Birgit Hennecke im Chat-Interview: Wieviel E-Learning braucht Bologna?

Am 27.10.06 beantwortete die HRK-Referentin Birgit Hennecke im e-teaching.org Chat Fragen zum Bolognaprozess. Birgit Hennecke ist in der Service-Stelle Bologna mit der Beratung von Hochschulen und der Evaluation der HRK-Projekte zur Bologna-Umsetzung befasst. Einen Schwerpunkt des Chat-Interviews bildete die Rolle von E-Learning bei der Einführung der neuen Bachelor- und Master-Abschlüsse. Lesen Sie im redigierten Transkript die Fragen der e-teaching.org Nutzer und die Antworten der E-Bologna Expertin.



Basiswissen Bologna


Moderator: Liebe Nutzerinnen und Nutzer von e-teaching.org, willkommen zum e-teaching.org Live-Chat. Zu Gast ist Birgit Hennecke, Expertin für die Einführung von Bachelor und Master-Studiengängen in Deutschland. Einen schönen guten Tag Frau Hennecke und vielen Dank, dass Sie Zeit für uns haben. Können wir beginnen?

Birgit Hennecke:
 Ja, gerne und herzlichen Dank für die Einladung.

Moderator:
Können Sie uns erklären, was sich hinter dem Begriff des Bologna-Prozesses verbirgt?

Birgit Hennecke:
 Der Bologna-Prozess zielt ab auf die Harmonisierung des europäischen Hochschulraumes, d.h. die Mobilität von Studierenden und Lehrenden soll verbessert werden, die Studiengänge und -abschlüsse an europäischen Hochschulen sollen vergleichbarer werden. Die Vision ist, dass Studierende problemlos innerhalb ihres Studiums von Oslo bis nach Barcelona und von London bis nach Bukarest ihren Studienplatz wechseln können und die Studienleistungen überall gleichermaßen anerkannt werden.

Z_P1a/8Xy:
 Seit wann gibt es die Initiative?

Birgit Hennecke:
 Seit 1999. Im Juni 1999 haben sich damals Bildungsministerinnen und -Minister aus noch 29 Ländern in Bologna zusammen gefunden und haben die gemeinsame Erklärung unterschrieben. Hier wurde auch schon die Zeitvorgabe der Umsetzung des Prozesses bis 2010 festgelegt. Heute sind es übrigens 46 Länder.

e-learnerin:  Wieso heißt der Prozess eigentlich 'Bologna'?

Birgit Hennecke: Weil er 1999 in der italienischen Stadt Bologna angestoßen wurde.
Politische Ziele

Z_P1a/8Xy:
 Welche politischen Absichten stehen hinter dem Vorhaben Bologna-Prozess?

Birgit Hennecke:
 Vorrangig die Internationalisierung der Hochschullandschaft, die Herstellung von Mobilität von Studierenden und Lehrenden, mehr Transparenz der Studiengänge und -abschlüsse.

europeunited:
 Ist der Bologna-Prozess ursprünglich für die Schaffung einer europäischen Harmonisierung gedacht gewesen oder spielt dieser Gedanke hier überhaupt eine Rolle?

Birgit Hennecke:  Ja, das ist das wesentlichste Element.

Aford:
Von welchen Ländern wird die Harmonisierung der Hochschullandschaft denn mitgetragen?

Birgit Hennecke:  Das sind wie gesagt 46 mehr oder weniger europäische Länder von Island bis Russland, von Norwegen bis Zypern.

Moderator: Wird es nach dem Jahr 2010 ein Nachfolgeprojekt geben?

Birgit Hennecke:
 Es wird sicherlich nötig sein, aber ich weiß es nicht. Ich hoffe es.

Helga Maria Schneide:
 Wie wird die Initiative Bologna denn von den Nichtteilnehmenden Ländern bewertet? Gibt es in anderen Ländern der Welt ähnliche Projekte?

Birgit Hennecke:  Ja, gibt es. In Lateinamerika wird der Bologna-Prozess sehr intensiv beobachtet und freundlich-kritisch begleitet. Auch asiatische Hochschulen stehen in einem intensiven Austauschprozess. Zudem sind viele ehemalige Sowjetrepubliken in intensivem Austausch zum Bologna-Prozess, u.a. auch mit der Internationalen Abteilung der Hochschulrektorenkonferenz.

Politische Verantwortung


Kurator:  Wer ist in der Politik verantwortlich für die Einhaltung der hochschulpolitischen Rahmenvorgaben in Bezug auf den Bologna-Prozess?

Birgit Hennecke:  Einige Rahmenvorgaben (Zugänge und Abschlüsse) sind beim Bundesministerium für Bildung und Forschung angesiedelt. Die wesentliche Gestaltung obliegt aber den Kultusministern der Länder.

korea:
 In Deutschland ist Bildung Ländersache - ist das ein Hindernis für den Bologna-Prozess? In anderen Ländern ist man da durch zentralistische Regierungen doch sicher schneller handlungsfähig, oder?

Birgit Hennecke:
Wir hoffen sehr auf die gute Zusammenarbeit der Kultusministerkonferenz nach der Föderalismusreform.


Umsetzung & erste Erfolge

anna:
 Wie sieht die Umsetzung von Bologna in der Realität aus? Wie kommen Hochschulen, Lehrende und Studierende damit zurecht?

Birgit Hennecke:
 Immer besser. Aber es gibt noch viele Herausforderungen. Viele Hochschulen müssen mehrere Aspekte der Reform gleichzeitig bewältigen. Zum Beispiel müssen die Prüfungsverwaltungen viel mehr Aufgaben übernehmen. Die Studierendenverwaltung verändert sich, die Curriculumsentwicklung verändert sich komplett. Und auch die Lehrenden sind mit neuen Aufgaben konfrontiert. Da all dies gleichzeitig passieren muss, ohne dass die Hochschulen zusätzliche Mittel oder Personal bekommen, bewegt sich manches langsamer, als es vielleicht 1999 gewünscht war.

Next one please:  Welche Fortschritte und Erfolge hat es denn bisher gegeben?

Birgit Hennecke:  Es sind bis zu diesem Wintersemester ca. 45 % aller deutschen Studiengänge in die Bachelor- und Masterform überführt worden und die Tendenz ist steigend. Alle deutschen Hochschulen haben einen Bologna-Koordinator/Koordinatorin, der sich vor Ort um die Herausforderungen des Bologna-Prozesses kümmert. Die Reform ist mittlerweile auf der operativen Ebene angekommen.

Heurist:
 Eines der Ziele des Bologna-Prozesses ist die internationale Mobilität auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen. Haben Sie hierzu Zahlen, inwieweit sich die Bereitschaft der Absolventen geändert hat?

Birgit Hennecke:  Es gibt noch relativ wenig statistische Angaben zu Bachelor-Absolventen und deren Verhalten in Bezug auf den ausländischen Arbeitsmarkt. Das wird sicher noch einige Jahre dauern. Ich gehe aber davon aus, dass sich durch eine stärkere internationale Ausrichtung des Studiengangs auch die Motivation von Studierenden, die vielleicht schon Auslandspraktika gemacht haben, erhöhen wird, auch im Ausland zu arbeiten.

Aufgaben & Angebote der HRK


Möhnke:
 Bologna ist ein bürokratisches Monster, das schwer vermittelbar ist. Was tut die Hochschulrektorenkonferenz, um die guten Ansätze des Prozesses öffentlichkeitswirksam zu promoten?

Birgit Hennecke:  Die Hochschulrektorenkonferenz hat extra zwei Projekte dafür angestoßen - die Servicestelle Bologna und das Kompetenzzentrum Bologna, um den Prozess aktiv zu unterstützen. Diese Projekte sind zuständig für die persönliche Beratung von Fragenden aus der Hochschule, für die Veranstaltungsorganisation zum Thema, für die Herausgabe von Publikationen und für die Vernetzung der verschiedenen Akteure im Bologna-Prozess. Das sind unter anderem die schon genannten Bologna-Koordinatoren. Im Kompetenzzentrum sind zudem 21 Beraterinnen und Berater koordiniert, die an 21 Hochschulstandorten nur für die Umsetzung des Bologna-Prozesses delegiert sind.

gido:
Wie sieht der typische Arbeitstag einer Bologna-Beraterin aus?

Birgit Hennecke:  Ich bin keine Bologna-Beraterin im Wortsinne. Der Begriff ist "belegt" mit den schon benannten 21 Delegierten an ausgewählten Modellhochschulen. Wenn Sie meinen Arbeitstag meinen, besteht er häufig in der Beantwortung von E-Mails, in der Entwicklung von Evaluationsverfahren, in der Vorbereitung von Vorträgen und in der Projektierung von Veranstaltungen.

Moderator:
 Eine Nachfrage vom Nutzer 'frager' auf die Frage von Möhnke:

frager:
 Das hört sich alles eher bürokratisch an, da hat Möhnke schon recht. Was ist der Output?

Birgit Hennecke:  Der Output sind geschultere Lehrende, wissendere Curriculumsentwickler, sensibilisierte Hochschulleitungen, viel mehr Berücksichtigung von didaktischen Fragen in der Curriculumsentwicklung wie z.B. die sogenannte Kompetenzorientierung, ein viel stärkeres Interesse an Qualitätsentwicklungsfragen an den Hochschulen und zum Teil das Angehen von lange anstehenden Problemen.

Boschlektor Mostar:
 Gibt es speziell zur Kompetenzorientierung interessante Publikationen?

Birgit Hennecke:
 Ja, es gibt einige. Hier verweise ich auf die Bibliothek der Hochschulrektorenkonferenz, die auch von Nicht-HRK-Mitgliedern benutzt werden kann. Man kann die Bibliothek anmailen oder anrufen, die Nummer finden sie unter http://www.hrk.de.

Bologna aus Sicht der Studierenden

anna:
 Wie können die Studierenden sich in den Bologna-Prozess einbringen?

Birgit Hennecke:  Das ist eine gute Frage. Über den Weg von studentischen Organisationen wie den fzs oder ESIB, die sehr aktiv den Prozess mitgestalten. Und vor Ort an den Hochschulen hören wir eigentlich immer wieder die Klage, dass bei dem Wunsch von Fachbereichen, ihre Studierenden bei der Curriculumsentwicklung zu beteiligen, sie häufig auf Desinteresse stoßen. Ansprechpartner wären hier z.B. die Studiendekane, die sich sicher über interessierte Studierende freuen.

e-learnerin:  Wie wird eigentlich den Personen mit Diplom Rechnung getragen? Gibt es hier eine Regelung, die besagt, dass das Diplom dem Master entspricht (im Ausland wird es nur als Bachelor anerkannt)?

Birgit Hennecke:  Ja, es gibt eine Regelung. In der ländergemeinsamen Strukturvorgaben der Kultusministerkonferenz gibt es eine klare Aussage zur Gleichwertigkeit der Abschlüsse. Hier wird allerdings unterschieden nach Diplomabschlüssen an Fachhochschulen und Universitäten: „Bachelor-Abschlüsse verleihen grundsätzlich dieselben Berechtigungen wie Diplomabschlüsse an Fachhochschulen. Masterabschlüsse verleihen dieselben Berechtigungen wie Diplom- und Magisterabschlüsse an Universitäten und gleichgestellten Hochschulen."

E-Learning und Bologna

Moderator:
 Kommen wir zum Thema E-Learning im Bologna-Prozess:

tmennig-FU-Berlin:
 Wie viel E-Learning braucht Ihrer Ansicht nach Bologna?

Birgit Hennecke:  Bologna kann E-Learning sehr gut gebrauchen, meiner Meinung nach. Das Problem ist nur, dass E-Learning nicht weit genug oben auf der Agenda von Bologna steht. Es gibt ja viele gemeinsame Berührungspunkte zwischen E-Learning und den Bologna-Notwendigkeiten.

e-learnerin:
 In welchem Zusammenhang stehen E-Learning und Bologna?

Birgit Hennecke:  Wie schon gesagt, gemeinsame Ziele sind die Förderung von Mobilität und Internationalisierung, die Selbststeuerung des Lernens, die Orientierung an den Kompetenzen, die die Studierenden erwerben können und das "automatische" Erwerben von zusätzlichen Kompetenzen von den Studierenden neben dem eigentlichen Fachwissen. Für beide gemeinsam gilt die Basis des Paradigmenwechsels "vom teaching zum learning".

Moderator:
 Zwei ähnliche Fragen:

StephanMosel:  Wo und wie sehen Sie die Rolle von E-Learning im Bologna-Prozess?

veronika:  Welche Bedeutung hat nun eigentlich tatsächlich E-Learning bei 'eBologna'?

Birgit Hennecke:  Ganz konkret bei der Unterstützung von Joint-Degrees oder Joint-Programs, d.h. gemeinsame Studiengänge an Hochschulen verschiedener Nationen, oder auch bei der Vermittlung von Schlüsselqualifikationen.

Innovationspotential (v)erkannt?

Müller:  Welche Formen des E-Learning werden an den Hochschulen, die den Bachelor eingeführt haben, praktiziert?

Birgit Hennecke:  Dazu gibt es noch keine generelle Erhebungen oder Untersuchungen. Ich weiß nur von der anderen Seite, dass es häufig Probleme gibt bei der Akkreditierung von E-Learning-Modulen. Diese Form des Lernens und Lehrens wird von den Akkreditierern häufig nur dem Fernstudium oder Weiterbildungsmastern zugeordnet. In grundständigen Bachelorn führen sie noch häufig zu Irritationen.

Moderator:
 Eine Nachfrage von e-learnerin:

e-learnerin:  Nachfrage: Ist irgendwo festgelegt, dass die neuen Studiengänge E-Learning Veranstaltungen enthalten müssen?

Birgit Hennecke:  Nein.

Moderator:  Hier noch ein Kommentar zum Thema E-Learning:

e-teacher:  Zur Frage der e-learnerin: Meine Erfahrungen gehen dahin, dass E-Learning bislang weder in den Hochschulleitungen noch bei den Lehrenden als wichtiges Element des Selbststudiums erkannt und begriffen wurde.


Katrin Windolf:  Inwieweit wird die Bedeutung und Rolle von E-Learning bei den Entscheidungsträgern erkannt und gefördert?

Birgit Hennecke:  Ich glaube, dass die Potentiale hier noch nicht ausgeschöpft sind.
Die Probleme von Bologna bewegen sich noch so sehr an den Wurzeln, dass über E-Learning bisher noch nicht viel diskutiert wurde.

Katrin Windolf:
Womit hat diese Verkennung des E-Learning-Potenzials denn Ihrer Meinung nach zu tun?

Birgit Hennecke:  Mit der Gleichzeitigkeit von unglaublich vielen Prozessen und Herausforderungen, die die Hochschulen förmlich überrollen. Sie müssen sich mit den Auswirkungen der Föderalismusreform beschäftigen, mit Globalhaushalten und Zielvereinbarungen. Gleichzeitig sollen sie die Systeme für die Auswahl von Studierenden entwickeln. Sie müssen sich mit der Verwaltung der Studiengebühren beschäftigen und gleichzeitig ihre gesamten Curricula verändern. Da ist E-Learning eben nur ein kleiner Bereich von sehr vielen.

Chancen für E-Learning

e-learnerin:  Mich interessiert, inwieweit Bologna Dozenten dazu motivieren kann, E-Learning in der Lehre einzusetzen, und ob es dazu Bestimmungen gibt im Bologna-Verfahren.

Birgit Hennecke:
 Soweit ich weiß gibt es keine Bestimmungen. Aber die Motivation kommt vielleicht durch den erhöhten Druck, der auf Lehrende durch viele zusätzliche Aufgaben zukommt, indem sie sich z.B. durch e-teaching Tools bei den studienbegleitenden Prüfungen Erleichterung verschaffen.

Birgit Hennecke:  Ein Beispiel wären digitale Lernertagebücher statt Abschlussprüfungen.

Bernhard Hiegl: 
Wie sehen Sie die Notwendigkeit und den Einsatzrahmen sogenannter E-Portfolios?

Birgit Hennecke:  E-Portfolios als von den Studierenden selbst gesteuerte Lerninstrumente finde ich ein ausgezeichnetes Instrument. Es gibt keine Vorgaben und Bestimmungen, da ist der gestalterische Spielraum der Lehrenden gefragt.

veronika:
Durch die Modularisierung kommen immer mehr Prüfungen auf die Lehrenden zu. Sind 'e-Prüfungen' nicht auch ein wichtiger Bestandteil? Was sagen Sie dazu?

Birgit Hennecke:  Sie wären sicherlich eine Entlastung. Darauf bin ich oben bereits zum Teil eingegangen. Die Möglichkeiten hier sind vielfältig. Hier könnten digital gestützte Tests geschrieben werden oder studienbegleitend kleine Prüfungen, z.B. durch Multiple Choice, vereinfacht werden. Wichtig ist hier die Bereitschaft der Lehrenden, die Prüfungen wirklich studienbegleitend (!) durchzuführen und nicht ausschließlich am Ende eines Moduls.

jokerle : Vom „teaching zum learning“ heißt mehr Eigenverantwortlichkeit der Lernenden. Wie ist das mit Verschulungstendenz bei Bologna vereinbar?

Birgit Hennecke:  Dies ist ein hervorragendes Instrument gegen die Verschulungstendenz. Dieser sogenannte Paradigmenwechsel setzt aber auch eine wirkliche Curriculumsveränderung voraus, eine Bereitschaft der Lehrenden, von der bisher normalen Input-Orientierung wegzugehen und sich stärker an dem zu orientieren, was als Kompetenzen bei den Lernern heraus kommen kann. Dies setzt auch voraus, dass Lehrende neue Lehrformen ausprobieren.

Unterstützung & Anreizsysteme

anna:  Werden die Lehrenden bei der Umsetzung von Bologna ausreichend unterstützt?

Birgit Hennecke:  Da gibt es verschiedene Aspekte. Viele Lehrende fühlen sich mit der zusätzlichen Arbeit, die auf sie zukommt, ziemlich allein gelassen. Aber es gibt auch Hochschulen, die sehr aktive Unterstützungsangebote für ihre Lehrenden institutionalisiert haben, sei es kurzfristig zusätzliches Personal in den Studierenden- und Prüfungsverwaltungen oder jene genannten Bologna-Beraterinnen und –Berater,
die den Lehrenden unter die Arme greifen. Die schon genannten Projekte der Hochschulrektorenkonferenz bieten ebenso ihre Unterstützung vor Ort an. Aber es bräuchte sicher weitaus mehr Fortbildungsangebote und strukturelle Maßnahmen und auch zusätzliches Geld.

jokerle:  Bologna ist Mehrarbeit, E-Learning ist Mehrarbeit. Gibt es ein Anreizsystem, sich da zu engagieren?

Birgit Hennecke:  Mehr Anreizsysteme wären sicherlich wünschenswert, in beiderlei Hinsicht. Vor allem für die Lehrenden. Dies ist vor allen Dingen Hochschulsache. Einige Hochschulleitungen fördern den Bologna-Prozess sehr stark an ihrer Hochschule und schaffen z.B. Anreizsysteme, indem sie die Akkreditierungsprozesse aus zentralen Mitteln bezahlen und dies nicht den Fachbereichen überlassen. Es gibt auch entsprechende pekuniäre oder ideelle Anreizsysteme an Hochschulen im Bereich E-Learning. Aber es ist der Autonomie der einzelnen Hochschule überlassen, diese beiden Bereiche mit noch mehr Anreizsystemen zu versehen.

Kooperationen und Weiterbildung

master:  Ist denn E-Learning nicht auch im Weiterbildungsbereich wirtschaftlich interessant für die Hochschulen? Gibt es Anreize, sich da zu engagieren (z.B. finanzielle Hilfen, wenn ein E-Learning-Programm aufgesetzt wird)?

Birgit Hennecke:  Ja, das ist auch der Bereich, in denen die Hochschulen E-Learning als neues Potenzial erkennen werden. Durch die Möglichkeit, auch Weiterbildungsmaster anbieten zu können, wachsen die Potentiale der wissenschaftlichen Weiterbildung enorm. Da die Zielgruppen hier fast immer berufstätig sind, ist e- oder Blended-Learning ein notwendiges Instrument. Mir sind zur Zeit keine Anreize bekannt. Aber ich bin sicher, dass sich hier Hochschulen einen lukrativen Markt erobern werden.

Moderator:  Es gibt noch eine Nachfrage nach den Kooperationen im Bereich E-Learning:

Boschlektor Mostar: Existieren Kooperationen auch mit Osteuropa und speziell mit Germanistik-Lehrstühlen?

Birgit Hennecke:  Für konkrete Nachfragen verweise ich auf die internationale Abteilung der Hochschulrektorenkonferenz, z.B. Herrn Smolarczyk oder Frau Assenmacher. Die können ganz konkrete Projekte in diesem Bereich benennen.

Ellen Fetzer:  Der Prozess führte ja teilweise zu einer Reduktion von Lehrinhalten. Wäre E-Learning eine Chance, europäische Kooperationen zu fördern, so dass auch selten gelehrte Inhalte eine Zukunftschance haben?

Moderator:  Gibt es gerade im Bereich E-Learning und Bologna internationale Best- Practice-Modelle?

Birgit Hennecke:  Ja. Mir fällt das Kompetenznetz Skandinavistik ein, das an den Universitäten Basel, Freiburg, Straßburg und Tübingen angesiedelt ist. Mit ihrem Blended-Learning-Konzept können sie die kleinen Skandinavistiklehrstühle an allen Hochschulen erhalten. Es gibt noch weitere Joint-Degree-Programme, die E-Learning benutzen. Z.B. ein Joint-Degree-Masterstudiengang an der Fachhochschule Frankfurt. Genaueres finden Sie auf der Internetseite http://www.fh-frankfurt.de/.

Bildungsmarketing und Bildungsmärkte


schröder:
Noch mal zu Forschungs- und Bildungsmarketing: Wer muss eigentlich für den Bildungsstandort werben: Der Bund, die Länder oder die Hochschulen selbst?

Birgit Hennecke: Durch die zunehmende Autonomie der Hochschulen ist dies primär Aufgabe der Hochschulen selbst. Diese stehen ja auch im Wettbewerb miteinander. Für die Präsentation der deutschen Hochschulen insgesamt sind auch die Länder und der Bund zuständig. Hier sind natürlich auch Wissenschaftsorganisationen wie die Hochschulrektorenkonferenz gefragt.

trier:
Die Engländer, Amerikaner, aber auch die Australier machen uns vor, wie man Ausländer an Hochschulen lockt. Dabei vermute ich, dass das oft nicht mit Qualität der Lehre, sondern mit selbstbewusstem Auftreten der Unis und Marketing zu tun hat. Machen die Hochschulen hier da alles richtig?

Birgit Hennecke:  Da würde ich ihre Vermutung teilen. Zumindest hängt sicherlich einiges auch von den Marketingstrategien ab. Aber z.B. durch das Gate-Projekt, das bei der Hochschulrektorenkonferenz und dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) angesiedelt ist, entwickeln die deutschen Hochschulen ja eine Marketingstrategie. Etwas mehr Bewusstsein für ihre Repräsentation nach außen täte den deutschen Hochschulen sicherlich ganz gut.

anna: Welches Potenzial steckt für die Hochschulen in Europa als Markt für den Export von 'Bildungsdienstleistungen'?

Geophys: E-Learning war Ihr Schwerpunktthema. Was mich interessieren würde: Welche Ausmaße hat das im Hochschulbereich inzwischen angenommen? Ich erinnere mich an Prognosen, dass der Bereich ein milliardenschwerer Markt (für die Anbieter) werden sollte. Ist dem so?

Birgit Hennecke:  E-Learning ist noch kein milliardenschwerer Markt geworden. Allerdings beschleunigt der Bologna-Prozess die Notwendigkeit der hochschulweiten digitalen Vernetzung an der Schnittstelle von Studierendenverwaltung und Lehre. Ich glaube, dass dies eine zukunftsträchtige Branche sein könnte. Natürlich kann Bologna auch den europaweiten Export von Bildungsdienstleistungen beschleunigen. Dies ist zur Zeit aber noch kein Spielfeld für die Haupt-Bologna-Akteure, soweit ich weiß.

Akzeptanz von E-Learning

Katrin Windolf:
 Wie hoch ist Ihrer Erfahrung nach die Akzeptanz dieses Lernmediums bei den Studenten?

Birgit Hennecke:  Die Akzeptanz der Studierenden hängt sehr stark von der Vermittlung der Lehrenden ab. Ist e-Teaching für die Lehrenden selbstverständlich, so akzeptieren dies auch die Studierenden.

Bernhard Hiegl:
 Welche konkreten Nachteile haben Hochschulen langfristig zu erwarten, die sich bewusst gegen E-Learning entscheiden, weil sie es zwar aus Gründen der Personalknappheit für nötig aber aus didaktischer Sicht für schlechter als klassische Lehrformen halten?

Birgit Hennecke:  Ich glaube, dass sie zurzeit keine Nachteile haben, dass sie perspektivisch aber gerade im Bereich der internationalen Kooperationen strukturell schlechter gestellt sind.

Moderator:
 Kommen wir zur letzten Frage für unseren heutigen e-teaching.org Live-Chat:

haerka:
Wo sind eigentlich die Grenzen von E-Learning? Man kann doch nicht alle Curricula damit abdecken?

Birgit Hennecke:
 Stimmt. Es geht sicherlich grundsätzlich um die Ergänzung von Curricula mit E-Learning-Modulen. Ich würde auch eher für Blended-Learning, also für eine Mischung von e-Learning und Präsenzlehre, plädieren. Das macht zumindest für die meisten deutschen Hochschulen mit einem hohen Anteil von Präsenzlehre mehr Sinn.

Moderator:
 Das waren 90 Minuten e-teaching.org Live-Chat. Unsere Zeit ist um. Vielen Dank für Ihr Interesse und Dank an Frau Hennecke für den Chat! Das Protokoll des Chats finden Sie in Kürze auf http://www.e-teaching.org. Unsere Bitte um Verständnis an jene, die wir heute mit ihrer Frage nicht berücksichtigen konnten. Unter der URL http://www.e-teaching.org/community können Sie weiter über dieses Thema diskutieren. Der nächste e-teaching.org Live-Chat findet am 20. November ab 10.00 Uhr statt. Dann stellt sich Wolfgang Coy, Professor für Informatik, Ihren Fragen zum Thema "Open Access und Open Content". e-teaching.org wünscht allen Beteiligten noch einen schönen Tag!

Birgit Hennecke:  Ich danke allen Beteiligten für ihre rege Teilnahme und für die interessanten Fragen. Mir hat es sehr viel Spaß gemacht und Sie haben mich ganz schön auf Trab gebracht. Falls Sie noch weitere Fragen haben, können Sie sich auch gerne unter meiner E-Mail-Adresse hennecke@hrk.de an mich wenden. Ich danke für die Einladung zum Chat und für die gute Moderation und wünsche noch einen schönen Tag.



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Letzte Änderung: 08.04.2015