Laborpraktikum

In vielen natur- und ingenieurwissenschaftlichen Fächern wird der Begriff „Praktikum“ für die semesterbegleitende Arbeit im Labor verwendet. Die Laborpraktika finden als verpflichtende Lehrveranstaltung in der Regel in speziell ausgestatteten Räumen der Hochschule statt, in denen die Studierenden beispielsweise unter Anleitung Versuche durchführen, den Ablauf von Experimenten beobachten oder eigene Prototypen entwickeln.

In einer laborpraktischen Lehrveranstaltung lernen Studierende fachspezifische Methoden anzuwenden sowie Experimente und Messungen durchzuführen. Darüber hinaus lernen sie im Labor typische Arbeitsabläufe für ihren späteren Beruf kennen und werden nicht zuletzt zu kritischem Denken sowie forschendem Lernen angeregt (Gleßmer, Knutzen & Salden, 2015). Die Gestaltung der Lehrveranstaltung sowie der didaktische Einsatz von Medien hängt von mehreren Rahmenbedingungen ab. Als didaktische Hilfestellung bei der Planung empfehlen Gleßmer et al. (2015) den Ansatz des Constructive Alignment, bei dem Lernziele, Prüfungsformate und die Lernaktivitäten von Anfang an sorgfältig aufeinander abgestimmt werden.

Die verschiedenen Aktivitätsphasen während eines klassischen Laborpraktikums (Vorbereitung, praktische Arbeit im Labor, Nachbereitung) stellen unterschiedliche Anforderungen an die Studierenden (Burdinski, 2018). Bei der Konzeption der Lehrveranstaltung sollte außerdem reflektiert werden, inwieweit der Einsatz digitaler Medien den Lernprozess der Studierenden unterstützen kann.

Drei Phasen: Vorbereitung (Selbststudium) - Praktische Arbeit im Labor - Nachbereitung (Selbststudium)
Aktivitätsphasen für eine Laborpraktikumsaufgabe (eigene Darstellung nach Burdinski (2018, S. 166)


In den folgenden drei Abschnitten wird anhand beispielhafter Einsatzmöglichkeiten und Lernszenarien aufgezeigt, wie digitale Medien gezielt in den verschiedenen Aktivitätsphasen einer laborpraktischen Lehrveranstaltung eingesetzt werden können. Im ersten Abschnitt wird der Einsatz von begleitenden Lernmaterialien für das Selbststudium und Gruppenarbeiten beschrieben, der zweite Abschnitt befasst sich mit virtuellen Lernszenarien zur Veranschaulichung und Durchführung von Versuchen und Experimenten und im dritten Abschnitt wird der Einsatz von virtuellen Laboren erläutert.

Begleitende Lernmaterialien für Selbststudium und Gruppenarbeiten

In der Regel werden den Studierenden im Rahmen des Laborpraktikums vorab begleitende Lernmaterialien (online) zur Verfügung gestellt. Die digitalen Ressourcen dienen insbesondere dazu, die Studierenden im Selbststudium zu unterstützen, sie auf Labortätigkeiten und Abläufe im Labor vorzubereiten und sie auf typische Fehler aufmerksam zu machen (Gleßmer et al., 2015). Eine strukturierte Online-Vorbereitung kann sich vor allem in den Einführungspraktika positiv auf die Lernmotivation sowie die subjektive Lernerfahrung der Studierenden auswirken (Burdinski, 2018).

Bei der Gestaltung der Lernmaterialien als Online-Ressourcen gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Gleßmer et al. (2015) empfehlen in ihrem didaktischen Leitfaden (PDF) zunächst einmal grundlegende Materialien online bereitzustellen, die den Studierenden relevante Informationen liefern, z. B. zum Versuchsaufbau, zu Sicherheitsaspekten, aber auch zu theoretischen Grundlagen und fachspezifischen Fertigkeiten. Die Materialien können in unterschiedlichen Formaten (z. B. Texte, Bilder, Videos) zur Verfügung gestellt werden. Das können z. B. Praktikumsskripte oder Versuchsanleitungen sein, als OER frei verfügbare oder selbstproduzierte Lernvideos, Screencasts, sowie virtuelle Labore. In Ergänzung dazu werden zur Online-Vorbereitung digitale Selbsttests empfohlen. 

Aber auch während der praktischen Labortätigkeit sowie in der Nachbereitung kann es sinnvoll sein, entsprechende Materialien und Tools bereitzustellen. So können z. B. digitale Werkzeuge und Methoden eingesetzt werden, um Gruppenarbeiten und gemeinsames Schreiben zu unterstützen, Reflexionsprozesse bei den Studierenden anzuregen (z. B. durch Lernportfolios, (Versuchs-)Protokolle oder die Dokumentation von Entwicklungsschritten) oder verschiedene Kommunikationswege (z. B. über Online-Foren, Chats) zu ermöglichen.

Beispiele

  • Die TU Ilmenau bietet hybride Laborpraktika in einer Reinraumumgebung an: Studierende der Mikro- und Nanotechnologien werden für bessere experimentelle Ergebnisse im Reinraum mittels interaktiver Videos und direktem Feedback in einem Live-Stream auf Funktion und Bedienung der Laborausrüstung vorbereitet.
  • Das Institut für Pathologie der Universität Heidelberg (el-IPH) stellt Medizinstudierenden eine virtuelle Lehrsammlung aus allen Bereichen der allgemeinen und speziellen Pathologie und mehr als 1500 histologischen Präparaten zum Selbststudium zur Verfügung.
  • Das Lernprogramm der Universität Halle-Wittenberg wurde als zusätzliches Lernangebot für die Kurse der mikroskopischen Anatomie und Histopathologie erstellt und ermöglicht die Betrachtung von histologischen sowie histopathologischen Organpräparaten.

Virtuelle Lernszenarien zur Veranschaulichung und Durchführung von Versuchen und Experimenten

Versuche und Experimente werden durchgeführt, um komplexe Zusammenhänge und Prozesse zu veranschaulichen. Das Beobachten oder Durchführen der Versuche erleichtert das Lernen und führt zu einem tieferen Prozessverständnis. Die Studierenden erfahren dabei nicht nur die Realitätsnähe der Lerninhalte, sondern werden durch die praktische Demonstration auch motiviert, selbst aktiv zu werden und eigene Ergebnisse zu produzieren.

Zwei Wissenschaftlerinnen im Labor. Die Frau im Vordergrund trägt einen weißen Kittel, vor ihr steht ein Mikroskop.
Bild von Freepik 

Versuche und Experimente können auch virtuell durchgeführt werden, z. B.in einem virtuellen Labor. Der Einsatz von virtuellen Versuchen und Experimenten erfolgt meist mit dem Ziel, die Studierenden auf die spätere praktische Arbeit im Labor vorzubereiten und sie mit den Geräten vertraut zu machen. Darüber hinaus können die Studierenden dabei unterstützt werden, bereits erworbenes Wissen zu vertiefen oder gezielt für Prüfungen zu wiederholen.

Um Versuche und Experimente virtuell nachzubilden, können beispielsweise computergestützte Simulationen eingesetzt werden. Diese eignen sich besonders zur Veranschaulichung komplexer Sachverhalte, aber auch für abstrakte Darstellungen. Sie können beispielsweise besonders große (z. B. Planetenbewegungen) oder kleine (z. B. Moleküle) Untersuchungsgegenstände abbilden. Aber auch biologische Wachstumsprozesse, die unter realen Bedingungen zu langsam ablaufen, um sie in Unterrichtssituationen beobachten zu können, lassen sich mit Hilfe computergestützter Simulationen sinnvoll darstellen.

Eine weitere Möglichkeit, Studierenden die praktischen Zusammenhänge eines Versuchs oder Experiments virtuell zu vermitteln, sind videobasierte Vorlesungsaufzeichnungen. Diese können entweder als einfache Aufzeichnung einer Lehrveranstaltung oder als Videosequenz zu bestimmten Aspekten der Laborarbeit (z. B. Aufbau, Durchführung von Versuchen oder Experimenten, Bedienungsanleitungen für Software etc.) zur Verfügung gestellt werden. Die Bereitstellung von Videoaufzeichnungen wie auch von simulationsbasierten Lernangeboten ist insbesondere bei kostenintensiven oder sicherheitskritischen Versuchen eine sinnvolle Ergänzung zur praktischen Arbeit im (Präsenz-)Labor.

Beispiele

  • An der RWTH Aachen University lernen Studierende ingenieurwissenschaftlicher Studiengänge die Grundlagen der Umformtechnik mit CLiPS (Computer based Learning by interactive Process Simulation). Dabei führen sie webbasiert FE (Finite-Elemente-)Simulationen verschiedener Umformprozesse durch und lernen so die unterschiedlichen Prozesszusammenhänge kennen.
  • Die Seite ChemCollective bietet frei zugängliche interaktive Online-Simulationen an, die sich für Grundlagenversuche in der Chemie eignen.
  • femtoPro ist ein interaktiver Simulator für Femtosekundenlaserlabore in virtueller Realität (VR), der an der Universität Würzburg entwickelt wurde. Mit Hilfe von Schritt-für-Schritt-Anleitungen können komplexe Laserexperimente augensicher aufgebaut und bedient werden.

Der Einsatz von virtuellen Laboren

Virtuelle Labore sind spezialisierte digitale Orte, Räume oder Umgebungen, in denen wissenschaftliche Experimente, praktische Übungen, Forschungen und Lehre durchgeführt werden können. Sie bieten simulierte Lernumgebungen, die in der Regel auf dem Computer, spezifischer Hardware oder im Internet laufen und in denen die Studierenden experimentieren, erkunden und lernen können. Virtuelle Labore haben den Vorteil, dass sie Zugang zu Laborerfahrung bieten können, ohne die Kosten (bspw. Material- und Reisekosten), den Platzbedarf und die Sicherheitsbedenken, die mit physischen Laboren verbunden sind.

Die Umsetzung virtueller Labore kann sehr unterschiedlich gestaltet werden. Grundsätzlich wird zwischen den vier Kategorien 1) simulationsbasierte Labore, 2) Remote-Labore, 3) virtuelle Umgebungen und 4) Online-Simulationsplattformen unterschieden. Die Wahl des geeigneten virtuellen Labors sollte im Hinblick auf die Anforderungen sowie Lern- und Forschungsziele mithilfe einer Bedarfs- und Anforderungsanalyse sorgfältig abgewogen werden. So eignen sich beispielsweise simulationsbasierte Labore besonders dafür, komplexe Sachverhalte und abstrakte Konzepte verständlich darzustellen, während der Vorteil der Remote-Labore eher darin liegt, Zugriff auf entfernte Laborressourcen für authentische Experimente zu erhalten. Alle vier Einsatzmöglichkeiten werden im e-teaching.org-Grundlagentext Virtuelle Labore genauer beschrieben.

Für viele Studiengänge – z. B. die Ingenieurswissenschaften, die Informatik, die Elektrotechnik etc. – ist die Möglichkeit, Versuche bzw. ein (Labor-)Praktikum in einem virtuellen Setting durchzuführen, sehr attraktiv. Alle Umsetzungsformen ermöglichen es, Laborübungen multimedial und interaktiv, wirklichkeitsnah, aber räumlich (und teilweise auch zeitlich) unabhängig anzubieten. Durch die Verbindung von virtuellen und realen Laboratorien sind die Studierenden selbst Teil eines rückgekoppelten Prozesses, wenn sie etwa das virtuelle Steuerpult mit der Online-Befehlseingabe auf dem Bildschirm haben und in Echtzeit die Wirkungen ihrer Handlungen erfahren können.

Vorteile ergeben sich z. B. bei einer großen Anzahl von Studierenden und wenigen Variationen der Versuche und Experimente oder dadurch, dass sich die Ergebnisse von Experimenten digital auswerten lassen. Bei einer Entscheidung für bzw. gegen den Einsatz bzw. die Einrichtung virtueller Labore gilt es Aufwand und Nutzen eines solchen Vorgehens abzuwägen. Möglich sind auch weniger aufwändige Umsetzungsformen, bei denen den Studierenden z. B. Bilder von Präparaten oder Videos von Experimenten online zur Verfügung gestellt werden, die um Aufgaben zur Unterstützung des Lernprozesses ergänzt werden können.

Es ist außerdem zu beachten, dass virtuelle Labore trotz ihrer vielen Vorteile nicht alle Aspekte von Hands-On-Laborerfahrungen ersetzen können. Insbesondere können sie die Entwicklung von praktischen Fähigkeiten und die Erfahrung mit echten, unvorhersehbaren Ereignissen und Fehlern begrenzen. Daher sollten sie am besten als Ergänzung zu, und nicht als Ersatz für, physische Labore betrachtet werden.

Beispiele

Weitere Informationen

  • In der e-teaching.org-Rubrik „Didaktisches Design“ finden Sie vertiefende Informationen zu Gestaltungs- und Einsatzmöglichkeiten der dynamischen Visualisierungformen Video, Animation und Simulation. Technische Informationen zu diesen Aufbereitungsformen finden Sie in der Rubik „Medientechnik“.
  • In der Präsentation „Digitale Labore - Neue Projekte“ im Rahmen des University:Future Festivals 2021 wurden vier neue, seit August 2021 von der Stiftung Innovation in der Hochschullehre geförderte Projekte im Bereich virtuelle Labore vorgestellt: CrossLab, DistLab, MINT-VR und SHELLS.
  • Prof. Dr. Paul R. Melcher von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg (H-BRS) beschreibt im Interview „Das Online-Experiment: Laborpraktikum von zu Hause aus“, wie er im Rahmen des Moduls „Hydraulik und Pneumatik“ das Laborpraktikum mit seinen Studierenden pandemiebedingt online umsetzte.
  • Die 2018 durch das Hochschulforum Digitalisierung gegründete Community Working Group (CWG) Digitale Labore (bis 2021: Remote Labore in Deutschland) ist ein Netzwerk von 15 Institutionen aus Deutschland, deren Ziel es ist, digitale Labore und deren Einsatz in der Lehre weiter zu erforschen und zu entwickeln.
  • In seinem Beitrag „Flipped Lab. Ein verdrehtes Laborpraktikum“ stellt Burdinski (2018) anhand eines Praxisbeispiels das Konzept des Flipped Lab vor, das die Idee des Flipped-Classroom-Modells aufgreift und in einem Laborpraktikum umsetzt.
  • Im e-teaching.org-Interview „Am Strand oder am Schreibtisch: Erfolgreiches digitales Lehren und Lernen mit Remote-Laboren“ (2017) stellen Jun.-Prof. Dr. Sebastian Zug (Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg) und Dr. Anja Hawlitschek (Hochschule Magdeburg-Stendal) Ergebnisse des BMBF-Projekts „Industrial eLab“ vor.
  • Die Handreichung „Toolbox Praktika“ (PDF) der wissenschaftlichen Einrichtung ProLehre | Medien und Didaktik der Technischen Universität München (TUM) gibt nützliche Tipps an die Hand, wie Laborpraktika mediengestützt gestaltet werden können.
  • Das Zentrum für Lehre und Lernen (ZLL) der Technischen Universität Hamburg (TUHH) gibt in seiner Broschüre „Die Spannung steigern. Laborpraktika didaktisch gestalten“ (PDF) (Gleßmer, Knutzen & Salden, 2015) einen Überblick über verschiedene Beispiele, wie ein Laborpraktikum didaktisch geplant werden kann, was im Labor zu beachten ist, wie es nachbereitet werden kann und wie Feedback an die Studierenden gegeben werden kann.
Letzte Änderung: 04.06.2024