Kleimann (2008)
Können digitale Medien die Ausbildungskapazität von Lehreinheiten erweitern? Genauer: Welche Auswirkungen auf die Zahl der Studienanfänger und Studienplätze ergeben sich, wenn durch den Einsatz von E-Learning Personal- und damit Lehrkapazität frei wird? Der Frage auf den Grund geht eine neue Studie der HIS GmbH. Im Zentrum steht die hypothetisch-modellhafte Betrachtung potenzieller kapazitätserweiternder Effekte von E-Learning. In Betracht genommen wird eine (fiktive) Lehreinheit, genauer ein Informatik-Fachbereich einer Universität mit zwei Studiengängen (Bachelor und Master). Der kapazitätserweiternde Effekt wird anhand von acht unterschiedlichen Szenarien mit jeweils unteschiedlichen Anteilen an Präsenzlehre und Online-Selbststudium untersucht.
Die meisten Hochschulen trauen E-Learning bisher keine kapazitätserweiternde Wirkung zu. Auch die Studie stellt nicht in Frage, dass E-Learning erst einmal mehr Personal erfordert. Allerdings weist sie auch auf die große Varianz des Personalmehrbedarfs hin. Dieser ist u.a. abhängig vom jeweils umgesetzten Lehr-/Lernszenario. Die lehrveranstaltungsbegleitende Bereitstellung von Folien, Skripten und kleinen interaktiven Übungen in einem Lernmanagementsystem erfordert natürlich einen viel geringeren Aufwand als die Entwicklung eines multimedial angereicherten, didaktisch wie technisch hochwertig umgesetzten Studiengangs, dessen Realisierung ein ganzes Team von Fachkräften verlangt. In der Studie bleiben bewusst Szenarien mit stark kapazitätsbindenden Effekten (also E-Learning Großprojekte) ausgeblendet. Vielmehr konzentriert sie sich auf Szenarien, bei denen eine Kapazitätserweiterung durch den Einsatz von Medien möglich erscheint.
Die kapazitätserweiternde Wirkung hängt weiterhin stark von der Vorerfahrungen der Nutzer ab. Auch in der Studie wird nicht angezweifelt, dass die erstmalige Nutzung komplexer Softwaretools durch Computer-Laien keine Zeitersparnis bedeuten kann.
Daher werden folgende Voraussetzungen in der Studie zu Grunde gelegt, damit kapazitätserweiternde Effekte überhaupt möglich erscheinen: - Wenige multimediale Elemente der zu erstellenden Materialien, - eine bestehende Software- und Hardwareinfrastruktur für E-Learning, - Verfügbarkeit nutzerfreundlicher Autorensoftware - hohes softwaretechnisches Know-how der Lehrenden.
Die Studie zeigt, dass die Kapazitätseffekte in hohem Maße von der spezifischen Merkmalskonfiguration eines jeden Szenarios wie didaktisch-technisches Setting, Gruppengrößen, Anrechnungsfaktor, zeitliche Verteilung des Mehraufwands für die Medienproduktion etc. abhängig sind. Bei der Betrachtung der Ergebnisse wird deutlich, dass nennenswerte kapazitätserweiternde Effekte bei Szenarien zu verzeichnen sind, die eine „kritische Masse an E-Learning“ (d.h. einen hohen Proporz an ersetzter Kontaktzeit in möglichst vielen Veranstaltungen) aufweisen. Erst dann werden die Kapazitätszuwächse nicht mehr durch den erhöhten Personalaufwand für die Erstellung von Online-Materialien und –Lernumgebungen aufgezehrt.
Zur Publikation
Kleimann, B. (2008): Kapazitätseffekte von E-Learning an deutschen Hochschulen. Konzeptionelle Überlegungen – Szenarien –Modellrechnungen.: Hannover