Chatprotokoll "E-Learning@Fachhochschule" mit Prof. Patricia Arnold
Am 4. Oktober war Prof. Dr. phil. Patricia Arnold, Professorin für Sozialinformatik an der Fachhochschule München, zu Gast. Im Chat beantwortete sie Ihre Fragen rund um das Thema "E-Learning an Fachhochschulen".
Die besprochenen Themen im Schnellzugriff:
- Stärken von FHs – Praxisorientierung, Kooperationskultur & Experimentierfreude
- Finanzierungsfragen - Kosten, Ersparnisse & Fördermöglichkeiten
- E-Learning aus Professorenperspektive und Studentensicht
- Praxistipps - Blended Learning, Social Software & Web 2.0
- E-Learning-Infrastruktur – gibt es ein “All-Inclusive-Paket“?
- BASA-online – Referenzbeispiel für lebenslanges Lernen & Qualitätsmanagement
- Erste Schritte - Guter Rat ist nicht teuer!
Moderator: Hallo und herzlich willkommen zum e-teaching.org-Expertenchat. An dieser Stelle wird Ihnen Prof. Dr. Patricia Arnold von der FH München heute Fragen zum Thema E-Learning an Fachhochschulen beantworten. Frau Arnold ist jetzt auch bei uns eingetroffen, wir werden also gleich beginnen: Vielen Dank, Frau Arnold, dass Sie uns heute Fragen zum Thema E-Learning an FHs beantworten. Können wir anfangen?
Patricia Arnold: Ja. Sehr gerne.
Stärken von FHs – Praxisorientierung, Kooperationskultur & Experimentierfreude
Moderator: Vor dem Chat hatten die Nutzer bereits einige Tage Zeit, Fragen zu stellen und darüber abzustimmen, welche heute den Chat eröffnen. Starten wir mit dieser hier:
taraäten: Haben Sie einen Überblick, in welchen Fachbereichen / Fächern E-Learning an FHs besonders häufig eingesetzt wird? Bestehen Unterschiede zu Unis?
Patricia Arnold: Für den Überblick kann ich auch noch mal auf diese HIS-Studie zu E-Learning an Fachhochschulen verweisen. Ich denke verstärkt wird E-Learning an Technischen Fakultäten an den Hochschulen eingesetzt. Aber auch die Sozialwissenschaften, zum Beispiel die Fakultät an der ich tätig bin, entdecken die Möglichkeiten des E-Learnings. An den Technischen Fakultäten, die ja in der Mehrzahl an den Fachhochschulen vertreten sind, ist die Affinität zu dem Medium eben ohnehin etwas größer, aber auch in der sozialen Arbeit. Ein Beispiel: Für meine Fakultät wird E-Learning jetzt zur Unterstützung der Lehre entdeckt, insbesondere durch den Bologna -Prozess.
genaudso: Gibt es eigentlich einen Unterschied zwischen E-Learning an Fachhochschulen und Unis? Warum?
Patricia Arnold: Erklären Sie die Welt in zwei Sätzen. Also, das E-Learning als solches unterscheidet sich nicht, weil E-Learning an sich schon nicht eng definiert ist, sondern sehr viele unterschiedliche Konzepte mit E-Learning verbunden oder bezeichnet werden. Einen Unterschied sehe ich insbesondere in der Ressourcenfrage. Der Mittelbau an Fachhochschulen ist zahlenmäßig wesentlich geringer als an Universitäten und auch die Anzahl von größeren Forschungsprojekten ist geringer. Deswegen sind auch die Projekte, in denen E-Learning-Lösungen an FHs entwickelt worden sind, zahlenmäßig geringer. Dort wo E-Learning-Lösungen im Einsatz sind, sind die Unterschiede aber gering oder man hat die gleiche Bandbreite wie halt sonst auch, wenn man den Begriff E-Learning benutzt.
Anderer Aspekt: Fachhochschulen machen ja von ihrem Lehrauftrag her „stark praxisorientierte Lehre“ und haben vielfältige Industrie- und Praxiskooperationen mit Organisationen außerhalb der Hochschule. Und genau für diese Kooperationen bietet E-Learning sehr viele Möglichkeiten. Ein Beispiel aus meiner eigenen Lehre: Ich kann eine Kooperation mit einer Schule sehr gut durch E-Learning-Plattformen unterstützen. Ich denke, das sind erstmal ein paar Schlaglichter auf die Unterschiede, aber auch auf das was vereint.
Jürgen: Sind die Strukturen an FHs experimentierfreundlicher?
Patricia Arnold: Experimentierfreundlicher würde ich sagen ja, in der Weise, dass es eben die Kooperationen mit Unternehmen außerhalb und Entwicklungskooperationen gibt. Auf der anderen Seite sprechen die Aspekte, die ich vorhin genannt habe - die schlechtere Ausstattung mit Support und Ressourcen - gegen eine Experimentierfreudigkeit bzw. machen eine Experimentierfreudigkeit schwerer.
kathy: Wenn es um E-Learning geht, werden ja allerorten erstmal die Schwierigkeiten betont. Ein Wunder, dass überhaupt noch Unterricht stattfindet. Welche Faktoren begünstigen denn E-Learning an Fachhochschulen?
Patricia Arnold: Begünstigende Faktoren sind aus meiner Sicht die vielfachen Kooperationen, wo es eben in der Natur der Sache liegt, hilfreich einen gemeinsamen Lern- und Arbeitsbereich nutzen zu können, und oft engagierte Hochschullehrende, die experimentierfreudig in ihrer Lehre sind.
Moderator: Mit wem kooperieren FHs?
Patricia Arnold: Ich würde sagen, FHs kooperieren nicht unbedingt wegen E-Learning. Die Nutzung von Lernplattformen oder Web 2.0-Anwendungen ist einfach ein Werkzeug zur Unterstützung der Kooperationen. Beispiel in meinem Bereich wäre eine Schule, die ihrerseits mit digitalen Medien und anderen Prüfungsformen wie E-Portfolios experimentiert und wo Studierende meiner Lehrveranstaltung diesen Prozess begleiten und unterstützen.
Jürgen: Ist die praxisorientierte Orientierung von FHs eine Chance, Studenten bei der Umsetzung - z.B. in Projektarbeit - zu involvieren?
Patricia Arnold: Die praxisorientierte Lehre an Fachhochschulen bietet natürlich eine Menge Möglichkeiten. Wie im Beispiel unserer Kooperation mit einer Schule kann so eine Projektarbeit, die ja oft an verschiedenen Orten stattfindet und ganz unterschiedliche Akteure integriert, eben durch einen virtuellen Arbeitsraum stark erleichtert werden.
richard: Sind viele FH-Studiengänge nicht an sich zu verschult, um innovative Lehre auszuprobieren? Häufig scheitert doch der Einsatz von Social Software an der Mentalität der Studenten, die auf Prüfungsleistungen fokussiert sind.
Patricia Arnold: FHs sind im Zuge des Bologna-Prozesses ja gar nicht mehr „verschulter“ als Universitäten. Die neuen gestuften Studiengänge sind ähnlich reglementiert und natürlich ist die Prüfungslast sehr, sehr hoch. Das heißt, Experimentierfreude jenseits jeder Prüfungsorientierung kann man so ohne weiteres nicht voraussetzen. Aber man kann ja durchaus versuchen, die Dinge zu kombinieren, in dem man beispielsweise versucht mit neuen Prüfungsformen zu experimentieren, zum Beispiel E-Portfolios. E-Portfolios sind, kurz erklärt, digitale Sammelmappen, in denen „Werkstücke“ der Studierenden enthalten sind. Das können Konzepte, ausgearbeitete Fragestellungen oder Sachtexte sein und gleichzeitig Reflektionen der Studierenden zu diesen Werkstücken, zum Arbeitsprozess. Und solche E-Portfolios können durchaus auch Leistungsnachweise sein und damit auch prüfungsrelevant.
joe: Was bringt E-Learning denn für den Bologna Prozess?
Patricia Arnold: Im Bologna-Prozess wird ja stark von dem studentischen „Workload“ ausgegangen, also die durchschnittliche Zeit die eine Studentin oder ein Student an Arbeitszeit in eine Lehrveranstaltung einbringt. Diese Arbeitszeit mit Materialien und Lernmaterialien zu unterstützen, kann über Lernplattformen und digitale Medien insgesamt sehr gut vorstrukturiert und unterstützt werden.
Finanzierungsfragen - Kosten, Ersparnisse & Fördermöglichkeiten
Huber: Wie viel Geld investieren FHs in E-Learning und E-Teaching? Wie lassen sich durch elektronisches Lernen Kosten sparen?
Patricia Arnold: Die Investitionen, glaube ich, sind an jeder Hochschule ganz unterschiedlich und oft schwer vernünftig zu erfassen, weil ganz viel vom Engagement einzelner Pionierlehrender abhängt. Das zum Einen. Zum Anderen: Einsparpotenzial. Ich denke, ganz langfristig sehe ich ein Einsparpotenzial, wenn wir die Vision vom Digitalen Campus - der Lehre, Administration und Forschung - in einer einheitlichen IT-Lösung unterstützt realisiert haben. Aber davon, das muss ich sagen, sind wir in meiner eigenen Praxis und an vielen Hochschulen, die ich kenne, noch ein ganzes Stück weit entfernt. Es dominieren sehr viele Einzellösungen und solange das so ist, ist das Einsparpotenzial, wenn man die Qualität der Lehre erhalten oder sogar verbessern will, gering. Man muss eher darauf achten, dass es nicht mit ganz viel Mehrarbeit für die Lehrenden einhergeht.
Bellmann: Was meinen Sie dazu: Förderprogramme und neue technische Entwicklungen sind sekundär. Es kommt auf die Menschen an, die E-Learning betreiben - oder eben auch nicht?
Patricia Arnold: Also dem zweiten Teil der Aussage stimme ich natürlich zu. Akteure beim E-Learning sind von zentraler Bedeutung. Ohne diejenigen, die E-Learning einsetzen, als Lehrende, oder die E-Learning nutzen als Studierende, lebt die Sache nicht und wird sich keine andere Lehr- und Lernkultur etablieren. Aber das heißt für mich nicht, dass Förderprogramme oder BMBF-Projekte nicht einen wichtigen Beitrag leisten. Genau diese Programme und Projekte haben oft die Anschubfinanzierung gestellt, ohne die bestimmte E-Learning-Formen nie entwickelt worden wären. Als ein Beispiel: Ein großes BMBF-Projekt, das Projekt „Virtuelle Fachhochschule“, aber auch in meinem jetzigen Bereich der Studienverbund BASA-Online, der hochschulübergreifend einen Online-Studiengang für Berufstätige an Fachhochschulen in der Sozialen Arbeit ermöglicht, sind aus Förderprogrammen und Projekten hervorgegangen und hätten ohne diese nicht entwickelt werden können.
Moderator: Die nächsten zwei Fragen zu Fördermöglichkeiten:
Caltech: Welche Förderprogramme unterstützen Fachhochschulen bei der Einführung von E-Learning?
Reintges: Welche konkreten (finanziellen) Fördermöglichkeiten gibt es? Wo kann man sich erkundigen?
Patricia Arnold: Es gibt auch da wieder verschiedene Fördermöglichkeiten. In der zweiten Förderwelle auf der Bundesebene standen ja Strategieprojekte im Vordergrund, die in Hochschulverbünden zu bearbeiten waren. Hier können eben Fachhochschulen genauso Projektpartner sein. Andere Möglichkeiten: Bei mir in Bayern zum Beispiel kann die Entwicklung von Online-Modulen durch den Hochschulverbund „ Virtuelle Hochschule Bayern “ gefördert werden. Ähnliche Initiativen gibt es auch in anderen Bundesländern.
fh: Wie intensiv werden die Lehrenden für die Anwendung von E-Teaching Software geschult und was für Kosten entstehen dadurch?
Patricia Arnold: Auch das ist natürlich an Hochschulen unterschiedlich. Es gibt im unterschiedlichen Maße Supporteinheiten. Die Kosten lassen sich schwer beziffern. Auch in einer Untersuchung, die wir gerade in Nordrhein-Westfalen gemacht haben, wurde deutlich, dass Schulungsmaßnahmen oft eben auch informell erfolgen, durch kollegialen Austausch und eben immer wieder durch Engagement von einzelnen Protagonisten im E-Learning. Wenn man hier auf Kostenersparnis hinaus möchte, dann muss man sicherlich diese Support- und Qualifizierungsmaßnahmen stärker bündeln und zentral vorhalten.
E-Learning aus Professorenperspektive und Studentensicht
f.dirks: Wie stehen die Lehrenden an FHs E-Learning gegenüber? Sehen sie es als zusätzlichen Aufwand oder als Erleichterung?
Patricia Arnold: Also ich würde sagen, in der ersten Reaktion: ganz klar als zusätzlichen Aufwand. Das liegt daran, dass es eben oft noch keinen großen Support gibt, keine etablierten Strukturen zur Erstellung von digitalen Medien. Wenn Lehrende dann aber den Schritt gemacht haben - das ist die Erfahrung an meiner Hochschule - dass sie die Präsenzlehre effektiveren können, weil man eben besser vorbereite Studierende hat und sich Kenntnisse stärker angeglichen haben, dann steigt oft die Bereitschaft sprunghaft an. Bei uns an der FH in München war es zunächst ein kleiner Kreis, der die Lernplattform genutzt hat. Über Gespräche zwischen den Kollegen, aber auch weil die Studierenden es zum Teil selbst einfordern, sind immer mehr Kolleginnen und Kollegen mit im Boot und nutzen die Lernplattform. Die Arbeitsentlastung kommt eben erst dann, wenn man Dinge auch mehrfach digital unterstützt.
else: Erhalten Sie Deputatsreduktion für den Einsatz von E-Learning? Welche anderen Anreizsysteme gibt es?
Patricia Arnold: Deputatsermäßigung wäre natürlich ein sehr gutes Anreizsystem. Für die Administration und die Qualifizierung der Kolleginnen und Kollegen an meiner Fakultät erhalte ich eine geringe Deputatsermäßigung, die natürlich in keiner Weise das abdeckt, was dort wirklich an Arbeit investiert wird. Neben der Deputatsermäßigung, denke ich, ist ein Anreizsystem eben die langfristige Arbeitsentlastung. Die entsteht eben durch Mehrfachnutzung von Materialien und Verknüpfung von Verwaltungsprozessen und Lehr- und Forschungsprojekten digital unterstützt. Das ist zumindest meine Vision. Aber diese Integration lässt, wie vorhin schon gesagt, noch etwas auf sich warten.
Meister: In welchem Forum tauschen sich den FH-Dozenten über ihre Erfahrungen im Bereich E-Learning aus?
Patricia Arnold: Ich denke einmal, an den einzelnen Hochschulen muss man Austauschmöglichkeiten schaffen. Wir haben auf unserer Lernplattform ein Austauschforum geschaffen. Aber andererseits finde ich selber auch sehr wichtig, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen und mache von daher auch immer Werbung für e-teaching.org, über den Zusammenhang wir hier ja zusammen gekommen sind, weil hier ja eine Online-Community existiert, von an E-Learning-Interessierten, wo vielfältig Erfahrung von Interessierten hochschulübergreifend ausgetauscht werden können.
Moderator: Zwei Fragen zur Akzeptanz bei den Studierenden:
tara: Was geben die Studierenden für Feedback auf elektronisches Lernen? Kommt es gut an?
Meister: Mal was anderes: wie akzeptieren FH-Studenten E-Learning?
Patricia Arnold: Also in der Regel ist die Akzeptanz von Studierenden meiner Erfahrung nach höher als die der Lehrenden. Aber es hängt natürlich davon ab, wie gut die verschiedenen E-Learning-Formen mit der Präsenzlehre verknüpft sind. Die erste Ebene, einfach nur die Bereitstellung von Materialien, ist mittlerweile ein Standard, den viele Studierende einfordern. Virtuelle Kooperationen und Arbeitsgruppen müssen natürlich besser und sehr durchdacht in ein Gesamtlehrveranstaltungskonzept integriert werden und werden nur dann gut akzeptiert, wenn das Konzept stimmig ist.
Praxistipps - Blended Learning, Social Software & Web 2.0
TJeschke: Vermutlich praktizieren Sie kein reines E-Learning - Wie kann Ihrer Meinung nach ein Blended-Konzept an einer FH aussehen? Wie sind Sie vorgegangen?
Moderator: Dazu gleich eine Nachfrage von mir: Was versteht man unter Blended Learning?
Patricia Arnold: Blended Learning verstehe ich einmal so, dass man eine Kombination hat aus Online-Lernphasen, die selbst gesteuert sind, und Präsenzphasen. Wenn ich bislang hier von E-Learning gesprochen habe, dann habe ich E-Learning immer im Sinne von Blended-Learning gemeint, also in der Kombination von beiden Elementen, weil an Fachhochschulen ja die Präsenzlehre in überschaubaren Lerngruppen einen hohen Stellenwert hat.
Zur ersten Frage: Blended-Learning kann eben die Präsenzlehre ergänzen und unterstützen. Ein Beispiel aus meiner Lehre: In einer Einführung ins wissenschaftliche Arbeiten unterstütze ich die Veranstaltung kontinuierlich durch Lernaufgaben von Woche zu Woche auf der Lernplattform. Die Studierenden bereiten sich so in Kleingruppen auf die wöchentliche Lehrveranstaltung vor und wir nutzen die gemeinsame Präsenzzeit, sozusagen: Wir steigen auf einem höheren Niveau ein und klären nur die noch offenen Fragen und diskutieren die unterschiedlichen Aspekte des Themas. Die Grundlagen haben sich die Studierenden in den Lernaufgaben über Material, Hinweise und Online-Diskussionen bereits erarbeitet. Das ist dann auch genau der studentische „Workload“, den wir als Hochschule ja auch nachweisen müssen. Und zu meinem eigenen Vorgehen vielleicht noch eine Ergänzung: In einer Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften, in der wir Bachelor-Studierende für Soziale Arbeit haben, ist es ganz wichtig, an der Präsenzlehre anzusetzen und E-Learning eben als Ergänzung und Vertiefung, mit den Stärken die die digitalen Medien eben haben, zu nutzen.
dunja: Ihr Forschungsschwerpunkt sind ja Online-Communities. Ist Web 2.0 aus Ihrer Sicht nichts Neues oder ändert sich tatsächlich die Netzkultur und damit auch ein Kontextfaktor für die Lehrbedingungen an Hochschulen?
Patricia Arnold: Web 2.0, denke ich, ist durchaus etwas Neues. Es ändert sich zwar nicht automatisch eine Netzkultur und insbesondere keine Lehr- und Lernkultur. Aber der Gedanke der Partizipation, der mit Web 2.0 verbunden ist, wird durch die neuen Web2.0-Werkzeuge sehr stark gestärkt und hält auch Einzug in die Lehre. Als Beispiel: Ich arbeite bei vielen meiner Lehrveranstaltungen mit begleitenden Wikis, die dann auch verschiedene Studierendengenerationen weiter pflegen und bestücken. Das würde ich zwar nicht als Online-Community bezeichnen, aber es ist ein erster Kern von einer längerfristigen Vernetzung von Studierenden und Lehrenden über eine Lehrveranstaltung hinaus.
Moderator: Der Begriff Web 2.0 bedarf Klarstellung:
knittermann: Was ist denn Web 2.0?
Patricia Arnold: Web 2.0 ist ein weiteres Schlagwort und umfasst eine ganze Anzahl neuer Werkzeuge im Internet, wie zum Beispiel Wikis, Webblogs, Social Bookmarking, et cetera. Deren Kennzeichen ist, dass sie einerseits kostenlos zur Verfügung stehen, dass sie intuitiv zu bedienen sind und von den Nutzern selbst weiterentwickelt werden. Ein Stichwort ist „User Generated Content“, deutsch nutzergenerierte Inhalte. Um den Gegensatz deutlich zu machen:
Man hat lange im E-Learning an Hochschulen ausschließlich Lernplattformen oder Learning- Management-Systeme gehabt, welches geschlossene Systeme sind. Nutzer müssen sich registrieren und nur eine festgelegte Gruppe kann die Plattform nutzen. Web 2.0-Werkzeuge hingegen sind offen. Im Standard können alle Interessierten Beiträge leisten und das bietet sich eben auch in Kooperationsprojekten an, wie in dem vorher zitierten Beispiel mit der Schule. Das Wiki, das dort entsteht, kann eben auch von Lehrerinnen und Lehrern an der Schule genutzt werden. Mit einem Learning-Management-System wäre es sehr kompliziert,
Außenstehende aus einer Schule zuzulassen.
kriz: Sind Ihre Wikis frei zugänglich? Manche Dozenten haben ja Angst, dass sie mit Materialien, die offen im Netz stehen, Plagiaten Vorschub leisten.
Patricia Arnold: Also meine Wikis sind frei zugänglich. Zunächst: Ich würde sie dann schließen, wenn ich größere Spamprobleme bekomme, was aber netterweise noch nicht der Fall war. Das Plagiatproblem sehe ich anders. Das wird nicht verstärkt aus meiner Sicht durch frei verfügbare Materialien auf Wikis, sondern da muss man an anderer Stelle mehr Sensibilität für die Plagiatproblematik schaffen. Frei zugängliche Materialien entsprechen aus meiner Sicht auch dem Gedanken, der ja immer mehr Gewicht gewinnt, von Open Access und Open Educational Ressources, also dem Prinzip, Wissensressourcen frei zugänglich zu halten und auch Bildungsressourcen frei zugänglich zu machen.
dunja: Wie alt sind Ihre Lehrwikis? Haben Sie es schon erlebt, dass ein Wiki nach mehreren Jahrgängen „abgeschlossen“ ist, also die Weiterentwicklung nicht mehr als Arbeitsauftrag lohnt?
Patricia Arnold: Da müsste ich nachfragen: Was bedeutet in diesem Fall „abgeschlossen“?
Natürlich wechseln Themenschwerpunkte und Zuschnitte der Veranstaltungen, so dass ich mir durchaus vorstellen kann, Wikis für einen begrenzten Zeitraum aufzubauen und nach zwei drei Jahren andere Akzente zu setzen. Da ich seit anderthalb Jahren selbst erst an der Hochschule bin, sind meine Wikis noch nicht älter als anderthalb Jahre. Und sie laufen alle noch.
bernd: Welche Erfahrungen haben Sie mit E-Learning in virtuellen Welten , beispielsweise Second Life ?
Patricia Arnold: Also, ich selber habe das noch nicht eingesetzt. Vor allen Dingen weil ich an vielen Stellen den Eindruck habe, dass die Studierenden im Schnitt bei uns nicht die richtige Hardwareausstattung haben. Ich weiß aber von Beispielen, und ich denke da ist durchaus Potenzial drin, weil man eben in einen so realen virtuellen Kontext eintauchen kann.
frager: Wer ist denn der innovative Treiber im Feld E-Learning und Web 2.0? Wirtschaft oder Wissenschaften?
Patricia Arnold: Die innovativen Treiber sind aus meiner Sicht die Akteure. Die können natürlich im Wirtschaftsunternehmen sein, das können aber auch genauso Forscher in Projekten sein oder eben Hochschullehrende, die daran interessiert sind, zeitgemäße Lernformen zu machen und sich zumindest langfristig auch zu entlasten. Also den Unterschied Wirtschaft oder Wissenschaften - da muss ich rückfragen - diese Polarisierung sehe ich da nicht.
kanalrat: Machen Sie sich eigentlich auch Gedanken über neuartige Archivierungsstrategien? Man muss ja nicht das Rad immer neu erfinden?
Patricia Arnold: Also das Rad nicht immer neu erfinden ist sehr stark auf meiner Linie. Ich denke, alle Hochschullehrende können stark davon profitieren, dass auch zu nutzen, was schon vorhanden ist und eher weiterzuentwickeln. Neuartige Archivierungsstrategien, da müsste ich überlegen. Vielleicht ist damit gemeint, auch stärker darüber nachzudenken und innovative Modelle zu entwickeln, wie man vorhandene digitale Medien für die Lehre und passende didaktische Konzepte für E-Learning schneller und einfacher für die Nutzung von anderen zur Verfügung stellen kann, also hier gute Austauschmodelle zu finden. Darin sehe ich eine Herausforderung. Und das beinhaltet natürlich auch, bereits entwickelte Online-Materialien und Konzepte gut zu archivieren.
kanalrat: Ich meine damit vor allem, wie man Ergebnisse so aufbereitet, dass man sie wirklich wieder findet. Denn man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht.
Patricia Arnold: Ja, das Wiederfinden muss man organisieren und das klingt einfacher als es ist. Zum einen arbeitet man mit Metadaten und zum anderen wird ja im Zusammenhang mit Web 2.0 auch mit nutzererzeugten Metadaten experimentiert. Da käme ein neues Schlagwort dazu: die Folksonomy, die sozusagen eine Taxonomie einer breiten Nutzergruppe darstellen.
E-Learning-Infrastruktur – gibt es ein “All-Inclusive-Paket“?
Roger: Wie kann FHs der schnelle Einstieg ins E-Learning gelingen? Gibt es so was wie ein All-Inclusive-Paket?
Patricia Arnold: Das wäre schön. Das wünschten wir uns auch manchmal. Ein All-Inclusive-Paket rund-um-sorglos wäre wie gesagt nett, aber gibt es leider nicht. Aus meiner Sicht ist es wichtig, mit kleinen Schritten zu beginnen, sich bei einer Lernplattform daran zu orientieren, wo vielleicht einzelne Akteure schon Erfahrung haben und auf eine gute Benutzerfreundlichkeit zu achten und zu versuchen, auch schon im kleinen Lehre und administrative Prozesse gemeinsam zu unterstützen. Als Beispiel: Wir arbeiten an der Fakultät mit der Lernplattform Moodle und versuchen auch studienorganisatorische Fragen im Bereich des Studiendekanats über diese Lernplattform abzuwickeln und so schon eine kleine Integration zwischen administrativen Prozessen und Lehre hinzubekommen.
frager: Welche Systeme setzen sich denn eigentlich durch? Da konkurriert ja vieles mit vielem?
Patricia Arnold: In der Tat. Und das ist auch das, was die All-Inclusive-Lösung leider verhindert. Die Vielfalt der Lernplattformen einerseits, die jetzt noch mit den frei verfügbaren Web 2.0-Werkzeugen konkurriert, bindet viel Energie an den Hochschulen, weil viele Systeme parallel eingesetzt und unterstützt werden müssen. Pauschale Lösungen für alle gibt es aus meiner Sicht nicht. Open-Source-Lösungen, wie zum Beispiel Moodle, sind sicherlich eine Plattform, die stark verbreitet ist. Im Fachhochschulbereich insgesamt ist neben Moodle noch ILIAS und Stud.IP stark favorisiert. Aber es gibt an fast jeder Fachhochschule, die ich kenne, mindestens zwei Systeme im Einsatz.
else: Der Wunsch nach einheitlichen All-Inclusive-Lösungen überrascht mich etwas: Gehört für E-Learning-Aktivistinnen denn nicht auch der Spaß an der Technik und damit ein Interesse für neue Produkte dazu?
Patricia Arnold: Also ich glaube, wenn wir jetzt konkret von Hochschullehrenden an einer Fachhochschule sprechen, dann ist das Potenzial für Experimentierfreude mit einzelnen technischen Produkten schnell aufgebraucht. Meine Kolleginnen und Kollegen, und auch ich, möchten lieber mit passenden didaktischen Konzepten experimentieren und solche weiterentwickeln, als sich wieder einmal bei einem neuen Werkzeug mit der nächsten Registrierungsroutine herumzuärgern. Da muss man sehen, dass Entlastung für die Lehrenden ein wichtiges Motiv ist, so dass man nicht mit ganz vielen verschiedenen technischen Plattformen zweckfrei experimentiert. Dazu ist die Arbeitslast insgesamt angesichts der vielen Umbrüche an Hochschulen einfach zu hoch.
BASA-online – Referenzbeispiel für lebenslanges Lernen & Qualitätsmanagement
lifelonglearning: Welche E-Learning-Angebote zur Nachqualifizierung bereits Berufstätiger gibt es?
Patricia Arnold: Der Studiengang BASA-Online als Beispiel im Feld „Soziale Arbeit“ wäre ein solches E-Learning-Angebot. Er bietet eine wissenschaftliche Grundqualifizierung mit einem Bachelor-Abschluss für Berufstätige im Bereich der „Sozialen Arbeit“ an, also zum Beispiel Erzieherinnen/Erzieher und andere die in dem Feld bereits tätig sind, aber keine akademische Ausbildung haben. Weil das Studium zu 75 Prozent internetbasiert abläuft und nur zu 25 Prozent in Präsenzwochenenden, lässt es sich eben berufsbegleitend absolvieren. Ein Beispiel unter vielen. Der Bereich „Virtuelle Fachhochschule“ bietet in den Technischen Bereichen - konkret in den Bereichen Wirtschaft, Informatik und Technik - auch Berufstätigen grundständige Onlinestudiengänge nach dem gleichen Modell an. Und das ist schon eine gute Qualifizierungsmöglichkeit, die ohne den Einsatz von E-Learning nicht möglich wäre.
mk: Hallo Frau Arnold, wie sehen ihre Strategien für Qualitätsmanagement und Evaluation von E-Learning aus?
Patricia Arnold: Qualität ist natürlich immer wichtig. Das heißt, beim Aufbau von neuen Studiengängen, wie beispielsweise dem genannten BASA-Online-Studiengang, finde ich es immer wichtig, dass es formative Evaluation gibt. Auch für den Einsatz bei uns im Regelstudienbetrieb wird der Einsatz der E-Learning-Formen im Rahmen der Lehrevaluation mitbetrachtet. Wir arbeiten im Moment daran, spezifischere Evaluationen zu E-Learning an unserer Hochschule zu etablieren, aber da spielen natürlich die schon angesprochene Ressourcenfrage und die vielen Wandlungen, die wir wegen Bologna gerade haben, eine Rolle.
Erste Schritte - Guter Rat ist nicht teuer!
Tomas: Für ganz unerfahrene...wo ist es denn am „sichersten“, mit kleinen Schritten zu beginnen?
Patricia Arnold: Eine Möglichkeit, die oft als erster kleiner Schritt genutzt wird, ist auf einer Webseite oder auf einer Lernplattform erste Materialien zur Verfügung zu stellen. Ich würde aber versuchen, immer gleich einen Schritt weiter zu gehen und nicht nur Materialien dort zur Verfügung zu stellen, sondern das ganze mit Aufgaben zu verbinden: mit Rechercheaufgaben, Lernaufgaben, die aus dem zukünftigen Berufsfeld entnommen sind, und wo Ergebnisse entweder auf einer Lernplattform oder in wenigen Schritten auf einem frei verfügbaren Wiki eingestellt werden können, eben auch von Studierenden die dann auch ihre Arbeitsergebnisse gewürdigt sehen.
jesemann: Was raten Sie Ihren Fachhochschulkollegen in Sachen E-Learning? Sollten Sie mehr Experimentierfreude beweisen?
Patricia Arnold: Ich rate ihnen eben, den ersten Schritt zu machen und die Werkzeuge, die wir an der Hochschule zur Verfügung haben, mal zu nutzen und zu sehen, dass die Studierenden diese ersten Schritte oft stark würdigen. Außerdem rate ich ihnen, sich zu vernetzen, also auch mal die anderen Kollegen zu befragen und nicht jeden Schritt und jedes Konzept und jedes Werkzeug neu zu erfinden, sondern auch mal etwas von Kollegen zu übernehmen oder in Teamarbeit zu entwickeln.
Moderator: Das waren gute 75 Minuten e-Teaching.org Expertenchat. Vielen Dank an alle Nutzer für die Fragen und natürlich an Frau Arnold für die Antworten. Leider konnten aufgrund der Kürze der Zeit nicht alle Fragen gestellt werden, dafür bitte ich um Verständnis. Das Schlusswort für heute hat unser Gast, bitte, Frau Arnold:
Patricia Arnold: Vielen Dank erstmal für die Einladung. Ich kann eigentlich an alle Beteiligten nur appellieren: Erste Schritte zu machen und vor allen Dingen E-Learning-Formen an Hochschulen gemeinsam weiter zu entwickeln - gemeinsam innerhalb des Kollegiums, aber auch gemeinsam mit Studierenden, weil Partizipation, glaube ich, wirklich das entscheidende Stichwort ist.
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Letzte Änderung: 08.04.2015