Abbildungen von den beschriebenen Räumen zeigt.
Ziel der Herausgeber war es, verschiedene Perspektiven auf physische und virtuelle Lernarchitekturen aufzuzeigen und dabei Akteure/innen aus den beteiligten Fachdisziplinen und Handlungsfeldern zu einem wissenschaftlichen Austausch anzuregen. Diesem Anspruch wird der Sammelband gerecht, vor allem dank der gut belegten theoretischen Grundlagen der Artikel, welche wiederum auf deren Pluridisziplinarität beruht: Die 22 Autorinnen und Autoren kommen aus den Bereichen Erziehungswissenschaft und Pädagogik, Soziologie, Psychologie, Philosophie, Kunst-, Medien-, Betriebs- und Geschichtswissenschaften sowie Architektur und Städtebau und entwickeln spannende, sehr lesenswerte Thesen dazu, wie das Studium durch die Gestaltung von physischen und virtuellen Lernräumen unterstützt werden kann.