Wolfgang Coy im Chat-Interview: Neues Publizieren mit Open Access und Open Content

Am 20.11.06 beantwortete Prof. Wolfgang Coy Fragen zur Publikationsstrategie Open Access. Er ist Vorsitzender der Medienkommission der Humboldt Universität zu Berlin. Die HU hat im Mai 2006 nach der Universität Bielefeld als zweite deutsche Hochschule die offizielle Unterstützung von Open Access beschlossen. Lesen Sie im redigierten Transkript die angeregte Diskussion mit dem Open Access Experten.



Basiswissen Open Access


Moderator: Liebe Nutzerinnen und Nutzer von e-teaching.org, willkommen zum e-teaching.org Live-Chat. Zu Gast ist Professor Wolfgang Coy, Professor für Informatik an der Humboldt Universität zu Berlin. Einen schönen guten Herr Professor Coy und vielen Dank, dass Sie Zeit für uns haben. Können wir beginnen?

Wolfgang Coy:
Gerne!

Moderator: Was genau ist denn unter dem Begriff Open Access eigentlich zu verstehen?

Wolfgang Coy: Open Access ist der Versuch, wissenschaftliche Literatur über das Internet weltweit und frei zugänglich zu machen.

acw:
Was genau ist der Unterschied zwischen Open Access und Open Content?

Wolfgang Coy: Open Access bezieht sich auf wissenschaftliche Veröffentlichungen, die entweder in einem Repository nach einem Peer-Review-Prozess stehen oder als Self-Archiving veröffentlicht werden. In beiden Fällen handelt es sich um Open Content, aber im ersten Fall ist die Kontrolle durch andere Wissenschaftler gegeben. Open Content ist dagegen eine Lizenz. Unser Repository heißt „ edoc-Server “. Das hat den Vorteil, dass unser Rechenzentrum sowohl die langfristige Archivierung garantiert, wie auch die nötigen Metadaten hinzufügt. So dass diese Veröffentlichungen weltweit leicht gefunden werden können.

paula: Kann ich einfach alle meine Publikationen ins Netz stellen und das dann Open Access nennen oder sind noch andere Kriterien erforderlich?

Wolfgang Coy: In diesem Falle wäre das Self-Archiving. Bei Open Access wird typischerweise erwartet, dass es einen Begutachtungsprozess gibt (Peer-Review).

hintz: Können Sie erfolgreiche Beispiele für Open Content im Internet nennen?

Wolfgang Coy: Natürlich die Gutenberg-Server, aber auch unser edoc-Server.

Gordon: Ist Open Access mit "creative commons" vergleichbar?

Wolfgang Coy: Creative Commons ist eine Lizenz. Open Access ist ein soziales System. Beides hängt zusammen, aber Creative Commons kann viele andere Fragen betreffen, z.B. Filme, Bilder, Musik etc.

Moderator: In der Ankündigung dieses Chats wurde auch auf die „Berlin Declaration“ hingewiesen. Hierzu eine Nachfrage von hintz:

hintz: Was ist die "Berlin Declaration"?

Wolfgang Coy : Die Open Access-Bewegung beruht auf zwei Startdokumenten: Der „Budapester Erklärung“ und der „ Berliner Erklärung “. In beiden haben Wissenschaftsorganisationen den Willen erklärt, Open Access einzuführen und zu propagieren. Später hat der WSIS, eine UNO-Konferenz, ebenfalls die Nutzung von Open Access weltweit vorgeschlagen. Es handelt sich also um eine globale Bewegung.

Reaktionen der deutschen Hochschullandschaft


HU-Student: Welchen Nutzen verspricht sich die Humboldt-Universität von Open Access?

Wolfgang Coy: Die Humboldt-Universität hofft damit die vielfältige wissenschaftliche Aktivität ihrer Mitarbeiter deutlich zu machen. Des Weiteren versuchen wir international und national sichtbar zu sein. Dahinter steht eine grundsätzliche Frage, nämlich WER soll Zugang zu wissenschaftlichen Veröffentlichungen haben. Insbesondere geht es darum, wissenschaftliche Arbeit, die mit öffentlichen Mitteln erstellt wurde, der Öffentlichkeit zurück zu geben. Der deutsche Steuerzahler hat ein direktes Recht dazu. Aber wir Wissenschaftler sind auch der Ansicht, dass wir etwas für die anderen Länder tun sollten. Zudem sind elektronische Veröffentlichungen im Regelfall viel schneller als gedruckte Veröffentlichungen.

balzac76: Sind denn alle Wissenschaftler der Humboldt-Universität damit einverstanden? Wie motiviert man die Professoren zu Open Access?

Wolfgang Coy: Natürlich nicht. Wissenschaftler sind sich niemals einig. Aber es werden immer mehr, die ihre Veröffentlichungen als Open Access zugänglich machen.

ulfi: Was genau erhoffen Sie sich durch den freien Zugang zu Informationen im Internet?

Wolfgang Coy: Wir hoffen auf das Interesse möglichst vieler Leser und damit einer breiten Diskussion dessen, was wir veröffentlichen.

Sim: Sind die Professoren offen gegenüber einer Publikation über Open Access oder sind ihnen klassische Publikationsmedien lieber?

Wolfgang Coy: Das hängt vom Gebiet ab. Tatsächlich sind die Publikationskulturen in den verschiedenen Wissenschaften sehr verschieden. In den Naturwissenschaften und Technikwissenschaften sind kurze Aufsätze in Zeitschriften oder Tagungsbänden vorherrschend. Bei den Geisteswissenschaftlern sind es eher Bücher. Während die Naturwissenschaftler die elektronischen Publikationen sehr begrüßen, sind die Geisteswissenschaftler etwas zurückhaltend. Das Ganze hängt von zwei großen Randbedingungen ab: Erstens müssen die Wissenschaftler das System kennen lernen (die meisten sind ja neugierig) und zweitens ist es eine Altersfrage. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat eine Umfrage vor einem Jahr gemacht, wo sich über 80% positiv zu Open Access geäußert haben.

Moderator: Wie sieht es denn in der deutschen Hochschullandschaft aus? Gibt es neben der Humboldt-Universität weitere Universitäten, die Open Access befürworten?

Wolfgang Coy: Ja. Die Bielefelder Uni war vor uns, andere haben sich angeschlossen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft empfiehlt Open Access. Die Max-Planck-Gesellschaft empfiehlt Open Access, die Helmholtz-Gemeinschaft empfiehlt Open Access. Also alle großen Forschungsorganisationen stehen hinter dieser Idee.

Sim: Wie lange, meinen Sie, dauert es, bis sich die Publikationskultur an einer Hochschule ändert?

Wolfgang Coy : Zwei Generationen - von Doktoranden.

Sim: Wie beratungsintensiv ist die Publikation über OA? Wie werden Hochschullehrende an der Humboldt-Universität beraten?

Wolfgang Coy: Wir haben das Glück, ein sehr aktives Rechenzentrum zu haben, das diesen Bereich aus Drittmitteln finanziert. Das ist leider kein allgemein umsetzbares Modell. Letztendlich kommt es darauf an, dass Menschen sich engagieren.

luba:
Sind andere Länder viel weiter und fortschrittlicher als Deutschland, was Open Access betrifft? Wenn ja, welche?

Wolfgang Coy: Großbritannien hat eine Vorreiterrolle gespielt, aber auch viele amerikanische Bibliotheken. Auch Skandinavien und Frankreich sind sehr weit. Das ist ein schöner internationaler Wettbewerb, von dem wir alle profitieren.

Moderator: Hat die Politik dieser Länder dabei eine Rolle gespielt? Oder hat sich die Wissenschaftskultur in diesen Ländern selbst so schnell weiterentwickelt?

Wolfgang Coy: Negativ könnte man sagen: Ohne die finanziellen Kürzungen der Bibliotheken wäre das Problem nicht so schnell klar geworden. Andererseits gibt es auch positive Impulse aus der Politik, z.B. die Bibliothèque Nationale in Paris.

Auswirkungen auf Studium und Lehre


Ulfi: Was hat die Tatsache, dass verschiedene Universitäten Open Access unterstützen für einen Einfluss auf das Studieren beziehungsweise auf die Studenten?

Wolfgang Coy: Die Studenten haben Zugang zu vielen Publikationen aus dem eigenen Haus, die sie sonst nicht gesehen hätten. Die Humboldt-Universität hat bereits 1261 Dissertationen und 273 Habilitationen, sowie 111 Magister- und Diplomarbeiten als Open Access veröffentlicht. Die hätte sonst niemand gesehen.

brigitte: Wissenschaftler sind daran interessiert, dass ihre Veröffentlichungen gelesen werden, d´accord. Aber möchten sie auch ihre Lehrskripte freigeben?

Wolfgang Coy: Sie werden ja nicht dazu gezwungen. Aber ich kenne viele Kollegen, die das gern tun, denn der "Marktwert" einer Wissenschaftlerin steigt auch mit erfolgreicher Lehre.

Sim: Glauben Sie, dass der Open Content Gedanke sich auch bei Lehrmaterialien durchsetzen wird?

Wolfgang Coy: Ich hoffe das sehr. Ein schönes Beispiel ist die Open Course Ware-Initiative des Massachusetts Institute of Technology, die viele Lehrmaterialien bereitstellt. Das kann alles umfassen. Von Texten, Powerpoint-Dateien bis zu Videomitschnitten.

acw: Lautet der nächste Schritt der Humboldt-Universität: Open Courseware?

Wolfgang Coy: Wir arbeiten daran.

ZUckerhut: Warum ist denn der freie Zugang zu Inhalten für e-learning und e-teaching von besonderer Relevanz?

Wolfgang Coy: e-learning sollte sich nicht auf einen eng zugeschnittenen Bereich beschränken. Die breite Nutzung des Internets ist sozusagen Basis von e-learning und e-teaching. Und da fügen sich elektronische Veröffentlichungen gut ein.

balzac76: Wenn der Bürger ein Recht auf freien Zugang zu den Publikationsinhalten hat - gibt es dann nicht auch ein Recht für Studenten, auf Vorlesungsmaterialien aller Hochschulen zuzugreifen?

Wolfgang Coy: Das ist eine interessante Frage. Prinzipiell finde ich "ja". Man muss aber berücksichtigen, dass die Lehrenden ihr Material freiwillig herausgeben müssen. Es gibt ja gute Gründe, warum man etwas nicht breit streuen will. Und dazu das unsägliche Urheberrecht.

lobotom: Vorhin haben sie darauf hingewiesen, dass die zu veröffentlichenden Inhalte von Steuergeldern finanziert wurden. Das gilt ja auch für Lehrinhalte.

Wolfgang Coy:
Nochmals: Ja. Es gibt aber keine Veröffentlichungspflicht für Lehrinhalte.

Rechtliche und politische Rahmenbedingungen


gordon: Wie umgehen Sie Urheberrechte/Datenschutzrechte?

Wolfgang Coy: Gar nicht. Die Idee ist, dass die Wissenschaftler ja über ihr eigenes Copyright verfügen, wenn sie etwas unter Open Access veröffentlichen. Das bedeutet, dass sie sich mit den Verlagen einigen müssen, wenn das auch gedruckt werden soll. Das ist in den letzten Jahren leichter geworden. Häufig gibt es bei gedruckten Veröffentlichungen Schutzzeiten von sechs Monaten bis zwei Jahren, die aber jeweils ausgehandelt werden müssen.

Richard: Wer berät denn Wissenschaftler beim "Self-Archiving"? Ich kann mir vorstellen, dass da leicht rechtliche Probleme entstehen können.

Wolfgang Coy: Eigentlich kann es keine Probleme geben: Wer seine eigenen Sachen veröffentlicht, hat auch die Rechte. Ansonsten steht auf den edoc-Servern meist ein Hinweis, wie man mit den Verlagen reden muss - falls dies die Frage war.

balzac76 : Sie sagen: Der Steuerzahler hat ein direktes Recht darauf. Das stimmt aus moralischer Sicht - muss sich da gesetzlich nicht auch noch einiges ändern?

Wolfgang Coy: Eigentlich nicht. Wenn Wissenschaftler öffentlich bezahlt werden, gehören die Ergebnisse ihrer Forschung auch der Öffentlichkeit. Historisch haben wir den Wissenschaftlern große Freiräume bei der Verwertung eingeräumt. Das war aber eher eine praktische Frage. Mehr und mehr verlangen die Universitäten und Hochschulen an Patentauswertungen und Veröffentlichungen beteiligt zu werden. Das wäre eher der Normalfall.

Sim : Welche Rolle spielt die Politik, um Open Access voran zu bringen?

Wolfgang Coy:
Sie behindert Open Access durch die mögliche Abschaffung des Paragraphen 52a des Urheberrechtsgesetztes. Dort wird die Nutzung von urheberrechtlich geschützten Material gesetzlich geregelt. Wenn diese Vorschrift fällt, wird die Verbreitung von wissenschaftlichen Veröffentlichungen erheblich beschränkt. Es wäre schön, wenn die Politiker sich über die Bedeutung von Open Access klar würden.

Daniel Kämmerling: Artikel 52a wird 2008 voraussichtlich nicht mehr verlängert. Welche weitere Gefahren sehen Sie, wenn die Schrankenregelung abgeschafft wird?

Wolfgang Coy: Anarchie und Chaos.

jokerle : Nachfrage 52a: Inwiefern kommen dadurch Beschränkungen, wenn doch das Urheberrecht eigentlich bei den Autoren liegt?

Wolfgang Coy:
Für selbst erstellte Inhalte gibt es selbstverständlich keine Schranke. Es geht um die Nutzung von fremd erstellten Inhalten für die Lehre. Die Streichung des 52a wird zu unsäglichen Auseinandersetzungen über das angemessene Zitieren führen. In der Folge werden immer weniger fremde Materialien in den Unterricht eingeführt.

Richard : Wie beurteilen Sie staatliche Förderung von Open Access Journals wie z.B. die Digital Peer Publishing Initiative in Nordrhein-Westfalen ? Braucht Open Access Förderung oder ist es besser, wenn das Publizieren in E-Journals selbstorganisiert passiert?

Wolfgang Coy: Wissenschaftliche Veröffentlichungen wurden schon immer von den Hochschulen und den Fördermittelgebern gefördert. Natürlich ist auch der Betrieb von Server und die Wartung nicht kostenlos. Das ist der Beitrag, den die öffentliche Hand leisten muss. Nur bisher haben die Verlage diese Gelder kassiert. Jetzt stecken wir sie in unsere eigene Infrastruktur.

Offenheit contra Verlagswesen


brigitte: Wie stehen Verlage zu Open Access/Open Content?

Wolfgang Coy: Ursprünglich feindselig. Inzwischen haben die Verlage gemerkt, dass sie sehr wohl eine Archivfunktion wahrnehmen mit gedrucktem Material, dass sie sehr wohl mit Büchern Geld verdienen. Seitdem ist die Situation entspannter und es zeigt sich die Möglichkeit, dass Verlage und Open Access miteinander leben können.

balzac76 : Werden dadurch nicht die wissenschaftlichen Verlage gefährdet?

Wolfgang Coy: Das Internet gefährdet ALLE ökonomischen Strukturen - wenn die Verantwortlichen nicht neu über ihr Geschäft nachdenken. Es gibt sehr wohl Geschäftsmodelle, bei denen Verlage verdienen können. Aber möglicherweise nicht vorzugsweise mit wissenschaftlichen Aufsätzen.

Richard: Will Open Access den Verlagen komplett das Wasser abgraben oder sehen Sie eine Chance für "Arbeitsteilung"?

jokerle : Wie durchsetzungsfähig schätzen Sie Open Access ein gegenüber dem etablierten (Verlags-)Publikationswesen?

Wolfgang Coy:
Die Perspektive liegt sicher in einem Miteinander. Das ist schon durch die unterschiedliche Publikationskultur in den Wissenschaften begründet. Wissenschaftler wollen niemandem "das Wasser abgraben" sondern sie wollen gelesen werden. Und da haben elektronische Publikationen deutlich mehr Zugriffe als gedruckte Publikationen.

paula : Welches Interesse haben denn die Verlage, einer elektronischen Publikation zuzustimmen? Die möchten doch ihre Print-Produkte verkaufen. Wenn alles offen im Netz steht, bestellt doch z.B. sicher niemand mehr den gedruckten Tagungsband?

Wolfgang Coy:
Das Geschäft mit dem Tagungsband besteht darin, am Anfang der Tagung den Tagungsband, der mit der Teilnahmegebühr bezahlt ist, zu verteilen. Danach gibt es kein Geschäft mehr mit Tagungsbänden. Die elektronische Fassung bleibt aber für alle leicht zugänglich. Das Verlagsgeschäft kann zwei Wege verfolgen: Die Erstveröffentlichung für etwa sechs Monate und die Archivfunktion für Bibliotheken.

paula : Bei aller Sympathie für freie Inhalte: Wissenschaftliche Qualitätssicherung kostet Geld - woher soll das künftig kommen, wenn den Verlagen die Vermarktungsgrundlage entzogen wird?

Wolfgang Coy: Die wissenschaftliche Qualitätssicherung durch Gutachter ist bislang eine unbezahlte Tätigkeit der Wissenschaftler. Soll heißen, sie wird aus öffentlichen Mitteln bezahlt. Das soll so bleiben.

schildkröte : Mit Open Access ist ja kein Geld zu verdienen. Denken Sie, dass sich das trotzdem durchsetzen wird?

Wolfgang Coy: Wissenschaftler werden von der Öffentlichkeit bezahlt. Sie sind froh, wenn sie gelesen werden und nicht auch noch für die Publikation bezahlen müssen (was gelegentlich vorkommt: Druckkostenzuschuss).

Moderator:
Der Nutzer "Kram" fragt noch einmal zu den positiven Effekten von Open Access auf die Verlage:

kram:
Kommen die Verlage vielleicht in einen positiv zu bewertenden Druck, die Bücher schneller als bisher zu drucken?

Wolfgang Coy: Das kann ich nicht beurteilen. Es ist aber klar, dass in den wissenschaftlichen Verlagen diese Fragen diskutiert werden. Das kann zu besseren Arrangements führen. Ein schönes Beispiel ist die Veröffentlichung von kritischen Werkausgaben, die sich oft über Jahre oder Jahrzehnte ziehen kann. Hier können elektronische Zwischenergebnisse oder auch das Endprodukt ganz neue Wege der Publikation eröffnen. Interessant ist auch die Reaktion der Lexikon-Redaktionen auf die Wikipedia. So ist jetzt der Meyer online frei verfügbar.

luba:
Ich schätze, ein Problem von Open Access wird sein, dass ein gedrucktes Buch in der Hand zu halten immer noch mehr Wert für einen selbst hat als die elektronische Version im Internet. Sehen Sie das auch so?

Wolfgang Coy: Ja das sehe ich auch so. Deshalb haben wir für unseren edoc-Server auch die Publishing-on-Demand Variante vorgesehen. Wenn jemand einen Text ausgedruckt haben möchte, kann er den - gegen Geld - drucken lassen.

Auffindbarkeit, Zitation, Vernetzung


Sim : Offen publizieren ist die eine Sache. Wie aber kann die Auffindbarkeit dieser Publikationen auch sicher gestellt werden?

Wolfgang Coy: Da hat die elektronische Publikation im Open Access-Archiv einen eindeutigen Vorteil. Solche Publikationen werden mit Metadaten versehen, nach denen mit Suchmaschinen gesucht werden kann. Das ist bei gedruckten Publikationen viel schwieriger.

Wiebke Oeltjen: Wer gibt die Metadaten zu den Veröffentlichungen beim edoc-System ein? Die Autoren, Bibliothekare, anderes Fachpersonal?

Wolfgang Coy: Alle. Das soll heißen, die Autoren können Vorschläge machen. Aber die Betreuer des Repository ergänzen diese.

Richard:
Sind die Dokumentenserver der Hochschulen eigentlich ausreichend erschlossen? Oder würde hier ein "Meta“-Server benötigt, der die lokalen Angebote vernetzt?

Wolfgang Coy: Beispielsweise die edoc-Server sind weltweit miteinander verbunden. Dies ist freilich noch verbesserbar.

gordon : Ist die „ Scholar-Suche “ bei Google das Paradebeispiel für Open Access?

Wolfgang Coy:
Das wird unterschiedlich gesehen.

balzac76 : Werden heute bereits Artikel, die frei zugänglich (z.B. über Google Scholar auffindbar) häufiger zitiert? Ist das die große Chance für Open Access, bei den Autoren beliebter zu werden?

Wolfgang Coy: Es gibt Untersuchungen, die das bestätigen.

paula:
Gibt es Untersuchungen dazu, inwieweit sich bei elektronischen Publikationen die Zitation erhöht?

Wolfgang Coy: Vorsichtig gesagt scheint das so zu sein. Es ist freilich so, dass Wissenschaftler meistens einen engen Bereich an Veröffentlichungen sehr gut im Blick haben. Das können gedruckte ebenso wie elektronische Publikationen sein. Höhere Zitattreffer kommen dann meistens durch Wissenschaftler, die Suchmaschinen benutzen. Es gibt in den einzelnen Wissenschaften zum Teil über 100 elektronische Journale, die im Peer-Review-Prozess begutachtet werden. Es gibt aber immer noch tausende von gedruckten Zeitschriften. Wir sind mit Open Access also erst am Anfang.

Peer Review und Qualitätsstandards


luba: Wie sehen die Peer-Review-Kontrollen denn aus? Wer bestimmt, was ins Netz gestellt wird?

Wolfgang Coy: Das ist im Prinzip das gleiche wie bei gedrucktem Material. Bei Zeitschriften ist das eine Redaktion, die auf akademische Gutachter zurückgreift. Bei Büchern ist es typischerweise der Lektor, der sich Gutachten erstellen lässt. Das geschieht elektronisch und gedruckt in gleicher Weise. Es gibt elektronische Zeitschriften, zu deren Herausgeber Nobelpreisträger gehören.

brigitte: Birgt Open Access/Open Content die Gefahr eines Qualitätsverlusts?

Wolfgang Coy: Ich glaube nicht. Aber es ist klar: Wenn mehr veröffentlicht wird, muss die Qualität nicht unbedingt steigen. Es können aber auch interessante abweichende Meinungen erscheinen, die sonst vielleicht untergegangen wären. Letztlich liegt die Kontrolle im Kopf des Lesers.

schildkröte: Kann durch Open Access nicht auch jeder "Schrott" veröffentlicht werden, da es so einfach wird, seine Arbeiten zu publizieren? Gibt es irgendwelche Qualitätsstandards?

brigitte: Wie kann eine Qualitätssicherung im Zusammenhang mit Open Access/Open Content realisiert werden?

Wolfgang Coy: Noch einmal: Die Qualitätsstandards sind bei elektronischen Zeitschriften die gleichen wie bei gedruckten Zeitschriften. Auch wenn sie es noch nicht festgestellt haben: Es gibt sehr schlechte gedruckte Aufsätze und Bücher.

godzilla: Kann ich als Nicht-Student auch meine wissenschaftlichen Arbeiten bei Ihnen auf diesem edoc-Server veröffentlichen?

Wolfgang Coy:
Bei allen wissenschaftlichen Zeitschriften, ob gedruckt oder elektronisch publiziert, können alle Aufsätze eingereicht werden. Was die Redaktion damit macht, kann ich natürlich nicht vorhersagen. Wir veröffentlichen auf dem edoc-Server alle Dissertationen, die freilich schon durch eine sehr komplexe Begutachtung gegangen sind. Wir veröffentlichen auch Magister- und Diplomarbeiten, wenn sie mindestens mit Gut beurteilt wurden.

balzac76:
Bleiben wir bei der Qualität: Online-Angebote würden auch ein Rating durch die Leser erlauben. Ist das sinnvoll bzw. gibt es bereits solche Initiativen?

Wolfgang Coy: Das ist sehr richtig und es gibt elektronische Journale, die den Lesern solche Beurteilungen vor der Veröffentlichung erlauben. Das Endurteil erfolgt dann trotzdem durch Gutachter. Aber man könnte sich natürlich auch Zeitschriften vorstellen, die allein von den Lesern herausgegeben werden. So gibt es eine Zeitschrift im Bereich Klimaforschung, die alle eingereichten Papiere öffentlich darstellt. Die Leser können ihre Kommentare schreiben und in einer zweiten Phase werden diese Artikel von den Gutachtern, die die Leserzuschriften kennen, begutachtet. Erst dann wird entschieden, ob der Artikel "veröffentlicht" ist. Ich halte das für ein sehr interessantes Verfahren - ein Stück Demokratisierung der Wissenschaft.

Martin: In Blogs wird häufig darüber diskutiert, mit welchen Stichworten ein gutes Ranking erreicht wird. Droht der Wissenschaft ebenfalls ein Wettbewerb um möglichst gute Platzierung in Suchmaschinen? Und schadet der den wissenschaftlichen Inhalten?

Wolfgang Coy: Das gibt es doch jetzt schon. Es gibt gute Zeitschriften, es gibt sehr gute Zeitschriften und es gibt exzellente Zeitschriften. Wissenschaftler versuchen oft, in die letzte Kategorie zu kommen.

Chrissy: Sie haben ja eben erläutert, dass sich Print und Online bei der Qualität nichts vergeben - in beiden wird auch mal Quatsch verbreitet. Wie objektiv ist Peer Review eigentlich? Gibt es dazu Untersuchungen?

Wolfgang Coy:
Peer-Review ist nicht objektiv und das ist gelegentlich untersucht worden. Aber wir haben keine besseren Formen bislang gefunden. Vielleicht ist die Einbeziehung der Leser ein Ausweg aus dem Qualitätsproblem des Peer-Review.

Schwarze Schafe und Probleme


paula: Auch bei Open Access gibt es schwarze Schafe: Manche E-Journals werden mit großem Elan gelauncht und dümpeln dann doch nur dahin. Besteht die Gefahr, dass hier insgesamt die Glaubwürdigkeit elektronischer Publikationen geschädigt wird?

Wolfgang Coy:
Ich sehe keine besonderen Probleme des elektronischen Publizierens in dieser Frage. Bei Modethemen werden auch schnell neue Druckjournale aufgelegt.

lobotom: Mal jenseits der Hoffnung auf eine einfachere, transparentere Veröffentlichungspraxis: Was sind die Probleme beim Open Access?

Wolfgang Coy: Das Hauptproblem besteht darin, Open Access zum Normalfall zu machen. Da muss noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden. Aber es ist natürlich auch eine Frage der jeweiligen Ressourcen. Die Uni muss Server bereitstellen und Betreuung. Das geht nicht kostenfrei.

paula:
Wie erkenne ich, ob ein E-Journal auch nächstes Jahr noch besteht oder nur eine Eintagsfliege ohne Rückhalt in der Scientific Community ist?

Wolfgang Coy: Erfahrung.

Chrissy: Müssen mehr E-Journals gegründet werden, damit Open Access erfolgreich sein kann?

Wolfgang Coy: Nicht zwingend. Aber ich glaube, dass mit der Ausweitung von Open Access viele neue Journals entstehen werden - immer dann wenn sich eine Community bildet, die eine eigene Zeitschrift betreiben will und kann.

Moderator: Eine Nachfrage zum weltweiten Zugriff auf wissenschaftliche Inhalte von Martin:

Martin: Die Verlage und ihre Interessen sind die eine Seite. Spannend wird es doch auch in Hinblick auf die wissenschaftlichen Inhalte: Wie kann sichergestellt werden, dass der Zugang wirklich weltweit und frei ist? Gibt es da nicht bestimmte Regierungen, die kein allzu ausgeprägtes Interesse an freiem Wissensaustausch haben?

Wolfgang Coy: Zensur ist sicher ein großes Problem. Zugang ein anderes großes Problem. Aber ich sehe mehr Möglichkeiten im Internet weltweiten Zugang zu erreichen, als mit Druckmedien.

Zukunftsmusik


HU-Student:
Blicken Sie mal in die Zukunft: Wird Open Access und Open Content die Wissenschaft nachhaltig verändern? Wie wird das ihrer Meinung nach aussehen?

Wolfgang Coy:
Unbedingt! Die Kosten herkömmlicher Druckpublikationen und der beschränkte Markt hat die Wissenschaft bislang eher beschränkt. Mit den elektronischen Formen kommen wir in eine neue Ära. Es wird viel mehr veröffentlicht und die Leser sorgen hoffentlich dafür, dass das Wichtige aus diesen Publikationen herausgefiltert wird.

balzac76: Steigen aufgrund von Open Access auch die Ansprüche und Erwartungen für wissenschaftliche Publikationen? Schließlich ist es jetzt leichter, sich einen guten Überblick zu verschaffen, die Recherche geht um ein Vielfaches schneller. Wird dann z.B. von Doktoranden auch mehr Output verlangt?

Wolfgang Coy: Das wäre doch ein wunderschöner Nebeneffekt.

Zucchero: Ist Open Access nur für wissenschaftliche Literatur?

Wolfgang Coy:
Überhaupt nicht. Denken sie an Blogs, in denen jeder seine Meinung äußern kann und manches auch gelesen wird. In der Wissenschaft ist das nicht anders. Nur: Wissenschaftliche Literatur wird entweder als Self-Archive veröffentlicht oder in den Archiven der Open Access-Bewegung in ähnlicher Weise wie in Zeitschriften, nämlich in einem Peer-Review-Prozess. Das heißt, dass andere Wissenschaftler die Veröffentlichung lesen und begutachten und eventuell ablehnen, bevor sie erscheinen kann. Wissenschaftliche Literatur ist also gefiltert im Gegensatz zu Blogs.

Chrissy: Ist es vorstellbar, dass wir zukünftig Publikationsmechanismen aus der Blogosphäre auch in E-Journal-Beiträgen finden, z.B. ein Blogroll von E-Journals, die der Autor liest?

Wolfgang Coy:
Warum nicht? Allerdings sehe ich den Platz nicht im E-Journal sondern eben in einem Qualitätsblog. Interessanterweise hat Vannevar Bush mit seinem Memex schon 1945 ein solches Verfahren des "Mitlesens" vorgeschlagen. Man kann immer von anderen lernen - auch das Lesen.

undwarum?: Denken Sie, dass Open Access für die Wissenschaft ein Vorläufer sein kann für eine generelle Form von Open Access und Open Content?

Wolfgang Coy: Ich glaube, dass Open Access ein Teil einer ganz großen Bewegung ist, nämlich möglichst viel im Netz frei anzubieten.

Moderator: Der Nutzer bezieht sich vermutlich auf die Verbreitung des Open Access-Gedanken:

lobotom:
Was sind eigentlich ihre Hauptwidersacher?

Wolfgang Coy: Tradition und desinteressierte Ökonomie.

anne: Wohin geht Ihrer Meinung nach der langfristige Trend? Publikation nur noch über Open Access?

Wolfgang Coy: Sagen sie doch so was nicht! Wir brauchen doch Bücher.

Moderator:
Kommen wir zu letzten Frage:

Sim:
Wie sieht Ihre Zukunftsprognose für Open Content und Open Access für Deutschland aus?

Wolfgang Coy: Open Access wird sich an den Hochschulen und Universitäten als ein Publikationsstandard einbürgern. Das hat ökonomische Gründe - Bibliotheken verarmen -, ebenso wie technische Gründe - wir leben alle mehr und mehr im Internet. Trotzdem glaube ich nicht daran, dass Bücher "verschwinden". Die Technik ist einfach noch zu praktisch.

Moderator: Das waren 90 Minuten e-teaching.org Live-Chat. Vielen Dank für Ihr Interesse und Dank an Herrn Professor Coy für den Chat! Das Protokoll des Chats finden Sie in Kürze auf www.e-teaching.org. Unsere Bitte um Verständnis an jene, die wir heute mit ihrer Frage nicht berücksichtigen konnten. Unter der URL http://www.e-teaching.org/community können Sie weiter über dieses Thema diskutieren. e-teaching.org wünscht allen Beteiligten noch einen schönen Tag!

Wolfgang Coy: Ich bedanke mich auch, besonders bei den Fragestellern, die die wunden Punkte schnell herausgefunden haben.


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Letzte Änderung: 08.04.2015