Chat-Interview mit Debora Weber-Wulff: „Meine Hausarbeit schreibt das Netz…“ – wie Lehrende Plagiaten begegnen können.
Am 20. April 2007 durften wir die Plagiatsexpertin Prof. Debora Weber-Wulff im Chat begrüßen. Sie ist Entwicklerin des Online-Tutorials „Fremde Federn finden“– eine Ressource, die vielfältige und aktuelle Informationen zu Plagiaten zusammenträgt. Mit der e-teaching.org Community diskutierte Sie Rezepte, mit denen sich Plagiate bereits im Vorfeld verhindern lassen und erläuterte, wie sich Lehrende gegenüber Abgeschriebenem verhalten sollten.
Die besprochenen Themen im Schnellzugriff:
- Was heißt eigentlich „Plagiat“?
- Webinhalte richtig zitieren
- Wikipedia – Plagiatsfundus oder zitierbare Quelle?
- Plagiate erkennen und richtig reagieren
- Plagiiert, angeschmiert? – Plagiate in der Hochschule
- Zum Plagiatsportal „Fremde Federn finden“
- Abschreiben, Zitieren, Ghostwriting
- Alles gesagt?
Moderator: Herzlich willkommen zum E-Teaching.org Live-Chat mit Prof. Debora Weber-Wulff. Der Chat findet heute von 14.00 bis 15.00 Uhr hier statt. Sie können Frau Weber-Wulff, der Expertin zum Thema Plagiate und Internet, Ihre Fragen jetzt schon gerne stellen. Frau Weber-Wulff ist bereits hier im Chatraum eingetroffen, wir können gleich um 14.00 Uhr starten. Fragen sammeln wir jetzt schon gerne!
Debora Weber-Wulff: Hallo! Ich freue mich sehr auf Ihre Fragen!
Moderator: So es ist 14.00 Uhr. Gleich die erste Frage an Frau Weber-Wulff: Können wir starten?
Debora Weber-Wulff: Klar!
solala: Gibt es Studien darüber, wie häufig für wissenschaftliche Arbeiten aus dem Netz abgeschrieben wird?
Debora Weber-Wulff: Nein, es gibt keine genaue Zahlen. Es gibt ein paar Studien, aber weil es prinzipiell nicht messbar ist, wie viel abgeschrieben worden ist, gibt es so was nicht. Aber die paar Studien, die man kennt, sind schon erschreckend. Wir stellen fest: Es ist ein Problem.
cathy: Sind Plagiate heute echt ein größeres Problem als früher?
Debora Weber-Wulff: Da wir auch früher nicht messen konnten wie viele es gab, können wir es nicht sagen. Aber Plagiate hat es immer schon gegeben, das wissen wir schon. Es ist nur heute einfacher geworden, Plagiate herzustellen.
Christian: Hallo! Was genau ist denn ein Plagiat? Ein kopiertes Dokument? Ein kopierter Absatz? Was ist mit Bildern?
Debora Weber-Wulff: Es ist nicht einfach, Plagiat zu definieren. Ich mache oft eine Analogie: Es ist wie die Frage, ab wann ein Mann eine Glatze hat. Es ist klar, wenn er eine hat, und klar, wenn er keine hat. Aber dazwischen, na ja. Das muss man oft im Einzelfall genau abwägen.
Plagiator: Guten Tag - Ist nicht ein gutes Plagiat auch eine Leistung?
Debora Weber-Wulff: Meiner Meinung nach nicht. Denn in der Wissenschaft kommt es darauf an zu sagen, wo man die Quellen her hat. Man beschreibt dann eben das „Delta", was man selber getan hat. Rumeditieren ist halt nur „aufhübschen", keine wissenschaftliche Leistung.
daniela rappitsch: Was ist Ihre persönliche Meinung dazu, warum gibt es überhaupt so viele Plagiate?
Debora Weber-Wulff: Ich bin nicht so sicher. Ich denke, viele Leute haben einen enormen Druck von innen, „der Beste" sein zu wollen. Sie verstehen nicht, dass Wissenschaft an sich unheimlich spannend ist. Dann haben sie viele Interessen, die ihre Zeit nehmen, und wenn es kurz vor Schluss ist, bekommen sie Panik. Sie trauen lieber den in den Hausarbeitenbörsen angegebenen Noten (die ich oft nicht nachvollziehen kann) als ihrer eigenen Meinung.
Christian: Ist die Umstellung auf Bachelor/Master dann nicht plagiatsfördernd? Zeitdruck und Noten spielen eine größere Rolle als wissenschaftliche Freiräume, die Spaß machen!
Debora Weber-Wulff: Das hat nichts mit einander zu tun! Bachelor-/ Masterumstellungen sollten mit der Umstellung der Inhalte einhergehen. Es sollte anders gewichtet werden und nicht ein ganzes Diplomstudium in sechs Semestern hineingepresst werden. Aber ganz ehrlich - schieben nicht die meisten ihre Arbeit auf die letzten Wochen auf? Klar, es ist schön, Muße zu haben und stöbern zu können. Aber viel Studenten haben Zeit, nebenher zu arbeiten, also kann der Druck nicht so schlimm sein.
Simone: Hat sich die Definition von Plagiat im Zuge des Web 2.0 eigentlich etwas aufgeweicht?
Debora Weber-Wulff: Nein, wieso? Plagiat ist unabhängig davon, in welchem Medium es begangen wird.
raubkopie: Bremst sich die Wissenschaft durch ihre übertriebene Zitiererei nicht genauso, wie Patente die Innovation oft hemmen?
Debora Weber-Wulff: Finde ich nicht. Denn oft will ich wissen - stimmt das so? Ich will zur Quelle gehen, um es selber zu überprüfen - oder neu zu interpretieren. Das kann ich nur machen, wenn alles genau belegt ist. Sonst haben wir es nur mit Märchen und Hörensagen zu tun.
Webinhalte richtig zitieren
Moderator: Kommen wir einmal zum praktischen Teil:
simplythebest: Welche Inhalte darf man denn guten Gewissens aus dem Netz übernehmen?
Debora Weber-Wulff: Man darf alles übernehmen - aber ordentlich zitieren! Darum geht es ja, die Quelle anzugeben, damit man nachvollziehen kann, wo eine Aussage herkommt. Und es reicht nicht, einfach „www.spiegel.de" anzugeben, sondern man muss schon genau die URL angeben, die man verwendet hat und das Datum, wo man nachgefragt hat.
barmar: Guten Tag! Wie müssen Internet-Quellen korrekt zitiert werden? Gibt es überhaupt eine verlässliche Technik um Plagiate aufdecken, wenn die Quellen angeben sind und ein Teil der Quellen „verschwiegen" worden ist?
Debora Weber-Wulff: Man sollte sich bemühen, Angaben über den Autor herauszubekommen.
Oft steht es auch auf der Seite, aber auch teilweise in dem Code. Einen Titel wird das Werk wohl auch haben, und eine URL. Man gibt dazu auch das Lesedatum an sowie, falls vorhanden, wann die Seite zuletzt geändert wurde. Manche Lehrkräfte empfehlen, eine Kopie dieser Quellen auf CD bei einer Arbeit mit abzugeben.
alogrithmus: Welche Informationen sind denn unbedingt nötig, wenn ich eine Internetquelle angebe? Muss ich die Uhrzeit angeben, zu der ich die Information gefunden habe?
Debora Weber-Wulff: Nein, die Uhrzeit ist nicht so bedeutend. Höchstens bei Wikipedia, aber ich halte die Wikipedia für nicht zitierfähig. Es ist eine großartige Quelle für den Anfang, aber man sollte schon an die primären Quellen gehen für eine wissenschaftliche Arbeit.
galapagos: Braucht die Wissenschaft neue Regeln für den Umgang mit vergänglichen und veränderlichen Quellen wie Homepages?
Debora Weber-Wulff: Nein, keine neue Regeln - aber die alten müssen übertragen werden auf die neue Medien. Wir müssen schauen: Wozu dienen die alte Regeln und dieser Kern muss adaptiert werden.
Simone: Was halten Sie von Datenbanken, wo man seine Hausarbeit verkaufen kann?
Debora Weber-Wulff: Warum nicht? Das Problem ist nicht das Verkaufen, sondern die Leute, die kaufen und es als eigenes Werk ausgeben. Die Datenbanken sind schon interessante Quellen - auch für mich als „Plagiatsjägerin". Ich hatte mal einen Student, der in seiner Diplomarbeit eine wunderschöne Stelle hatte, bei der ich sicher war, dass sie nicht von ihm stammte. Ich fand es in einer Hausarbeiten-Börse: Ordentlich zitiert. So konnte ich in die Bibliothek gehen, die Quelle finden und das Plagiat dokumentieren.
federboa: Wie gehen Sie damit um, dass Lehrer in der Regel über weniger Medienkompetenz verfügen als die Plagiierenden?
Debora Weber-Wulff: Ich schlage vor, dass die Lehrkräfte sich fortbilden sollen! Und sich nicht „medieninkompetent" fühlen sollen, nur weil sie nicht mitdiskutieren können über die neuste Grafikkarte einer Firma oder so! Schüler halten sich oft für souverän medienkompetent, sind es aber in Wirklichkeit nicht. Also wäre es gut, wenn beide Seiten lernen würden, wie man Quellen im Netz findet, und wie man sie bewertet.
Moderator: Ein Kommentar von lightbox:
lightbox: Ist ein Plagiat nicht letztlich der Ausdruck des Mangels an einfachem Zugang zu den zitierbaren und verwertbaren Primärquellen? Ich denke, der Ansatz der Plagiatverfolgung in sich ist schon falsch. Die Ressourcen müssen darauf verwandt werden, vereinfachten Zugang zu umfassenden Primärquellen zu schaffen.
Wikipedia – Plagiatsfundus oder zitierbare Quelle?
Moderator: Wir haben viele Fragen dazu, wie Lehrende in Schule und Universität mit Plagiaten umgehen sollen:
uiUiIUIiuiu: Einer meiner Schüler hat letztens ein Referat gehalten (Hauptschule) und einfach einen kompletten Wikipedia-Eintrag abgelesen. Er hat seinen Fehler aber nicht verstanden. Wie kann ich ihm klarmachen, dass seine Tat falsch war?
Debora Weber-Wulff: Das ist eine gute Frage! Viele verstehen nicht, warum wir Hausarbeiten überhaupt stellen. Wir wollen oft nicht wirklich wissen, wie die Geschichte des Döners gewesen ist.
Wir wollen, dass unsere Studierende oder Schüler und Schülerinnen selber nachsuchen, wie es gewesen ist und in eigene Worte fassen, was sie da gefunden haben. Auch die Frage der Fußnoten - es ist zum Überprüfen der Quelle. Ich habe gerade bei einer Diplomarbeit eine Studentin, die gerne zitieren will, dass mehrkanaliges Lernen gut ist. Aber alle Studien, die zu diesem Thema angegeben sind, existieren nicht! Wir können es einfach nicht finden – es scheint, als ob Generationen von Forschern immer nur die Fußnote abgeschrieben haben, statt selber nachzuforschen. Wir sollten also versuchen zu vermitteln wie man so etwas hinterfragt. Und wie man so etwas dokumentiert!
gossipgirl: Mein Professor will meine Hausarbeit nicht anerkennen, weil ich Zitate aus Wikipedia verwendet habe. Hat er das Recht dazu?
Debora Weber-Wulff: Natürlich. Weil die Wikipedia keine verlässliche Quelle ist. Es steht zwar vieles Vernünftiges drin. Aber Sie sollten den Links folgen und die Bücher aufschlagen, die angegeben sind und von dort zitieren. Dann sind Sie sicher, dass die Zitate auch stimmen!
Moderator: Frau Weber-Wulff ist selbst auch Wikipedia-Autorin:
Jennifer: Gibt es Erfahrungen darüber, wie häufig in der Wikipedia Plagiate auftauchen (also: kopierte Inhalte ohne Quellenangaben)?
Debora Weber-Wulff: Es gibt keine Zahlen, aber sehr viele meiner Freunde und Bekannten beklagen, dass sie immer wieder Wikipedia-Artikel eingereicht bekommen mit einem Namen drauf. Das macht mich als Wikipedia Autorin auch böse - es gibt ja Lizenzbestimmungen der Wikipedia, unter denen man die Inhalte nutzen darf. Alle Autoren müssen genannt werden, zum Beispiel durch Verweis auf die Autorenseite. In der Wikipedia selber haben wir viele Probleme mit Plagiaten. Obwohl es ganz dick dran steht, dass man nur eigene Texte verwenden darf. Viele Leute schreiben Bücher und Seiten für einzelne Lemmata (Einträge) ab. Wir haben daher eine „URV-Patrol", Urheberrechtsverletzungspatrouille, die so etwas nachgeht. Es ist viel Arbeit, aber notwendig.
Moderator: Eine Nachfrage, warum die Wikipedia keine verlässliche Quelle ist:
engel: Warum sollte man denn nicht aus solchen Quellen wie der Wikipedia zitieren? Wenn man die Quelle richtig angibt?
Debora Weber-Wulff: Weil die Inhalte von keinen Editoren überprüft worden sind auf verlässlicher Art. Es kann - und tut - ja jeder etwas hineinschreiben. Bei einigen Fächern sind die Inhalte klasse, bei anderen nicht so richtig gut wiedergegeben. Wir machen *Wissenschaft*, also nutzen wir die Wikipedia nur um ein erste Eindruck zu gewinnen. Von dort sucht man die weiteren Quellen auf, um zu sehen, ob alles in der Wikipedia richtig dargestellt wurde. Und wenn nicht - bitte in die Wikipedia auch ändern!
alias: Die Wikipedia-Betreiber sehen das anders, oder?
Debora Weber-Wulff: Es gibt keine „Wikipedia-Betreiber" :). Wir versuchen, eine sehr gute Enzyklopädie zu werden. Wir haben schon Ideen, wie wir „verifizierte Inhalte" kennzeichnen können. Aber es gibt schon Probleme damit, die Leute zu verifizieren. Woher wissen Sie, dass es wirklich ich bin, die tippt? Es könnte jemand anderes sein, die sich Weber-Wulff nennt.
Moderator: Zwei Wikipedia-Verteidiger:
Petra: Wichtig ist doch der Ausweis, woher man Inhalte entnommen hat. Ob Wikipedia nun verlässlich oder unverlässlich eingestuft wird, kann man doch dem Leser überlassen, oder?
Richard: Die Inhalte in der Wikipedia werden fortlaufend von der Community beobachtet. Man findet dort keine wissenschaftlichen Inhalte, aber ein Spiegelbild gesellschaftlicher Meinung. So etwas sollte zitierbar sein, oder?
Debora Weber-Wulff: @Petra: Dann zitiere die in der Wikipedia benutzte Quelle! Das ist sicherer!
@Richard: Höchstens, wenn der Gegenstand der Forschung die Wikipedia selber ist. Die Wikipedia ist so wie einen Raum voller Freunde, den ich frage, ob der erste Tag der Kirschblüte in Japan ein Feiertag ist. Zehn Freunde, elf Meinungen. Um das festzustellen, muss ich in *mehreren* Quellen nachschauen, um zu verifizieren, dass es stimmt - oder gestimmt hat - oder nicht stimmt.
lemgohomie: Darf man Ihrer Meinung nach auch keine journalistischen Texte zitieren? Das ist eigentlich das Gleiche wie in der Wikipedia. Und dann: Auch wissenschaftliche Texte sind fehlerhaft, warum sollen diese besser sein?
Debora Weber-Wulff: Man sollte vorsichtig sein bei journalistischen Texte. Immer da, wo ich von etwas genau weiß, sehe ich die Vereinfachungen, die für ein Medium notwendig sind. Ich würde immer eine zweite oder dritte Meinung einholen.
Plagiate erkennen und richtig reagieren
daniela rappitsch: Welche spezielle Software gibt es, um Plagiate festzustellen?
Debora Weber-Wulff: Man kann meiner Meinung nach mit Software keine sozialen Probleme lösen! Ich habe 2004 eine Untersuchung von Plagiatssoftware durchgeführt und bin gerade dabei, so etwas noch mal durchzuführen. Damals war es bei vielen der Software-Lösungen so, dass man genau so gut eine Münze hätte werfen können, um zu entscheiden, ob es sich um ein Plagiat handelt oder nicht. Es gibt etliche Varianten, die nicht von einer Software gefunden werden: Übersetzungen, Ghostwritings, et cetera.
Jennifer: Gibt es vielleicht auch typische Indikatoren für Plagiate? Ich meine, kann ich schon beim Lesen ein Plagiat vermuten? Dann brauche ich keine „Spürhund-Software".
Debora Weber-Wulff: Wie gesagt, man braucht keine Software – beobachten reicht. Wechselt plötzlich der Ton? Schreibt einer mal unvollständige Sätze, mal formvollendeter Konjunktiv? Gibt es Formatierungsbrüche? Komische Schreibfehler? Wörter, die ich selber im Wörterbuch nachschlagen muss? Komische Unterstreichungen, die auf Übernahmen aus dem Internet hinweisen? Bei so was könnte es sich schon lohnen, eine Suchmaschine anzuwerfen. Ich empfehle: Drei bis fünf Substantive, die nah bei einander sind und nicht Allerweltsworte sind.
Bei einem Testplagiat, das ich gerade erstelle, reichen drei Substantive, um in Google genau einen Hit zu bekommen - die Quelle.
Christian: Wie zeitaufwändig ist die Suche nach einem Plagiat für den Betreuer? Lohnt es sich? Oder hat gar manch Professor keine Lust auf Entlarvung, da daraus Folgearbeiten entstehen?
Debora Weber-Wulff: Es ist viel weniger Aufwand, als mache denken. Platte Plagiate sind sehr schnell gefunden. Trotzdem weiß ich, dass viele ProfessorInnen nicht alles nachschlagen wollen.
Ich kann das verstehen, wenn es 200 Hausarbeiten in einem Seminar gibt – aber ich halte es für unverantwortbar 200 Leute in einem Kurs zu haben.
Moderator: Eine Nachfrage:
Kunze: Wenn Plagiate ein soziales Problem sind, wie Sie sagen - wie sollte man das dann angehen?
Debora Weber-Wulff: Durch Diskussion! Wir müssen untereinander aushandeln: Was ist ein Plagiat, was erlauben wir, was nicht. Dann müssen wir mit den Lernenden diskutieren: Warum handelt man so? Wir müssen ihnen zeigen, wie sie richtig schreiben können (sie lernen es nicht einfach so), also schreiben üben. Und dann sollten wir über Sanktionen reden, sie mitteilen und auch anwenden, wenn Plagiate passieren. Aber in der Lehre ist ein Plagiat oft auch ein so genannter „Teaching Moment". Ich kann dieses als Gelegenheit sehen, jetzt mitzuteilen, warum Plagiate nicht gut sind. Und darauf hoffen, dass die Leute es dann in der Situation verstehen.
Moderator: Zwei Fragen von annemieke im Block:
annemieke: Wie beweise ich als Lehrkraft ein Plagiat? Gibt es Regelungen in den Prüfungsordnungen zu Internetplagiaten?
Debora Weber-Wulff: Zum Beweis: Immer ein Ausdruck von der Quelle und vom Plagiat machen, zusätzlich dann auf eine DIN A4 Seite verkleinert gegenüberstellen. Da kann man gut markieren: Dieses kommt da her. Man sollte genau die URLs notieren, damit man die auch wieder finden kann.
Ganz wichtig ist, das Gespräch mit den Lernenden zu suchen. Es könnte ja sein, dass er oder sie im Eifer des Gefechts die eigene (originale Arbeit) selber bei der Wikipedia eingestellt hat!
Das kann man im Gespräch aber klären. Zur zweiten Frage: Viele Prüfungsordnungen sehen nur vor, dass bei Täuschung eine 5,0 zu vergeben ist und man eine neue Chance bekommt. Einige Hochschulen haben aber damit angefangen, andere Ordnungen zu machen. An der Europa-Universität Viadrina gibt es in der Kulturwissenschaft einen Passus, dass man, wenn man zum zweiten Mal bei einem Plagiat erwischt wird, von der Hochschule fliegt.
Moderator: Zwei Kommentare der User zum Umgang mit Plagiaten:
damn: Mit Diskussion kann man das nicht lösen. Ich denke, es braucht härtere Strafen für Abschreiber - zumindest in der Uni.
joker: Eher Kommentar als Frage: Liegt es vielleicht auch daran, dass wir zu viele Routine-Aufgaben stellen, die die Studenten möglichst „ökonomisch" erledigen wollen, weil es eh keinen großen Lern- und Erkenntnisgewinn bringt. Vielleicht müssen wir uns mehr Mühe geben bei der Formulierung von Themen/Aufgaben, die zu eigener Arbeit herausfordern?
Debora Weber-Wulff: Es ist aber ein so diffiziler Bereich. Wir sind uns oft nicht einig: Ist es schon ein schlimmes Plagiat oder eventuell eine Kryptoamnesie? Strafen bringen nicht richtig viel - erst Aufklärung bringt es! Bei Kryptoamnesie hat der Autor vergessen, dass er oder sie nicht der Autor ist. Es gibt Belege dafür, aber es ist nicht so häufig, wie manche Lernenden vorgeben.
Plagiiert, angeschmiert? – Plagiate in der Hochschule
Moderator: Kommen wir einmal zum Schutz der Kopierten:
Moderator: Zwei Frage zum gleichen Thema:
Simone: Braucht jede Hochschule eigentlich eine Plagiat-Prüf-Einrichtung? Das können doch Lehrende alleine gar nicht alles prüfen?!
torsten: Würde es sich Ihrer Meinung nach lohnen, Plagiatprüfer an den Hochschulen anzustellen? Wie hoch sind die wirtschaftlichen Schäden durch Plagiate?
Debora Weber-Wulff: Es ist schon schwer, wenn wir als Lehrkräfte Polizei, Staatsanwaltschaft, Richter und Vollzugsbeamte in einem sein sollen.
Debora Weber-Wulff: Ich schlage vor, dass jede Hochschule eine Ethik-Kommission hat.
Es sollten Dozenten und Studierende beteiligt sein. So können sowohl Lehrkräfte Plagiatsprobleme mit Lernenden dort vorbringen, als auch Lernende, die sich plagiiert durch ihren Betreuer fühlen. Leider passiert es auch, dass die Arbeiten von Studenten seitens der Lehrkräfte als eigenes Werk ausgegeben werden.
arbue: Wenn ich entdecke, dass jemand aus meinen Arbeiten kopiert hat, was kann ich machen, um dagegen vorzugehen?
Debora Weber-Wulff: Das ist leider schwer. Man kann natürlich das direkte Gespräch suchen, aber oft wird abgewehrt. Daher schlage ich eine Ethik-Kommission an den Hochschulen vor, die hier aktiv wird. Man kann notfalls mit einem Anwalt durchsetzen, dass eine Unterlassung erfolgt, also das Buch eingestampft wird. Aber das ist sehr mühselig. Trotzdem gelingt es - Stefan Weber hat es ja geschafft, einem der Plagiatoren seiner Doktorarbeit den Doktortitel aberkennen zu lassen (mehr Informationen bei spiegel online).
Ich kenne viele Fälle, wo es gar nicht so schnell vorangeht, und ich finde das ist ein Problem.
Wir können es nicht unter den Teppich kehren, wir müssen auch handeln können in so einem Fall.
Moderator: Eine Nachfrage:
pilgrim: Wie sollte so eine Ethik-Kommission zusammengesetzt sein und was sollte sie gegen Plagiatoren unternehmen?
Debora Weber-Wulff: Sie sollte Lehrkräfte und Lernenden beide als Mitglieder haben, und eine Empfehlung aussprechen, wie weiter vorzugehen ist. Sie kann auch vermitteln - vielleicht ist auch nur etwas missverstanden worden. In den USA heißen sie „honor boards" und Studenten haben die Mehrheit. In Skandinavien haben oft Lehrkräfte die Mehrheit und dort können sie häufig auch Strafen wie der Ausschluss von Klausuren, aussprechen.
placito: Gilt es auch als Plagiat, wenn Dozierende fremde Inhalte in Ihren Präsentationen verwenden, ohne die Quellen anzugeben?
Debora Weber-Wulff: @placito: Na ja, es ist immer so eine Frage, was ist „angeben"?
Reicht es, wenn ich mündlich darauf hinweise? Ich meine ja. Aber ich sollte keine Unterlagen von anderen ins Netz stellen und meinen Namen darauf stehen haben - ich sollte da schon klar sagen: Diese Folien sind von Summerville, zum Beispiel. Es ist ja keine Schande, Material von anderen zu nutzen, man muss nur angeben, woher es kommt. Ich schreibe selber immer auf die Folien, die ich modifiziert habe, wo sie her kommen und weise mündlich auch darauf hin.
Moderator: Wieder zwei Fragen zum gleichen Thema:
Benny: Der Medienwissenschaftler Stefan Weber schreibt in seinem Buch, dass auch Wissenschaftler und Professoren selbst abschreiben und kopieren. Wieso sollte man sich dann als Student zurückhalten?
DanielB.: Was denken Sie denn über den Vorwurf, dass auch Professoren viel bei ihren Kollegen klauen?
Debora Weber-Wulff: Minus und Minus ergibt hier noch lange kein Plus! Wenn jemand etwas Falsches macht, ist das kein Grund zur Nachahmung. Daher finde ich es wichtig, dass es eine Ethik-Kommission gibt, wo man solche Vorwürfe gegen ProfessorInnen und wissenschaftliche MitarbeiterInnen auch überprüfen lassen kann. Wir müssen hin zu einer Kultur des Zitierens, auf beiden Seiten, und miteinander darüber reden!
Zum Plagiatsportal „Fremde Federn finden“
Moderator: Kommen wir einmal zu dem Projekt namens Fremde Federn, das Frau Weber-Wulff entwickelt hat:
Ludwig14.: Wie viel Erfolg hat Ihr Projekt „Fremde Federn finden"? An wen richten sich Ihre Kurse?
Debora Weber-Wulff: Die Kurse richten sich an Lehrende. Es soll erst mal der Themenkreis Plagiat abgesteckt werden: Was ist ein Plagiat, wo passiert es, wie erkennt man es, was kann man tun? Dann habe ich eine Übungseinheit mit zehn Aufsätzen. Einige davon sind Plagiate. Sie können Ihre eigene „Spürfähigkeiten" testen und sehen, ob sie entscheiden können, welche Plagiate sind und welche nicht. Oder Sie klicken einfach auf eine Antwort und erfahren, wo das Plagiat herstammt, wie es hergestellt worden ist, wie man darauf hätte aufmerksam werden können und wie man es in einer Suchmaschine findet. Mein Projekt hat recht viel Erfolg. Ich bekomme viele Zuschriften von Leuten, die den Kurs nutzen, und die Statistiken zeigen, dass viele Leute es auch anschauen.
Troll: Wie sind Sie eigentlich dazu gekommen, „Fremde Federn Finden“ zu entwickeln? Haben Sie selber schlechte Erfahrungen mit Plagiatoren gemacht?
Debora Weber-Wulff: Ja genau. Ich hatte in einem Semester Hausarbeiten verteilt und bei der Durchsicht sah ich recht viel richtig Gutes. Aber nach einer halben Stunde im Netz waren einige Vollplagiate entlarvt. Ich habe also alle überprüft und zwölf Plagiate entdeckt. Als ich befreundeten Lehrkräften die Story erzählte, haben sie mich oft gefragt: Wie hast Du das im Netz gefunden? Das Internet ist doch soooooo groß! Ich habe dann immer wieder erklären müssen, wie einfach man mit einer Suchmaschine arbeiten kann, wenn man das Plagiat vor sich hat. Und weil es auf so viel Interesse stieß, habe ich erst mal eine Handreichung geschrieben. Da ich im Bereich E-Learning forsche, habe ich 2004 im Sabbatical [Freisemester zur Forschung (Anm. d. Red.)] diese Lerneinheit erstellt. Die Webseite wird gerade überarbeitet und aktualisiert. Wir hoffen, im September fertig zu sein.
Richard: Sie bezeichnen sich selbst als „Plagiatsjägerin". Trauen sich Ihre Studenten noch, Ihnen Plagiate unterzujubeln?
Debora Weber-Wulff: Klar! Gerade zwei Stück letztes Semester! Leider lesen viele Studierende wohl keine Zeitung ;)
sonja: Wie kann ich meinen Dozenten dazu bringen, mir ein Plagiat in meiner Arbeit zu beweisen, bevor ich eine schlechte Note bekomme?
Debora Weber-Wulff: Natürlich reicht ein Verdacht allein nicht aus. Aber man kann im Gespräch versuchen, den Verdacht zu erhärten.
plaza: Macht Sie Ihre Suche nach Plagiaten nicht furchtbar unbeliebt unter Ihren Studenten?
Debora Weber-Wulff: Ich weiß es nicht, fragen Sie die! Ich glaube, die ehrlichen Studenten schätzen es. Sie wollen lieber ihre hart verdiente Zwei genießen als eine gekaufte Eins haben.
Denn sie haben verstanden: Wissenschaft ist Spaß! Aber ich mache den Job nicht, um beliebt zu sein, sondern um zu lehren und zu forschen.
airboy: Wollen Sie Fremde Federn noch weiterentwickeln oder sind Sie zufrieden mit dem, was Sie erreicht haben?
Debora Weber-Wulff: Nein, ich arbeite gerade an eine Neufassung. Ich schreibe zehn neue Artikel, teils Plagiate, teils originelle Arbeiten. Und ich überarbeite die Texte und habe ein paar neue Kapitel, zum Beispiel Ghostwriting und Collusion. Collusion ist, wenn fünf Leute gemeinsam eine Arbeit schreiben und alle Fünf reichen einzeln ein.
Moderator: Wir sind jetzt kurz vor dem geplanten Schluss, können wir etwas verlängern?
Debora Weber-Wulff: Klar!
Abschreiben, Zitieren, Ghostwriting
alias: Ich habe als Schüler auch beim Spickzettel machen, also Abschreiben, gelernt - das ist schließlich auch eine Form des Exzerpierens. Abschreiben ist also auch eine „gute" Kultur - oder sehen Sie das anders?
Debora Weber-Wulff: Ich sehe das genau so! Deswegen erlaube ich meinen Studenten - offen - eine DIN A4 Spickzettel mit in die Klausur zu nehmen handgeschrieben und ohne Lupe. Damit ist der Lerneffekt gegeben - die Anfertigung des Spickzettels. Und sie fühlen sich in der Klausur sicherer.
Jennifer: Copy-and-Paste-Plagiate sind das eine. Wie gehe ich damit um, wenn ein Text zwar inhaltlich eins zu eins übernommen, aber umformuliert wurde?
Debora Weber-Wulff: Das ist eigentlich auch ein Plagiat, wir nennen es ein Strukturplagiat.
Das ist auch urheberrechtlich eine Bearbeitung und braucht daher die Zustimmung des Urhebers.
Es ist aber viel schwerer nachzuweisen, ist aber genau so schlimm, wie eine buchstabengenaue Übernahme.
joker: Wo ist die Grenze zwischen Langzitat und Plagiat?
Debora Weber-Wulff: Ich hatte mal eine Arbeit, die ein über 17 Seiten gehendes Zitat hatte. Da die eigene Arbeit nur ein paar Seiten ausmachte, war es einfach ungenügend. Man sollte sich nicht um die Anzahl der Worte streiten, wenn die Zitate ansonsten korrekt angegeben ist und es sich „im Rahmen" hält.
MasterOfDesaster: Worin besteht eigentlich der Unterschied zwischen Ghostwriting und Kopie? Also, wenn ich meine Arbeit von anderen schreiben lasse oder sie mir zusammenkopiere, ist doch auch egal, oder?
Debora Weber-Wulff: Ghostwriting ist genau so verwerflich, aber schwieriger zu finden. Denn Ghostwriter machen keine Plagiate, in der Regel. Wenn ich denke, ich habe ein Ghostwriter-Werk vor mir, dann muss ich einfach im Gespräch mit dem Studenten herausbekommen, ob er es auch geschrieben haben. Ich frage: Warum haben Sie es so und nicht anders gemacht? Ich frage: Wo gibt es in Berlin eigentlich dieses Werk? Ich bitte um Prozess-Erläuterungen.
Alles gesagt?
Moderator: Eine Frage mit historischen Dimensionen:
barmar: Wenn ich „alte Denker" und Philosophen lese, die über das gleiche Thema geschrieben haben, zum Beispiel über das Glück, dann entdecke ich immer neue Ideen und Gedanken. Wenn ich heute die Autoren lese, die über die Handlungsorientierung im Unterricht schreiben, dann habe ich das Gefühl, dass das alles nur Plagiate sind: Überall das Gleiche mit ein wenig anderen Worten. Und so viele Bücher! Zeiterscheinung???
Debora Weber-Wulff: Viele Leute meinen in der Tat: Es gibt nichts Neues, es ist alles schon gesagt worden. Auch Goethe hat gemeint, er nimmt nur das auf, was andere ihm bereits gesagt und gedacht haben. Nur er formuliert es halt besser. Dennoch finde ich, dass es immer wieder neue Möglichkeiten gibt, Verknüpfungen zu machen und Aussagen zu machen. Ich stimme also persönlich mit dieser Meinung nicht überein. Aber man kann trefflich darüber diskutieren!
Moderator: So, kommen wir einmal zum Ende. Das Schlusswort gebührt dem Gast:
Debora Weber-Wulff: Ich finde, wir müssen viel mehr darüber diskutieren, was Plagiat und Zitat ist. Wir müssen aber als Lehrkräfte handeln. Weil in der Industrie es fatal ist, wenn die Leute nichts Eigenes machen können, sondern nur „klauen" können. Wir müssen also lernen, originell zu arbeiten. Meine Lerneinheit ist unter http://plagiat.fhtw-berlin.de/ff/ zu finden. Es ist kostenlos nutzbar - nutze es!
Moderator: Das waren 70 Minuten E-Teaching.org Live-Chat mit Debora Weber-Wulff. Vielen Dank an alle Chatter und an Frau Weber-Wulff für die Antworten.
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Letzte Änderung: 08.04.2015