Liveübertragung
Vorlesungen finden traditionell auf dem Campus in Hörsälen oder Seminarräumen statt. Die Hochschulen müssen sich jedoch immer stärker mit großen Studierendenzahlen auseinandersetzen. So können besonders Pflichtveranstaltungen und Vorlesungen in teilnehmerstarken Studiengängen zu Platzproblemen führen. Eine Lösung hierfür bietet die Liveübertragung von Vorlesungen per Videokonferenz, bei der Lehrende und Studierende von unterschiedlichen Orten aus an der Veranstaltung teilnehmen.
Rahmenbedingungen
- An den Übertragungsorten müssen vorlesungsähnliche Bedingungen geschaffen werden, z.B. durch das Bereitstellen von Tischen und Stühlen, die Anwesenheit von Aufsichtspersonen etc.
- Sowohl an der Hochschule als auch an den Übertragungsorten müssen geeignete technische Rahmenbedingungen gegeben sein. So müssen eventuell Kameras und Mikrofone installiert werden, um eine Kommunikation zwischen den Veranstaltungsorten zu ermöglichen. Häufig bieten spezielle Multimedia -Hörsäle hierfür das entsprechende hard- und softwaretechnische Equipment.
- Soll Studierenden mit einer Liveübertragung die Möglichkeit gegeben werden, von zu Hause aus an einer Vorlesung per Audio- oder Video-Stream teilzunehmen, müssen diese ebenfalls über die nötige technische Ausstattung verfügen (Internetzugang, Kopfhörer und Mikrofon, Webcam).
- Zur Übertragung der Video- und Audiodaten sowie zur Präsentation von Folien und Animationen ist neben einer ausreichend stabilen Netzwerkinfrastruktur ein zu den Rahmenbedingungen passendes Videokonferenz-System notwendig.
Lösung
Wird eine Vorlesung live übertragen, können Studierende von unterschiedlichen Orten aus an der Veranstaltung teilnehmen: im eigentlichen Hörsaal selbst, in Vorlesungsräumen an anderen Hochschulen oder von zu Hause aus. Die Studierenden verfolgen die Vorlesung und Präsentation des Lehrmaterials virtuell per Video-Stream. In der Praxis wird eine solche Veranstaltungsform auch Teleteaching genannt.
Eine Liveübertragung von Seminaren ermöglicht die Kooperation verschiedener Hochschulen mit gleichem Fächerangebot – Vorlesungen können an einer Hochschule gehalten und an einem anderen Standort übertragen werden. Darüber hinaus bietet sich eine solche Veranstaltung für Hochschulen an, deren Campus geografisch über mehrere Standorte verteilt ist. Interaktion und Kommunikation zwischen den räumlich getrennten Teilnehmergruppen wird dann über Kameras und Mikrofone im eigentlichen Veranstaltungsraum und am Übertragungsort sowie durch den Einsatz eines Videokonferenz-Systems ermöglicht. Lehrende können bei einer solchen Live-Vorlesung direkt auf Fragen, Anmerkungen und Probleme der Studierenden am Veranstaltungsort, aber auch an den verschiedenen Übertragungsorten eingehen. Zudem ist es möglich, die Vorlesung interaktiv zu gestalten und Diskussionen, Fallbesprechungen o.ä. in ihren Ablauf mit einzubeziehen.
Details
Für den Einsatz von Liveübertragungen in der Hochschullehre bieten sich verschiedene Einsatzszenarien an. Neben der Übertragung einer Lehrveranstaltung an andere Standorte (vgl. I) oder zu den Studierenden nach Hause (vgl. III), können über Videokonferenz-Systeme beispielsweise Arbeitsgruppentreffen oder virtuelle bzw. Online-Projekte (vgl. II) durchgeführt werden.
In der Praxis werden drei Einsatzszenarien von Liveübertragungen in der Hochschullehre gegeneinander abgegrenzt. Diese unterscheiden sich in ihrem jeweiligen Grad der Interaktion zwischen dem Lehrenden und den Studierenden sowie den technischen und methodisch-didaktischen Anforderungen (Effelsberg & Gaiser, 2005):
I. Remote Lecture Room (RLR)
In diesem Szenario werden mindestens zwei große Hörsäle miteinander verbunden. Das Videobild des Dozierenden wird an alle Standorte live übertragen, die Übertragungen aus den einzelnen Hörsälen können hingegen nur am Ort der Präsenzveranstaltung verfolgt werden. Fragen, die an den Standorten auftauchen, werden an den Lehrenden direkt übertragen, so dass dieser die Möglichkeit hat, auf alle Probleme einzugehen.
II. Remote Interactive Seminar (RIS)
Im Gegensatz zum RLR wird die Vorlesung beim RIS nur in kleine Seminarräume, statt in große Hörsäle übertragen und ist hierdurch mit einem vergleichsweise geringeren technischen Aufwand verbunden. Auch bei diesem Szenario erfolgt die Übertragung nur einseitig, d.h. die einzelnen Seminarräume sind nicht untereinander, aber jeweils mit dem eigentlichen Vortragsraum verbunden.
III. Interactive Home Learning (IHL)
Bei diesem Szenario nehmen die Studierenden von ihrem Heimrechner aus an der Vorlesung teil. Meist erfolgt der Zugang zu einer gesicherten Liveübertragung über ein passwortgeschütztes Login. Die Studierenden können anschließend der Präsentation des Lehrenden folgen, sich über eine Chatfunktion an der Diskussion beteiligen oder per Webcam eigene Audio- bzw. Video-Streams an die Gruppe senden.
Während einer Liveübertragung bieten sich im Allgemeinen verschiedene Möglichkeiten der Kommunikation zwischen Studierenden und Lehrenden an. Neben der Beteiligung über Audio- oder Videobeiträge können die Lernenden über eine Chatfunktion in die Veranstaltung eingebunden werden. Zudem empfiehlt es sich bei allen Szenarien, zusätzlich einen Moderator in die Liveübertragung einzubeziehen. Besonders bei auftretenden Gesprächspausen, komplexen Problemlösungen, Diskussionen mit mehreren Teilnehmern oder bei der Chat -Moderation kann dieser die Abfolge von Wortbeiträgen koordinieren und für einen organisierten Gesprächsablauf sorgen.
Stolpersteine
- Bei der Konzeption einer Veranstaltung, die live an verschiedene Orte übertragen wird, sollten mögliche Wechselwirkungen zwischen didaktischen Erfordernissen und technischen Rahmenbedingungen beachtet werden. So kann z.B. die Entscheidung für ein Videokonferenz-System zwangsläufig eine Reihe technischer Implikationen nach sich ziehen und ist mit bestimmten Handlungsanforderungen verbunden, die möglicherweise die didaktische Gestaltung begrenzen.
- Die Liveübertragung einer Vorlesung ist aufgrund der Koordination unterschiedlicher Standorte und einer großen Zuhörerzahl mit hohen technischen, didaktischen und vor allem organisatorischen Anforderungen verbunden. Je nach persönlicher Auslastung und Erfahrung der Dozierenden sollten diese gegebenenfalls Unterstützung aus zentralen Hochschuleinrichtungen in Anspruch nehmen.
- Von Lehrenden muss bei Vorlesungsaufzeichungen und Live-Streaming einen Einverständniserklärung zur Aufzeichnung, Wiedergabe und Zugänglichmachung der Lehrveranstaltung eingeholt werden werden. Ein Beispiel für eine Einverständniserklärung findet man bei der Universität Greifswald.
Vorteile
- Mit Hilfe der Liveübertragung von Veranstaltungen kann ein größerer Teilnehmerkreis in die Vorlesung einbezogen werden. Dies bietet vor allem bei Pflichtveranstaltungen mit räumlich begrenzten Möglichkeiten eine Alternative zur Präsenzvorlesung.
- Der Export bzw. Import von Veranstaltungen durch Liveübertragungen ergänzt das inhaltliche Vorlesungsspektrum der an einer Kooperation beteiligten Hochschulen.
- Eine Vorlesungsübertragung kann die Anfahrtswege von Lehrenden und Studierenden an Hochschulen mit geografisch weit entfernten Standorten verkürzen.
- Bei Bedarf kann die Liveübertragung auch aufgezeichnet werden. Auf diese Weise lässt sich anschließend einfach ein Vorlesungspodcast oder -vodcast erstellen. Ausführliche Informationen zum Einsatz von Audio - und Videopodcasts in Vorlesungen finden Sie im Portalbereich Lehrszenarien.
Nachteile
- Eine Übertragung von Vorlesungen ist neben den technischen und organisatorischen Anforderungen mit einem hohen finanziellen und personellen Aufwand (z.B. Kosten für die technische Ausrüstung, Personal für Supporteinrichtungen, Kameraleute etc.) verbunden, der dem eigentlichen Nutzen einer Liveübertragung gegenübergestellt werden muss.
- Bei einer Liveübertragung besteht trotz stabiler Netzwerkverbindungen immer das Risiko der Zeitverzögerung.
- Bei Vorlesungen mit TeilnehmerInnen an vielen verschiedenen Orten ist es meist nur schlecht möglich, auf alle Fragen einzugehen, diese zeitnah zu erfassen und alle TeilnehmerInnen in die Diskussion einzubeziehen.
- Nicht alle Vorlesungsinhalte können den Studierenden über eine Videokonferenz anschaulich und problemlos dargestellt werden. So ist z. B. die Übertragung von physikalischen oder chemischen Versuchen technisch sehr anspruchsvoll. Um eine solche Vorlesung so realitätsnah wie möglich live senden zu können, muss die technische Übertragung gründlich geplant und durchgeführt werden, z.B. sollten hierbei verschiedene Kameras aus unterschiedlichen Blickwinkeln eingesetzt werden.
Beispiele
- Das Blended Learning Konzept Pharmasquare der Universität Basel und ETH Zürich beinhaltet sechs verschiedene Lehrveranstaltungstypen: neben konventionellen Laborpraktika, Seminaren, WBT-Modulen, einem virtuellen Labor sowie einem computerbasierten Trainingssystem wird den Studierenden eine Pflichtvorlesung abwechselnd von den Standorten Basel und Zürich über das Videokonferenz-System "Telepoly" auf den jeweils anderen Campus übertragen. Auf e-teaching.org finden Sie hierzu ein Referenzbeispiel.
- Die Universitäten Würzburg, Bayreuth und Erlangen bieten Vorlesungsreihen als Liveübertragung zwischen den drei Hochschulen an. Hierfür sind einige Hörsäle speziell mit der für eine Videoübertragung nötigen Technik ausgestattet, das eigentliche Streaming findet auf IP-Basis über das mobile System VBrick 6000 statt. Zudem ist die Übertragung von Vorlesungen innerhalb einer Hochschule möglich.
- Einen Erfahrungsbericht mit den Ergebnissen einer Anwenderbefragung zu Online-Veranstaltungen der FernUni Hagen hat Sandro Mengel vorgelegt.
- Im Mai 2010 wurde am Institut für Psychologie der FernUni Hagen ein Gastvortrag von Prof. em. Dr. Theo Herrmann zum Thema "Hildegard Knies - Psychologin und antinazistische Widerstandskämpferin" live per Video-Stream übertragen.
- Die Vorlesungen der Kinderuni an der Universität Hohenheim werden in jedem Semester - für alle die keine Karten zu den Präsenzveranstaltungen bekommen - live im Internet übertragen.
Werkzeuge
Ein grundsätzlicher Teil von Liveübertragungen sind - neben Kameras und Mikrofonen zur Aufnahme der Veranstaltung - internetfähige Computer mit Lautsprechern zur Wiedergabe des Live-Streams. Darüber hinaus muss ein geeignetes Videokonferenz-System zur Übertragung gewählt werden, das zur Größe der Veranstaltung sowie zu den technischen und didaktischen Anforderungen passt. In der Praxis greifen die einzelnen Hochschulen auf unterschiedliche Systeme zurück, die sie teilweise zu eigenen Zwecken entwickelt haben. Hierzu einige Beispiele aus der Hochschulpraxis:
- An der Universität Trier wurde das TeleTeachingTool entwickelt, das eine plattformübergreifende Aufzeichnung und Liveübertragung von Vorlesungen und multimedialen Präsentationen ermöglicht.
- Das Zentrum Virtuos der Universität Osnabrück bietet den Lehrenden umfangreiche Informationen zu verschiedenen Möglichkeiten Videokonferenzen und Webmeetings umzusetzen. Für Videokonferenzen greift die Universität auf den Adobe-Connect-Server des DFN zurück. statt.
- Das Hasso-Plattner-Institut Potsdam entwickelte das System tele-TASK, mit dem Video-Streams produziert werden können.
Darüber hinaus können auch kommerzielle Tools wie Adobe Connect, Flashmeeting oder Elluminate VCS zur Übertragung von Live-Veranstaltungen eingesetzt werden.
Weitere Informationen
- Vertiefte Informationen zu den technischen Voraussetzungen, Vor- und Nachteile von Videokonferenzen sowie spezifische Gestaltungshinweise finden Sie im e-teaching.org-Artikel „Teleteaching“ (Effelsberg & Gaiser, 2005).
- Prof. C. de Witt spricht in einem Online-Vortrag auf e-teaching.org zum Thema "persönlich - komfortabel - interaktiv - das virtuelle Klassenzimmer im Fernstudium".
- Im Portalbereich Community-Events finden Sie Online-Vorträge, Live-Schulungen sowie videobasierte Podiumsdiskussionen aus unterschiedlichen e-teaching.org-Themenspecials.