Rezension Arnold 2003
Zur Dissertation von Patricia Arnold wurde in der Zeitschrift Grundlagen der Weiterbildung folgende Rezension veröffentlicht:
Archivierter Portalinhalt
Gaiser, B. (2004). [Kooperatives Lernen im Internet. Qualitative
Analyse einer Community of Practice im Fernstudium]. Grundlagen der
Weiterbildung, 1, 35-36.
Studien zum Lehren und Lernen mit Neuen Medien zeigen, dass Fernstudierende die bereitgestellten Kommunikations- und Kooperationstechnologien nicht in dem Ausmaß nutzen, wie dies in den methodisch-didaktischen Konzepten der virtuellen Lernumgebungen vorgesehen ist. Der Einsatz von Medien - insbesondere bei Lehrkonzeptionen, die eine räumliche Trennung vorsehen - verschlechtert sogar die soziale Situation der Studierenden erheblich. Im schlimmsten Fall isoliert der Technikeinsatz den Lernenden vor dem Bildschirm. So wird oftmals in telematischen Lernarrangements kein qualitativer Mehrwert durch den Medieneinsatz realisiert. Die Potenziale Neuer Medien bleiben ungenutzt und rezeptive Lernhaltungen überwiegen. Erfolgreich sind Studierende, die über ausreichende Selbstdisziplin verfügen, ihr Studium als Einzelkämpfer effektiv zu strukturieren und zu organisieren.
Innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses hingegen herrscht Konsens darüber, dass gerade kooperatives Lernen positive Effekte auf die Lernleistung hat. Gleichzeitig konzentriert sich die einschlägige Forschungsliteratur auf Fragen des didaktischen Designs. Dabei stellt sich bei Untersuchungen häufig heraus, dass die Intentionen der Konstrukteure bei der Nutzung der Lehr- und Lerntechnologien praktisch nicht umgesetzt werden.
Wie stellt sich nun aber kooperatives Lernen in telematischen Arrangements aus der Sicht der Lernenden dar und welche Bedeutung hat es für ihr Studium? Dieser Frage widmet sich die Dissertation von Patricia Arnold, die in der Reihe „Medien in der Wissenschaft“ der Gesellschaft für Medien in der Wissenschaft (GMW) veröffentlicht worden ist. Im Rahmen einer qualitativen Untersuchung wird hier das kooperative telematische Lernhandeln vom Standpunkt der Lernenden her untersucht. Die Autorin vollzieht mit der Formulierung ihrer Fragestellung einen längst überfälligen Perspektivenwechsel im Bereich der Forschung zu computerunterstützten Lernformen: Die Untersuchung erfolgt aus Sicht der Lernenden!
Ausgangspunkt der Arbeit bildet eine funktionierende Learning Community, die von den Beteiligten als förderlich und nützlich für ihr Fernstudium eingestuft wird. Die Betrachtung dieser selbst organisierten Gemeinschaft und die Rekonstruktion ihrer Entwicklungslogik dient der Formulierung von Annahmen zu förderlichen Bedingungen und Handlungsweisen für telematische Lerngemeinschaften.
Dabei stellt sich zunächst die Frage, wie sich eine Lerngemeinschaft im virtuellen Arrangement entwickelt. Es zeigt sich, dass die Motive der Studierenden Teil einer Learning Community zu werden, mit dem Zugewinn an Orientierung und der gewählten Zugehörigkeit zu einer Gruppe begründet sind. Die Arbeit gibt darüber hinaus Hinweise auf den Zweck, den Studierende mit der Kooperation verbinden und den Charakter der Gemeinschaft, die durch das gemeinschaftliche kooperative Lernen konstituiert wird. Die Autorin beschreibt die Entwicklung unterschiedlicher Studienstrategien und liefert damit wertvolle Erkenntnisse über die „inoffizielle Schattenpraxis“ der Lernenden. Diese Erkenntnisse stellen einen wichtigen Beitrag zu einem verbesserten allgemeinen Verständnis von kooperativem telematischen Lernen dar.
Das methodische Vorgehen der Arbeit erfolgt anhand einer Fallstudie im Kontext des Fernstudiums. Anhand reichhaltigen Datenmaterials werden die Handlungsbegründungen der Studierenden rekonstruiert. Weiterhin bildet das Konzept der Community of Practice ein zentrales Analysekonzept für die Fallstudie. Das Untersuchungsdesign nutzt neue Möglichkeiten der internetbasierten empirischen Sozialforschung, ist transparent und nachvollziehbar dargestellt.
Insgesamt leistet die Studie einen relevanten Beitrag zur gegenwärtigen Forschung zum Lehren und Lernen mit neuen Medien: das theoretische Verständnis einer Lerngemeinschaft wird erweitert, das Konzept der Community of Practice in den Fernstudienkontext eingebracht und Gestaltungshinweise für Fernstudiensituationen entwickelt. An manchen Stellen hätte man sich noch eine breitere Bezugnahme zu Identitätstheorien gewünscht; alles in allem ist die Lektüre des Buches aber für alle an Fernstudiensituationen bzw. am Lernen und Lehren mit neuen Medien Interessierten äußerst gewinnbringend.