Rezension zum „Handbuch Hochschullehre Digital"

Das „Handbuch Hochschullehre: Leitfaden für eine moderne und mediengerechte Lehre“ des soeben mit dem diesjährigen Ars Legendi-Preis ausgezeichneten Linguisten Jürgen Handke setzt auf der Ebene der konkreten Umsetzung an und ist mit vielen Beispielen aus der eigenen Lehrpraxis illustriert; Anne Thillosen hat es für e-teaching.org gelesen.

Jürgen Handke: Handbuch Hochschullehre Digital: Leitfaden für eine moderne und mediengerechte Lehre. Tectum-Verlag, Marburg 2015

Eine Rezension von Dr. Anne Thillosen (e-teaching.org)

In „Patient Hochschullehre“ hatte der Marburger Linguist Jürgen Handke 2014 eine Diagnose zentraler Defizite der Hochschullehre gestellt (eine ausführliche Rezension von Philip Meyer finden Sie hier). Ein Jahr später legt er nun mit dem „Handbuch Hochschullehre Digital“ einen ausführlichen Therapievorschlag vor.

Dem Buch vorangestellt sind einige plakative Thesen, die vermutlich in unterschiedlichem Maße Zustimmung finden. Die    1. These, „Digitalisierung ist der Normalfall geworden“, dürfte tatsächlich Common Sense sein – doch erscheint fraglich, ob dies auch für die 2. These zutrifft: „Digitale Lehr- und Lernszenarien verbessern die Hochschullehre“. Den Weg dafür zu bereiten, ist das Anliegen des Buchs.

Im einleitenden Kapitel „Akzeptieren oder Verteufeln“ zeigt Handke, dass die Durchdringung mit digitalen Medien auch in den Hochschulen inzwischen Alltag ist – allerdings nicht in der Lehre. Doch gerade aus der Tatsache, dass wissenschaftliche Inhalte inzwischen in hoher Qualität online verfügbar sind – als Webseiten, digitale Publikationen, Daten- und Materialsammlungen usw. – leitet er die Anforderung ab, dies nun auch in der Lehre einzuholen.

Anhand des Beispiels einer eigenen Lehrveranstaltung beschreibt Handke im folgenden Kapitel die Schritte der Planung und Durchführung einer klassischen Präsenz-Lehrveranstaltung, von der inhaltlichen Strukturierung über die Materialsammlung bis zur (Planung der Verfahren der) Inhaltsvermittlung in einem „analogen“ Hörsaal und der Prüfung. Daraus ergibt sich die Frage, ob und wie klassische Lehrtätigkeiten wie das Vermitteln, Üben und Bewerten „durch moderne, computergestützte Verfahren ersetzt werden“ können (S. 55).

Genau darum geht es in den folgenden drei Kapiteln, die den Schwerpunkt des Buchs bilden.  Das Kapitel „Digitalisierung – Grundlagen“ beginnt mit der Anforderung, dass digitalisierte Lehrmaterialien einen inhaltlichen Mehrwert gegenüber klassischen Vermittlungsformen haben sollten. Trotz seiner zu Beginn formulierten (3.) These „Learning is not just Video“ befasst sich das Kapitel im Folgenden fast ausschließlich mit Lehrvideos – gibt dabei jedoch zahlreiche sehr konkrete Hinweise von Faktoren wie der Aufnahmemethode, dem Aufnahmeort, der Spieldauer und dem Sprecherbild bis hin zu den Kosten.

Im Kapitel „Die digitalisierte Lehre“ greift er auf das zuvor beschriebene Beispiel einer Präsenzveranstaltung zurück und erläutert, welche ihrer Teile sich digitalisieren lassen und welche Verfahren dabei anzuwenden sind. Ausführlich geht er dabei u.a. auf die digitale Recherche nach online verfügbaren Lernmaterialien, insbesondere OER (Open Educational Resources) ein. Interessant ist auch die Anregung, sich durch die eigene Fachcommunity bei der Materialsuche unterstützen zu lassen und ggf. auch Studierende einzubeziehen. Weitere Aspekte sind die Erstellung automatisch auswertbarer Aufgaben und nicht zuletzt die Umgestaltung der Präsenzlehre. Hier erweist sich Handke als ausgeprägter Befürworter des Flipped Classrooms. Den Einsatz digitaler Elemente, die stärker auf die Aktivierung der Lernenden setzen – etwa E-Portfolios oder Wikis – erwähnt er zwar, geht jedoch leider nicht speziell darauf ein.

Das Kapitel „Digitalisierung – eine Anleitung“ fokussiert noch einmal auf Lehrvideos und geht dabei nicht nur auf die Produktion, sondern auch auf die Distribution ein. Thematisiert werden dabei Faktoren wie die eingesetzte Hard- und Software, Planung und Script sowie verschiedene E-Lecture-Varianten. Auf die Frage „Wohin mit den Videos“ (die auch in einem Online-Event des aktuellen e-teaching.org-Themenspecials am 01.02.2016 behandelt wird), spricht er sich eindeutig für die Plattform YouTube aus und erläutert mit konkreten Quellcode-Beispielen verschiedene Möglichkeiten, Videos von unterschiedlichen Anbietern in die eigene Plattform einzubetten.

In den abschließenden „Empfehlungen“ kommt Handke noch einmal auf seine 4. These „Didactics must drive Technology“ zurück und plädiert vor allem für eine neue Wertschätzung der Lehre – übrigens auch Präsenzlehre. Zugleich äußert er die Befürchtung, dass manche Konsequenzen einer digitalisierten Lehre – etwa die damit verbundene Transparenz, etwa in Bezug auf die Qualität von Inhalten und Materialien sowie die Qualitätssicherung – nicht bei allen Beteiligten auf Zustimmung stoßen wird.

Dem Buch ist das Engagement des Autors in jeder Zeile anzumerken. Es ist ein leicht lesbares Plädoyer für eine didaktisch sinnvolle Digitalisierung der Hochschullehre mit zahlreichen konkreten Praxistipps, das sich insbesondere an Kollegen und Kolleginnen richtet und zur eigenen Erprobung digitaler Lehrformate anregen will. Im Quellenverzeichnis findet sich übrigens noch eine überraschende und sinnvolle Idee: die Referenzierung externer Videos per QR-Code.

Die Rezension von Dr. Anne Thillosen wurde erstmals im e-teaching.org-Newsletter Nr. 38 veröffentlicht, der Ende Oktober 2015 erschien.

 

Letzte Änderung: 10.11.2015