Rezension Görsdorf, Bruder & Sonnberger (2009)
Rezension zu Görsdorf, E.; Bruder, R. & Sonnberger, J. (2009): Qualitätsentwicklung in der Lehre mit Neuen Medien. Graz: Leykam.
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E-Learning = Qualitätsentwicklung für die Lehre? Die Autor/ innen des hier besprochenen Bandes würden dies nie in Frage stellen. Bei den beteiligten Hochschulen, der TU Darmstadt und der Universität Graz, blieb es auch nicht bei Absichtserklärungen, sondern es wurden durchdachte und vielseitige Konzepte und Instrumente entwickelt und umgesetzt, die in diesem Buch detailliert beschrieben werden.
Wer allerdings auf Grund des allgemein formulierten Titels mit der Erwartung beginnt, es handele sich um eine Monografie zum Thema Qualitätsentwicklung, wird bald irritiert innehalten. Reihen sich doch Beiträge unterschiedlicher Autor/innen aneinander, die dem Charakter eines Sammelbandes entsprechen – jeder für sich lesenswert und gut, allerdings mit wenigen Bezügen untereinander. Nach allgemeinen Reflexionen zum Thema Qualitätsentwicklung in der Lehre werden die verschiedenen Instrumente der Hochschulen beschrieben – angefangen von den theoretischen Grundlagen bis hin zu deren praktischem Einsatz im Hochschulkontext sowie ersten Evaluationsergebnissen. Dabei pendelt das Buch zwischen den Modellen der TU Darmstadt und der Universität Graz, was dem Leser eine gewisse Konzentration abverlangt. Ausführlich beschrieben werden die Hochschulstrategien zum Medieneinsatz sowie bestehende Zielvereinbarungen mit Hochschulleitung und Fachbereichen und die Unterstützungssysteme und -Prozesse für Lehrende und Studierende, die „Mediendidaktische Sammlung“ und das Kompetenzportfolio für Studierende der Uni Graz und die mediendidaktischen Schulungen, Beratung und Coaching der TU Darmstadt. Hinzu kommen Beschreibungen der entwickelten Anreizsysteme, dem „Best E-Teaching Award“ (TU Darmstadt) und dem „E-Learning Champion“ (Uni Graz) sowie der an den Hochschulen zum Einsatz kommenden Evaluationsinstrumente, dem Grazer Evaluationsmodell zum Kompetenzerwerb (GEKo) und dem E-Learning Label der TU Darmstadt.
Der Band liefert wertvolle Überlegungen dazu, in welchen Bereichen der Einsatz von Medien im Lehr-/Lernprozess zu einer Qualitätssteigerung beitragen kann, so z.B. in der Darstellung der Beschreibungskriterien des E-Learning-Labels der TU Darmstadt, das als „kriteriumsbezogenes Strukturmodell zur Entwicklung und Begutachtung von Lehrveranstaltungen hinsichtlich eines Mindestmaßes an E-Learning Qualität“ eingesetzt wird (S. 30). Das Label ermöglicht den Lehrenden, das E-Learning-Potenzial ihrer Veranstaltung zu beschreiben und sie einer Qualitätssicherung zu unterziehen. Ein zentrales Qualitätsziel stellt die „verstärkte Lernerorientierung im Lehr-/Lernprozess“ dar. Veranstaltungen, die sich dieser Qualitätssicherung unterziehen, erkennen Studierende im Vorlesungsverzeichnis an einem @.
Leider werden in den Darstellungen der Modelle kritische Aspekte selten thematisiert, so etwa bei der Beschreibung des Grazer Konzepts der mediendidaktischen Modellierung, in dem bereits erprobte mediendidaktische Modelle von Lehrenden für Lehrende einheitlich beschrieben und in einem „Methodenpool“ gesammelt werden sollen. Bekannte und vieldiskutierte Probleme wie die kulturellen Hürden bei der Wiederverwendung digitaler Lehr-/Lernressourcen bleiben dabei ausgeblendet.
Was heißt also nun Qualitätssicherung im Zusammenhang mit dem Einsatz digitaler Medien? Nach Sindler offenbart sich Qualität im Zusammenhang mit E-Learning als „multidimensionales Konstrukt“, das stark von den „jeweiligen Zielsetzungen und den Perspektiven der BetrachterInnen abhängig ist“ (Sindler, S. 15). Wichtig erscheint es daher – und das wird in den verschiedenen Konzepten auf unterschiedliche Weise umgesetzt –, für die Qualitätsentwicklung Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen ein partizipativer Aushandlungsprozess zwischen Studierenden, Lehrenden und anderen Akteuren produktiv unterstützt wird. Soll es zu einer Realisierung innovativer Lernformen kommen, muss diese bei allen Beteiligten forciert werden, d.h. von den Studierenden muss Reflexion und Aktivität in Bezug auf das eigene Lernverhalten stattfinden, bei den Lehrenden in Bezug auf die Lehrpraxis und bei der Organisation in Bezug auf die Rahmenbedingungen, die unterstützenden Serviceleistungen und die Infrastruktur.
Im Zentrum aller Konzepte des Bandes stehen allerdings die Studierenden. Es wird gezeigt wie Lernerorientierung in Veranstaltungen intensiviert werden kann, z. B. durch die Kriterien des E-Learning-Labels der TU Darmstadt oder des Evaluationskonzept GEKo der Uni Graz. Oder indem Lernende aktiv und nachhaltig bei der Realisierung ihrer Kompetenzentwicklung unterstützt werden, wie durch das Angebot von Kompetenzportfolios in Graz. Natürlich wäre es dazu noch interessant, eine Bewertung der Modelle aus Studierendensicht zu lesen. Auch wenn dies nicht geleistet wurde, so wird doch deutlich, dass einige Konzepte bei diesen gut anzukommen scheinen. Insofern liefert der Band bedenkenswerte Anregungen für alle, die an der organisatorischen Integration digitaler Medien in die Lehre und an der qualitativen Verbesserung der Lehre durch ihren Einsatz arbeiten.