Birgit Hennecke im Chat-Interview: Wieviel E-Learning braucht Bologna?
Am 27.10.06 beantwortete die HRK-Referentin Birgit Hennecke im e-teaching.org Chat Fragen zum Bolognaprozess. Birgit Hennecke ist in der Service-Stelle Bologna mit der Beratung von Hochschulen und der Evaluation der HRK-Projekte zur Bologna-Umsetzung befasst. Einen Schwerpunkt des Chat-Interviews bildete die Rolle von E-Learning bei der Einführung der neuen Bachelor- und Master-Abschlüsse. Lesen Sie im redigierten Transkript die Fragen der e-teaching.org Nutzer und die Antworten der E-Bologna Expertin.
- Basiswissen Bologna
- Politische Verantwortung
- Umsetzung & erste Erfolge
- Aufgaben & Angebote der HRK
- Bologna aus Sicht der Studierenden
- E-Learning und Bologna
- Innovationspotential (v)erkannt?
- Chancen für E-Learning
- Unterstützung & Anreizsysteme
- Kooperationen und Weiterbildung
- Bildungsmarketing und Bildungsmärkte
- Akzeptanz von E-Learning
Basiswissen
Bologna
Moderator:
Liebe Nutzerinnen und Nutzer von e-teaching.org,
willkommen zum e-teaching.org Live-Chat. Zu Gast ist Birgit Hennecke,
Expertin für die Einführung von Bachelor und Master-Studiengängen in
Deutschland. Einen schönen guten Tag Frau Hennecke und vielen Dank, dass Sie
Zeit für uns haben. Können wir beginnen?
Birgit Hennecke:
Ja, gerne und herzlichen Dank für die
Einladung.
Moderator:
Können Sie uns erklären, was sich hinter dem Begriff des
Bologna-Prozesses verbirgt?
Birgit Hennecke:
Der Bologna-Prozess zielt ab auf die
Harmonisierung des europäischen Hochschulraumes, d.h. die Mobilität von
Studierenden und Lehrenden soll verbessert werden, die Studiengänge und
-abschlüsse an europäischen Hochschulen sollen vergleichbarer werden. Die
Vision ist, dass Studierende problemlos innerhalb ihres Studiums von Oslo
bis nach Barcelona und von London bis nach Bukarest ihren Studienplatz
wechseln können und die Studienleistungen überall gleichermaßen anerkannt
werden.
Z_P1a/8Xy:
Seit wann gibt es die Initiative?
Birgit Hennecke:
Seit 1999. Im Juni 1999 haben sich damals
Bildungsministerinnen und -Minister aus noch 29 Ländern in Bologna zusammen
gefunden und haben die gemeinsame Erklärung unterschrieben. Hier wurde auch
schon die Zeitvorgabe der Umsetzung des Prozesses bis 2010 festgelegt. Heute
sind es übrigens 46 Länder.
e-learnerin:
Wieso heißt der Prozess eigentlich
'Bologna'?
Birgit Hennecke:
Weil er 1999 in der italienischen Stadt Bologna
angestoßen wurde.
Politische Ziele
Z_P1a/8Xy:
Welche politischen Absichten stehen hinter dem Vorhaben
Bologna-Prozess?
Birgit Hennecke:
Vorrangig die Internationalisierung der
Hochschullandschaft, die Herstellung von Mobilität von Studierenden und
Lehrenden, mehr Transparenz der Studiengänge und -abschlüsse.
europeunited:
Ist der Bologna-Prozess ursprünglich für die
Schaffung einer europäischen Harmonisierung gedacht gewesen oder spielt
dieser Gedanke hier überhaupt eine Rolle?
Birgit Hennecke:
Ja, das ist das wesentlichste Element.
Aford:
Von welchen Ländern wird die Harmonisierung der
Hochschullandschaft denn mitgetragen?
Birgit Hennecke:
Das sind wie gesagt 46 mehr oder weniger
europäische Länder von Island bis Russland, von Norwegen bis Zypern.
Moderator:
Wird es nach dem Jahr 2010 ein Nachfolgeprojekt
geben?
Birgit Hennecke:
Es wird sicherlich nötig sein, aber ich weiß es
nicht. Ich hoffe es.
Helga Maria Schneide:
Wie wird die Initiative Bologna denn von den
Nichtteilnehmenden Ländern bewertet? Gibt es in anderen Ländern der Welt
ähnliche Projekte?
Birgit Hennecke:
Ja, gibt es. In Lateinamerika wird der
Bologna-Prozess sehr intensiv beobachtet und freundlich-kritisch begleitet.
Auch asiatische Hochschulen stehen in einem intensiven Austauschprozess.
Zudem sind viele ehemalige Sowjetrepubliken in intensivem Austausch zum
Bologna-Prozess, u.a. auch mit der Internationalen Abteilung der
Hochschulrektorenkonferenz.
Politische Verantwortung
Kurator:
Wer ist in der Politik verantwortlich für die
Einhaltung der hochschulpolitischen Rahmenvorgaben in Bezug auf den
Bologna-Prozess?
Birgit Hennecke:
Einige Rahmenvorgaben (Zugänge und
Abschlüsse) sind beim Bundesministerium für Bildung und Forschung
angesiedelt. Die wesentliche Gestaltung obliegt aber den Kultusministern der
Länder.
korea:
In Deutschland ist Bildung Ländersache - ist das ein
Hindernis für den Bologna-Prozess? In anderen Ländern ist man da durch
zentralistische Regierungen doch sicher schneller handlungsfähig,
oder?
Birgit Hennecke:
Wir hoffen sehr auf die gute Zusammenarbeit der
Kultusministerkonferenz nach der Föderalismusreform.
Umsetzung & erste Erfolge
anna:
Wie sieht die Umsetzung von Bologna in der Realität aus? Wie
kommen Hochschulen, Lehrende und Studierende damit zurecht?
Birgit Hennecke:
Immer besser. Aber es gibt noch viele
Herausforderungen. Viele Hochschulen müssen mehrere Aspekte der Reform
gleichzeitig bewältigen. Zum Beispiel müssen die Prüfungsverwaltungen viel
mehr Aufgaben übernehmen. Die Studierendenverwaltung verändert sich, die
Curriculumsentwicklung verändert sich komplett. Und auch die Lehrenden sind
mit neuen Aufgaben konfrontiert. Da all dies gleichzeitig passieren muss,
ohne dass die Hochschulen zusätzliche Mittel oder Personal bekommen, bewegt
sich manches langsamer, als es vielleicht 1999 gewünscht war.
Next one please:
Welche Fortschritte und Erfolge hat es denn
bisher gegeben?
Birgit Hennecke:
Es sind bis zu diesem Wintersemester ca. 45 %
aller deutschen Studiengänge in die Bachelor- und Masterform überführt
worden und die Tendenz ist steigend. Alle deutschen Hochschulen haben einen
Bologna-Koordinator/Koordinatorin, der sich vor Ort um die Herausforderungen
des Bologna-Prozesses kümmert. Die Reform ist mittlerweile auf der
operativen Ebene angekommen.
Heurist:
Eines der Ziele des Bologna-Prozesses ist die
internationale Mobilität auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen. Haben Sie hierzu
Zahlen, inwieweit sich die Bereitschaft der Absolventen geändert hat?
Birgit Hennecke:
Es gibt noch relativ wenig statistische
Angaben zu Bachelor-Absolventen und deren Verhalten in Bezug auf den
ausländischen Arbeitsmarkt. Das wird sicher noch einige Jahre dauern. Ich
gehe aber davon aus, dass sich durch eine stärkere internationale
Ausrichtung des Studiengangs auch die Motivation von Studierenden, die
vielleicht schon Auslandspraktika gemacht haben, erhöhen wird, auch im
Ausland zu arbeiten.
Aufgaben & Angebote der HRK
Möhnke:
Bologna ist ein bürokratisches Monster, das schwer
vermittelbar ist. Was tut die Hochschulrektorenkonferenz, um die guten
Ansätze des Prozesses öffentlichkeitswirksam zu promoten?
Birgit Hennecke:
Die Hochschulrektorenkonferenz hat extra zwei
Projekte dafür angestoßen - die Servicestelle Bologna und das
Kompetenzzentrum Bologna, um den Prozess aktiv zu unterstützen. Diese
Projekte sind zuständig für die persönliche Beratung von Fragenden aus der
Hochschule, für die Veranstaltungsorganisation zum Thema, für die Herausgabe
von Publikationen und für die Vernetzung der verschiedenen Akteure im
Bologna-Prozess. Das sind unter anderem die schon genannten
Bologna-Koordinatoren. Im Kompetenzzentrum sind zudem 21 Beraterinnen und
Berater koordiniert, die an 21 Hochschulstandorten nur für die Umsetzung des
Bologna-Prozesses delegiert sind.
gido:
Wie sieht der typische Arbeitstag einer Bologna-Beraterin
aus?
Birgit Hennecke:
Ich bin keine Bologna-Beraterin im Wortsinne.
Der Begriff ist "belegt" mit den schon benannten 21 Delegierten an
ausgewählten Modellhochschulen. Wenn Sie meinen Arbeitstag meinen, besteht
er häufig in der Beantwortung von E-Mails, in der Entwicklung von
Evaluationsverfahren, in der Vorbereitung von Vorträgen und in der
Projektierung von Veranstaltungen.
Moderator:
Eine Nachfrage vom Nutzer 'frager' auf die Frage von
Möhnke:
frager:
Das hört sich alles eher bürokratisch an, da hat Möhnke
schon recht. Was ist der Output?
Birgit Hennecke:
Der Output sind geschultere Lehrende,
wissendere Curriculumsentwickler, sensibilisierte Hochschulleitungen, viel
mehr Berücksichtigung von didaktischen Fragen in der Curriculumsentwicklung
wie z.B. die sogenannte Kompetenzorientierung, ein viel stärkeres Interesse
an Qualitätsentwicklungsfragen an den Hochschulen und zum Teil das Angehen
von lange anstehenden Problemen.
Boschlektor Mostar:
Gibt es speziell zur Kompetenzorientierung
interessante Publikationen?
Birgit Hennecke:
Ja, es gibt einige. Hier verweise ich auf die
Bibliothek der Hochschulrektorenkonferenz, die auch von
Nicht-HRK-Mitgliedern benutzt werden kann. Man kann die Bibliothek anmailen
oder anrufen, die Nummer finden sie unter
http://www.hrk.de.
Bologna
aus Sicht der Studierenden
anna:
Wie können die Studierenden sich in den Bologna-Prozess
einbringen?
Birgit Hennecke:
Das ist eine gute Frage. Über den Weg von
studentischen Organisationen wie den fzs oder ESIB, die sehr aktiv den
Prozess mitgestalten. Und vor Ort an den Hochschulen hören wir eigentlich
immer wieder die Klage, dass bei dem Wunsch von Fachbereichen, ihre
Studierenden bei der Curriculumsentwicklung zu beteiligen, sie häufig auf
Desinteresse stoßen. Ansprechpartner wären hier z.B. die Studiendekane, die
sich sicher über interessierte Studierende freuen.
e-learnerin:
Wie wird eigentlich den Personen mit Diplom
Rechnung getragen? Gibt es hier eine Regelung, die besagt, dass das Diplom
dem Master entspricht (im Ausland wird es nur als Bachelor anerkannt)?
Birgit Hennecke:
Ja, es gibt eine Regelung. In der
ländergemeinsamen Strukturvorgaben der Kultusministerkonferenz gibt es eine
klare Aussage zur Gleichwertigkeit der Abschlüsse. Hier wird allerdings
unterschieden nach Diplomabschlüssen an Fachhochschulen und Universitäten:
„Bachelor-Abschlüsse verleihen grundsätzlich dieselben Berechtigungen wie
Diplomabschlüsse an Fachhochschulen. Masterabschlüsse verleihen dieselben
Berechtigungen wie Diplom- und Magisterabschlüsse an Universitäten und
gleichgestellten Hochschulen."
E-Learning
und Bologna
Moderator:
Kommen wir zum Thema E-Learning im
Bologna-Prozess:
tmennig-FU-Berlin:
Wie viel E-Learning braucht Ihrer Ansicht nach
Bologna?
Birgit Hennecke:
Bologna kann E-Learning sehr gut gebrauchen,
meiner Meinung nach. Das Problem ist nur, dass E-Learning nicht weit genug
oben auf der Agenda von Bologna steht. Es gibt ja viele gemeinsame
Berührungspunkte zwischen E-Learning und den Bologna-Notwendigkeiten.
e-learnerin:
In welchem Zusammenhang stehen E-Learning und
Bologna?
Birgit Hennecke:
Wie schon gesagt, gemeinsame Ziele sind die
Förderung von Mobilität und Internationalisierung, die Selbststeuerung des
Lernens, die Orientierung an den Kompetenzen, die die Studierenden erwerben
können und das "automatische" Erwerben von zusätzlichen Kompetenzen von den
Studierenden neben dem eigentlichen Fachwissen. Für beide gemeinsam gilt die
Basis des Paradigmenwechsels "vom teaching zum learning".
Moderator:
Zwei ähnliche Fragen:
StephanMosel:
Wo und wie sehen Sie die Rolle von E-Learning im
Bologna-Prozess?
veronika:
Welche Bedeutung hat nun eigentlich tatsächlich
E-Learning bei 'eBologna'?
Birgit Hennecke:
Ganz konkret bei der Unterstützung von
Joint-Degrees oder Joint-Programs, d.h. gemeinsame Studiengänge an
Hochschulen verschiedener Nationen, oder auch bei der Vermittlung von
Schlüsselqualifikationen.
Innovationspotential (v)erkannt?
Müller:
Welche Formen des E-Learning werden an den
Hochschulen, die den Bachelor eingeführt haben, praktiziert?
Birgit Hennecke:
Dazu gibt es noch keine generelle Erhebungen
oder Untersuchungen. Ich weiß nur von der anderen Seite, dass es häufig
Probleme gibt bei der Akkreditierung von E-Learning-Modulen. Diese Form des
Lernens und Lehrens wird von den Akkreditierern häufig nur dem Fernstudium
oder Weiterbildungsmastern zugeordnet. In grundständigen Bachelorn führen
sie noch häufig zu Irritationen.
Moderator:
Eine Nachfrage von e-learnerin:
e-learnerin:
Nachfrage: Ist irgendwo festgelegt, dass die
neuen Studiengänge E-Learning Veranstaltungen enthalten müssen?
Birgit Hennecke:
Nein.
Moderator:
Hier noch ein Kommentar zum Thema E-Learning:
e-teacher:
Zur Frage der e-learnerin: Meine Erfahrungen gehen
dahin, dass E-Learning bislang weder in den Hochschulleitungen noch bei den
Lehrenden als wichtiges Element des Selbststudiums erkannt und begriffen
wurde.
Katrin Windolf:
Inwieweit wird die Bedeutung und Rolle von
E-Learning bei den Entscheidungsträgern erkannt und gefördert?
Birgit Hennecke:
Ich glaube, dass die Potentiale hier noch
nicht ausgeschöpft sind.
Die Probleme von Bologna bewegen sich noch so sehr an den Wurzeln, dass über
E-Learning bisher noch nicht viel diskutiert wurde.
Katrin Windolf:
Womit hat diese Verkennung des E-Learning-Potenzials
denn Ihrer Meinung nach zu tun?
Birgit Hennecke:
Mit der Gleichzeitigkeit von unglaublich
vielen Prozessen und Herausforderungen, die die Hochschulen förmlich
überrollen. Sie müssen sich mit den Auswirkungen der Föderalismusreform
beschäftigen, mit Globalhaushalten und Zielvereinbarungen. Gleichzeitig
sollen sie die Systeme für die Auswahl von Studierenden entwickeln. Sie
müssen sich mit der Verwaltung der Studiengebühren beschäftigen und
gleichzeitig ihre gesamten Curricula verändern. Da ist E-Learning eben nur
ein kleiner Bereich von sehr vielen.
Chancen für
E-Learning
e-learnerin:
Mich interessiert, inwieweit Bologna Dozenten
dazu motivieren kann, E-Learning in der Lehre einzusetzen, und ob es dazu
Bestimmungen gibt im Bologna-Verfahren.
Birgit Hennecke:
Soweit ich weiß gibt es keine Bestimmungen. Aber
die Motivation kommt vielleicht durch den erhöhten Druck, der auf Lehrende
durch viele zusätzliche Aufgaben zukommt, indem sie sich z.B. durch
e-teaching Tools bei den studienbegleitenden Prüfungen Erleichterung
verschaffen.
Birgit Hennecke:
Ein Beispiel wären digitale Lernertagebücher
statt Abschlussprüfungen.
Bernhard Hiegl:
Wie sehen Sie die Notwendigkeit und den
Einsatzrahmen sogenannter E-Portfolios?
Birgit Hennecke:
E-Portfolios als von den Studierenden selbst
gesteuerte Lerninstrumente finde ich ein ausgezeichnetes Instrument. Es gibt
keine Vorgaben und Bestimmungen, da ist der gestalterische Spielraum der
Lehrenden gefragt.
veronika:
Durch die Modularisierung kommen immer mehr Prüfungen auf die
Lehrenden zu. Sind 'e-Prüfungen' nicht auch ein wichtiger Bestandteil?
Was sagen Sie dazu?
Birgit Hennecke:
Sie wären sicherlich eine Entlastung. Darauf
bin ich oben bereits zum Teil eingegangen. Die Möglichkeiten hier sind
vielfältig. Hier könnten digital gestützte Tests geschrieben werden oder
studienbegleitend kleine Prüfungen, z.B. durch Multiple Choice, vereinfacht
werden. Wichtig ist hier die Bereitschaft der Lehrenden, die Prüfungen
wirklich studienbegleitend (!) durchzuführen und nicht ausschließlich am
Ende eines Moduls.
jokerle
: Vom „teaching zum learning“ heißt mehr
Eigenverantwortlichkeit der Lernenden. Wie ist das mit Verschulungstendenz
bei Bologna vereinbar?
Birgit Hennecke:
Dies ist ein hervorragendes Instrument gegen
die Verschulungstendenz. Dieser sogenannte Paradigmenwechsel setzt aber auch
eine wirkliche Curriculumsveränderung voraus, eine Bereitschaft der
Lehrenden, von der bisher normalen Input-Orientierung wegzugehen und sich
stärker an dem zu orientieren, was als Kompetenzen bei den Lernern heraus
kommen kann. Dies setzt auch voraus, dass Lehrende neue Lehrformen
ausprobieren.
Unterstützung & Anreizsysteme
anna:
Werden die Lehrenden bei der Umsetzung von Bologna
ausreichend unterstützt?
Birgit Hennecke:
Da gibt es verschiedene Aspekte. Viele
Lehrende fühlen sich mit der zusätzlichen Arbeit, die auf sie zukommt,
ziemlich allein gelassen. Aber es gibt auch Hochschulen, die sehr aktive
Unterstützungsangebote für ihre Lehrenden institutionalisiert haben, sei es
kurzfristig zusätzliches Personal in den Studierenden- und
Prüfungsverwaltungen oder jene genannten Bologna-Beraterinnen und
–Berater,
die den Lehrenden unter die Arme greifen. Die schon genannten Projekte der
Hochschulrektorenkonferenz bieten ebenso ihre Unterstützung vor Ort an. Aber
es bräuchte sicher weitaus mehr Fortbildungsangebote und strukturelle
Maßnahmen und auch zusätzliches Geld.
jokerle:
Bologna ist Mehrarbeit, E-Learning ist Mehrarbeit.
Gibt es ein Anreizsystem, sich da zu engagieren?
Birgit Hennecke:
Mehr Anreizsysteme wären sicherlich
wünschenswert, in beiderlei Hinsicht. Vor allem für die Lehrenden. Dies ist
vor allen Dingen Hochschulsache. Einige Hochschulleitungen fördern den
Bologna-Prozess sehr stark an ihrer Hochschule und schaffen z.B.
Anreizsysteme, indem sie die Akkreditierungsprozesse aus zentralen Mitteln
bezahlen und dies nicht den Fachbereichen überlassen. Es gibt auch
entsprechende pekuniäre oder ideelle Anreizsysteme an Hochschulen im Bereich
E-Learning. Aber es ist der Autonomie der einzelnen Hochschule überlassen,
diese beiden Bereiche mit noch mehr Anreizsystemen zu versehen.
Kooperationen und Weiterbildung
master:
Ist denn E-Learning nicht auch im
Weiterbildungsbereich wirtschaftlich interessant für die Hochschulen? Gibt
es Anreize, sich da zu engagieren (z.B. finanzielle Hilfen, wenn ein
E-Learning-Programm aufgesetzt wird)?
Birgit Hennecke:
Ja, das ist auch der Bereich, in denen die
Hochschulen E-Learning als neues Potenzial erkennen werden. Durch die
Möglichkeit, auch Weiterbildungsmaster anbieten zu können, wachsen die
Potentiale der wissenschaftlichen Weiterbildung enorm. Da die Zielgruppen
hier fast immer berufstätig sind, ist e- oder Blended-Learning ein
notwendiges Instrument. Mir sind zur Zeit keine Anreize bekannt. Aber ich
bin sicher, dass sich hier Hochschulen einen lukrativen Markt erobern
werden.
Moderator:
Es gibt noch eine Nachfrage nach den Kooperationen
im Bereich E-Learning:
Boschlektor Mostar:
Existieren Kooperationen auch mit Osteuropa und
speziell mit Germanistik-Lehrstühlen?
Birgit Hennecke:
Für konkrete Nachfragen verweise ich auf die
internationale Abteilung der Hochschulrektorenkonferenz, z.B. Herrn
Smolarczyk oder Frau Assenmacher. Die können ganz konkrete Projekte in
diesem Bereich benennen.
Ellen Fetzer:
Der Prozess führte ja teilweise zu einer
Reduktion von Lehrinhalten. Wäre E-Learning eine Chance, europäische
Kooperationen zu fördern, so dass auch selten gelehrte Inhalte eine
Zukunftschance haben?
Moderator:
Gibt es gerade im Bereich E-Learning und Bologna
internationale Best- Practice-Modelle?
Birgit Hennecke:
Ja. Mir fällt das Kompetenznetz
Skandinavistik ein, das an den Universitäten Basel, Freiburg, Straßburg und
Tübingen angesiedelt ist. Mit ihrem Blended-Learning-Konzept können sie die
kleinen Skandinavistiklehrstühle an allen Hochschulen erhalten. Es gibt noch
weitere Joint-Degree-Programme, die E-Learning benutzen. Z.B. ein
Joint-Degree-Masterstudiengang an der Fachhochschule Frankfurt. Genaueres
finden Sie auf der Internetseite http://www.fh-frankfurt.de/.
Bildungsmarketing und Bildungsmärkte
schröder:
Noch mal zu Forschungs- und Bildungsmarketing: Wer muss
eigentlich für den Bildungsstandort werben: Der Bund, die Länder oder die
Hochschulen selbst?
Birgit Hennecke:
Durch die zunehmende Autonomie der Hochschulen ist
dies primär Aufgabe der Hochschulen selbst. Diese stehen ja auch im
Wettbewerb miteinander. Für die Präsentation der deutschen Hochschulen
insgesamt sind auch die Länder und der Bund zuständig. Hier sind natürlich
auch Wissenschaftsorganisationen wie die Hochschulrektorenkonferenz
gefragt.
trier:
Die Engländer, Amerikaner, aber auch die Australier machen uns
vor, wie man Ausländer an Hochschulen lockt. Dabei vermute ich, dass das oft
nicht mit Qualität der Lehre, sondern mit selbstbewusstem Auftreten der Unis
und Marketing zu tun hat. Machen die Hochschulen hier da alles
richtig?
Birgit Hennecke:
Da würde ich ihre Vermutung teilen. Zumindest
hängt sicherlich einiges auch von den Marketingstrategien ab. Aber z.B.
durch das Gate-Projekt, das bei der Hochschulrektorenkonferenz und dem
Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) angesiedelt ist, entwickeln
die deutschen Hochschulen ja eine Marketingstrategie. Etwas mehr Bewusstsein
für ihre Repräsentation nach außen täte den deutschen Hochschulen sicherlich
ganz gut.
anna:
Welches Potenzial steckt für die Hochschulen in Europa als
Markt für den Export von 'Bildungsdienstleistungen'?
Geophys:
E-Learning war Ihr Schwerpunktthema. Was mich interessieren
würde: Welche Ausmaße hat das im Hochschulbereich inzwischen angenommen? Ich
erinnere mich an Prognosen, dass der Bereich ein milliardenschwerer Markt
(für die Anbieter) werden sollte. Ist dem so?
Birgit Hennecke:
E-Learning ist noch kein milliardenschwerer
Markt geworden. Allerdings beschleunigt der Bologna-Prozess die
Notwendigkeit der hochschulweiten digitalen Vernetzung an der Schnittstelle
von Studierendenverwaltung und Lehre. Ich glaube, dass dies eine
zukunftsträchtige Branche sein könnte. Natürlich kann Bologna auch den
europaweiten Export von Bildungsdienstleistungen beschleunigen. Dies
ist zur Zeit aber noch kein Spielfeld für die Haupt-Bologna-Akteure, soweit
ich weiß.
Akzeptanz von
E-Learning
Katrin Windolf:
Wie hoch ist Ihrer Erfahrung nach die Akzeptanz
dieses Lernmediums bei den Studenten?
Birgit Hennecke:
Die Akzeptanz der Studierenden hängt sehr
stark von der Vermittlung der Lehrenden ab. Ist e-Teaching für die Lehrenden
selbstverständlich, so akzeptieren dies auch die Studierenden.
Bernhard Hiegl:
Welche konkreten Nachteile haben Hochschulen
langfristig zu erwarten, die sich bewusst gegen E-Learning entscheiden, weil
sie es zwar aus Gründen der Personalknappheit für nötig aber aus
didaktischer Sicht für schlechter als klassische Lehrformen halten?
Birgit Hennecke:
Ich glaube, dass sie zurzeit keine Nachteile
haben, dass sie perspektivisch aber gerade im Bereich der internationalen
Kooperationen strukturell schlechter gestellt sind.
Moderator:
Kommen wir zur letzten Frage für unseren heutigen
e-teaching.org Live-Chat:
haerka:
Wo sind eigentlich die Grenzen von E-Learning? Man kann doch
nicht alle Curricula damit abdecken?
Birgit Hennecke:
Stimmt. Es geht sicherlich grundsätzlich um die
Ergänzung von Curricula mit E-Learning-Modulen. Ich würde auch eher für
Blended-Learning, also für eine Mischung von e-Learning und Präsenzlehre,
plädieren. Das macht zumindest für die meisten deutschen Hochschulen mit
einem hohen Anteil von Präsenzlehre mehr Sinn.
Moderator:
Das waren 90 Minuten e-teaching.org Live-Chat. Unsere
Zeit ist um. Vielen Dank für Ihr Interesse und Dank an Frau Hennecke für den
Chat! Das Protokoll des Chats finden Sie in Kürze auf
http://www.e-teaching.org. Unsere Bitte um Verständnis an jene, die wir
heute mit ihrer Frage nicht berücksichtigen konnten. Unter der URL
http://www.e-teaching.org/community können Sie weiter über dieses Thema
diskutieren. Der nächste e-teaching.org Live-Chat findet am 20. November ab
10.00 Uhr statt. Dann stellt sich Wolfgang Coy, Professor für Informatik,
Ihren Fragen zum Thema "Open Access und Open Content". e-teaching.org
wünscht allen Beteiligten noch einen schönen Tag!
Birgit Hennecke:
Ich danke allen Beteiligten für ihre rege
Teilnahme und für die interessanten Fragen. Mir hat es sehr viel Spaß
gemacht und Sie haben mich ganz schön auf Trab gebracht. Falls Sie noch
weitere Fragen haben, können Sie sich auch gerne unter meiner E-Mail-Adresse
hennecke@hrk.de an mich wenden. Ich danke für die Einladung zum Chat und für
die gute Moderation und wünsche noch einen schönen Tag.
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